Stephen Sondheims „Lächeln einer Sommernacht“ erwies sich im Münchner Gärtnerplatztheater als zeitloser Klassiker: menschlich wahr, musiktheatralisch pfiffig und auch noch geistreich. All diese Qualitäten, die 1973 den Mainstream des Broadway überragten, brachten Regisseur Joseph E. Köpplinger, Dirigent Andreas Kowalewitz und ein typengenaues Ensemble zum Leuchten – ein umjubelter Erfolg.
Wieder einmal erwiesen sich unsere mitteleuropäischen Grenzziehungen als hinfällig, speziell diese Einstufung von „Broadway“ und „Musical“ als „U“ – als nette Unterhaltung, die nicht an die Höhen und Tiefen der wahren Kunst in der „E-Musik“ heranreicht. Wer sich jetzt noch einmal Ingmar Bergmans als Komödie gedachten Film von 1955 ansieht, wird von der Strenge, dem langsamen Tempo und einer gewissen Gestelztheit des Ganzen eher befremdet sein. Die theatralisch versierten Sondheim, sein Texter Hugh Wheeler und Regisseur Harold Prince griffen 1973 zwar Bergmans Grundidee auf, dachten aber an eine Brücke zu Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ samt dessen Freude an musikalischem Spaß und natürlich an den erotischen Wirbel in Shakespeares „Sommernachtstraum“. Herauskam ein oft dialog-witziges, mehrfach geistreiches Schauspiel mit hochklassiger Musik.
Nach dem pfiffigen Beginn, die Ouvertüre von den fünf dienstbaren „Geistern“ in der Handlung auf fein abgestuftes, die Orchesterinstrumente imitierendes „la-la-la“ singen zu lassen, forderte Sondheim sich nämlich selbst heraus: er fing den erotischen Wirbel in durchgängig wechselnden ¾- oder 6/8- oder noch raffinierteren Walzerrhythmen ein. Die kleine Orchesterbesetzung hielt Dirigent Andreas Kowalewitz im intimen Raum des Cuvilliéstheaters ganz auf dezente und pointierte Begleitung, die dann nur zu den passenden Gelegenheiten mal emotional aufschäumt – wäre Mozart wie 1781 bei seiner „Idomeneo“-Uraufführung dabeigesessen: er hätte seine Freude gehabt.
Wheelers Dialogsatz „Die Ehe ist nicht das einfachste Verwandtschaftsverhältnis“ erhellt schlaglichtartig alles: drei falsch oder hochproblematisch arrangierte Paare finden sich auf dem Landsitz der durch zahllose Amouren bis zur königlichen Geliebten aufgestiegenen, jetzt ergrauten Madame Armfeldt ein. Daraus macht die „Grande Dame“ des Gärtnerplatztheaters Gisela Ehrensberger abermals einen ihrer erinnernswerten Auftritte: selbst im (regie-verordneten) Rollstuhl wird ihre Erinnerungsarie „Liaisons“ zur entlarvenden Abrechnung mit dem Heute, wo „Plaisir“ zur „Gier“ geworden ist und man zum „Souper“ nun „Salat, nein: Kekse“ reicht – und sie erklärt ihrer kleinen Enkelin (locker Amelie Spielmann) das dreifache Lächeln der Sommernacht: einmal für die Jungen, die zu wenig wissen – das sind der verkrampfte Theologie-Student Egerman und seine 18jährige Stiefmutter, die nach elf Monaten jungfräulicher Ehe mit dem über vierzigjährigen Rechtsanwalt Egermann am Ende durchbrennen (was Christof Messner gut und Beate Kortner etwas zu piepsig schrill gelang); ein zweites Lächeln für die Narren, die zu wenig wissen – voran der „erbsen-hirnige“ Offizier Graf Malcolm, der seine lebenslustige Frau gerade mit der Schauspielerin Desirée Armfeldt betrügt und alle Idiotien des Offiziers verkörpert (woraus Daniel Prohaska eine schneidige Tenor-Karikatur und Julia Klotz eine mal fraulich pfiffige, dann herrlich betrunkene Studie machten); „Narren“ sind aber auch der einst mit der jungen Schauspielerin Desirée liierte Rechtsanwalt Egerman, der jetzt schon sein Mittagsschläfchen braucht, mit seiner blutjungen Frau nicht umgehen kann und sich seiner alten Liebe wieder annähert (was Erwin Windegger belächelnswert und dennoch männlich markant verkörperte und sang) – und diese in der Provinz steckengebliebene Schauspielerin Desirée ist eine Paraderolle für Sigrid Hauser: lebenserfahren, realistisch desillusioniert und dennoch sowohl weiblich anziehend wie fraulich liebevoll; prompt versuchte sie auch nicht, im Balladenklassiker „Send in the Clowns“ an die Welt-Hits einer Shirley Bassey oder Barbra Streisand anzuknüpfen, sondern machte im feinen Zusammenmusizieren mit Dirigent Kowalewitz daraus eine anrührende Selbstbespiegelung, eine Lebensbilanz, deren Piano in Bann schlug.
Das war der herrliche Kontrast zum Sommernachtswirbel auf der mit wenigen Requisiten wechselweise bestückten Drehbühne, die durch den vielfach hin und her gezogenen roten Diagonalvorhang „die ganze Welt als Bühne“ zeigte. So präsentierten Ausstatter Rainer Sinell, Choreographin Ricarda Ludigkeit und Regisseur Köpplinger einen temporeichen, alle „U“- und „E“-Grenzen vergessen machenden exzellenten Musiktheaterabend.