Hector Berlioz verdammte das 1831 uraufgeführte Werk als schändliches Imitat des unübertreffbaren „Don Giovanni“ – und dann über 700 Aufführungen von Hérolds Werk an der Pariser Opéra comique. Allein diese Fakten rechtfertigen die Ausnahme von der Regel: die Rezension einer Einzelaufführung, die aber nachhörbar – und nachhörenswert ist.
Münchner Rundfunkorchester. Foto: Felix Broede
Gesang vom verführerischen Freibeuter – Ferdinand Hérolds „Marmorbraut“ im Münchner Prinzregententheater
Zu Beginn: Tilgung eines hierzulande „weißen Flecks“ im Repertoire. Ferdinand Hérold (1791–1833) gewann aufgrund seines Talents den damals renommierten „Prix de Rome“ und konnte so ausgiebig die italienische Musikkultur, in Neapel insbesondere die Oper studieren. Von Étienne-Nicolas Méhul väterlich gefördert, vertiefte Hérold seine Kenntnisse auch bei Antonio Salieri und wurde nach ersten erfolgreichen Kompositionen „Premier Chef du Chant“ an der Pariser Grand Opéra. Dort studierte er die Uraufführungen von Rossinis „Siége de Corinthe“ und Meyerbeers „Robert le Diable“ ein – durfte eigene Bühnenwerke aber nur an der Opéra-comique herausbringen. Deren Stillinie von szenisch wirksamer Aktion, pointierten Dialogen und ansprechenden Musiknummern lag Hérold und so schrieb er an die zwanzig Opern für dieses Haus, ehe die Tuberkulose sein Leben früh beendete.
Den durchschlagenden Erfolg von „Zampa ou la Fiancée de Marbre“ konnte er noch erleben. Im Mittelpunkt der sizilianische Adelssproß Zampa (Tenor), der im Küstenort Milazza einst die bildschöne Alice verführt, dann „entehrt“ verlassen und sein Glück als Pirat gesucht hat: Mord und Todschlag nicht meidend (ängstlicher Bericht des Dieners Dandolo (Tenor)), emotional enthemmt singt Zampa seine eigene „Registerarie“ mit weiblichen Eroberungen vom Orient bis England. Jetzt ist die schöne Camille (Sopran) Zentrum seines ungestümen Begehrens, die er mit der Todesdrohung für ihren Vater gefügig machen will. Sie liebt jedoch Alphonse (Tenor), fügt sich aber, um den Vater zu retten, in die Eheschließung. Doch auch Zampa begegnet wie Don Giovanni seinem „Komtur“: Die unglücklich frühverstorbene Alice wird inzwischen als Heilige mit einer Marmorstaue verehrt; als Zampa ihr als ironisch-späte Wiedergutmachung einen Ring an die steinerne Hand steckt, ihn später aber abziehen und Camille schenken will, hebt die Marmorstatue – erster „Coup de Théâtre“ – abwehrend die Hand. Das lässt Zampas Bootsmann Daniel (Tenor) die Gefolgschaft beenden, zumal er in Dienerin Ritta (Mezzo) seiner einst verlassenen Frau wiederbegegnet ist. Zampa lässt nach der Heirat die zerschlagende Marmorstatue ins wütend aufschäumende Meer werfen – doch die Brandung spült – zweiter „Coup de Théâtre“ – die zusammengefügten Trümmer wieder an und verschlingt dafür Zampa. Der so befreite Vater (stumme Rolle) kann die junge Witwe Camille mit ihrem geliebten Alphonse vereinen – bejubeltes Finale.
Die französische Musikinstitution „Palazetto Bru Zane“ und die das Münchner Rundfunkorchester künstlerisch betreuende Veronika Weber haben das einzig Richtige getan: französischsprachige Solisten zu engagieren. So gelangen alle Dialogszenen idiomatisch unverfälscht, locker-flüssig und, wo nötig, emotional oder witzig pointiert. Und dann war zusätzlich das Meisterstück gelungen: vier(!) gut differenziert singende und klingende Tenöre zu finden. Pierre Derhet war ein ängstlich sprudelnder Diener Dandolo. François Rougier gelang ein kerniger, mehrfach selbstbewusster und dann bei der Wiederbegegnung mit Ritta auch zwischen schuldbewusst und trotzig fast buffonesk schwankender Daniel. Dem liebend leidenden Alphonse verlieh Cyrille Dubois schöne Emotionalität und bei seiner nächtlichen, nur von der Harfe begleiteten Barkarole auch den typischen „Lyrisme français“. Zampa muss nach freibeuterischem „Kerl“ und nach elegantem Liebhaber klingen, Komponist Hérold hat da an den damals häufiger anzutreffenden „Bari-Tenor“ gedacht – und dafür brachte Julien Henric sowohl tenoralen Glanz bis zum Des und dann auch Klangkraft in der fast baritonalen Tiefe mit. Vierfaches Tenor-Glück! Dass dann Héléne Carpentier Liebe, Leid und unverhofftes Glück der Camille mit schönem Sopran sang und Héloïse Mas fast noch schönere, ja mehrfach temperamentvolle Mezzo-Klänge beisteuerte, rundete den Abend. Sie alle führte der in Frankfurt und Erl reüssierende Dirigent Erik Nielsen mit hörbarem Sinn für die Vielfalt der Partitur. Nielsen ließ singspielhafte Leichtigkeit und lyrische Versenkung zu leidvoller Düsternis und dann wuchtiger Dramatik – Donnerblech, Windmaschine, Tamtam und Pauke samt voller Blechbläsersatz in Aktion! – kontrastieren. All das kann das Rundfunkorchester aus langer Tradition heraus, sekundiert vom bestens präparierten (Stellario Fagone) Rundfunkchor. So rundete sich der Konzertabend zu einem Wunsch: Bitte auf die Theaterbühne! Da ist ein eminent musikdramatisches Werk – kennt München jetzt! Da braucht es ein großes Opernhaus für „Don Giovanni“ und parallel dann im leistungsfähigen zweiten Haus Hérolds „Zampa ou…“ – hat München! Da braucht es gut miteinander planende Intendanten – hat München nicht!
Also Trost für alle Musik- und Opernfreunde: der Mitschnitt ist für 30 Tage via BR-Klassik oder „rundfunkorchester.de“ nachhörbar; im Frühsommer 2026 erscheint dann das gewohnt profunde CD-Buch von Palazetto Bru Zane – nach diesem Abend-Erlebnis: unbedingt Wiederhörenswert!
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