75 Jahre „ Krútňava“ – Das Nationaltheater Kosice feierte die schonungslos schroffe Nationaloper der Slowakei.

Foto: © Jozef Barinka und Zuzana Plešová (Nationaltheater Kosice 2024)
Kalte Farbfunken unter vertrockneten Sonnenblumen – Eugen Suchoňs „Krútňava“ in Kosice
Eugen Suchoňs „Krútňava“ wurde gezielt als slowakische Nationaloper entworfen. Nach der Uraufführung 1949 begannen politisch motivierte Auslassungen religiöser Motive und weitere Eingriffe. Erst 2008 wurde die rekonstruierte Originalfassung gespielt. Das Nationaltheater Kosice feierte am 10. Dezember das 75-Jahre Jubiläum mit einer Festaufführung der Neuproduktion von Vera Nemirova (Regie) und Stephan Braunfels (Bühne), in der man auf die kommentierenden Dialogrollen des Dichters und seines Alter Ego verzichtete. Peter Valentovič modellierte mit dem Orchester intensive Härte und raue Emotionen. Eva Katráková–Bodorová, Titusz Tóbisz und Jozef Benci standen an der Spitze eines eindrucksvollen Ensembles.
Wer ist der Vater von Katrenas Kind? In der weitgehend originalen Fassung der Oper „Krútňava“ (Seelensturm), mit welcher das Nationaltheater Kosice am 10. Dezember 2024 den 75-jährigen Jahrestag der Uraufführung in Bratislava feierte, sagt Katrena, es sei von ihrem Ehemann Ondrej. Dieser wird nach Geständnis des Eifersuchtsmords an Katrenas früherem Liebhaber Ján Štelina der Gerichtsbarkeit überantwortet. Katrenas Säugling ähnelt dem Toten. Aber ihr Wort an Ondrej vor dessen Verhaftung, er sei der Vater, gilt. Der alte Štelina, Jáns Vater, verzweifelt. Denn so wird seine Hoffnung auf einen leiblichen Erben zunichte. Das unlösbare Dilemma am harschen Ende einer zutiefst aufwühlenden Oper. Der Seelensturm schreit über den Schlussakkord hinaus. In der kantigen Partitur von Eugen Suchoň (1908 bis 1993) gibt vor allem Farben der Härte und Unerbittlichkeit, von Leidenschaft und Bitternis.
„Krútňava“ steht derzeit nur im Nationaltheater Kosice, einem der drei Opernhäuser der Slowakei, im Repertoire. Kulturschaffenden ist das „musikalische Volksdrama“ nach Milo Urbans Novelle „Za vyšným mlynom“ (Hinter der oberen Mühle, 1926) besser vertraut als dem Publikum. Seit 1940 hatten unter anderem der Schriftsteller Ján Smrek und der Literaturprofessor Andrej Mráz den Komponisten zur Schöpfung einer slowakischen Nationaloper gedrängt. Sofort nach der Uraufführung entstanden in den 1950er Jahren Varianten und Eingriffe, durch welche die religiösen Bezüge im Part Štelinas entfielen und die Vaterschaft von Katrenas Säugling eindeutig dem früheren Geliebten Ján zugesprochen wurde. Damit entfiel die Frage des Finales: Ist Katrenas Aussage, Ondrej sei der Vater, Wahrheit oder Trost vor dessen Verurteilung? – Operndirektor Roland Khern Tóth hatte für die Neuproduktion die Regisseurin Vera Nemirova eingeladen. Nach einigen eher glatten Arbeiten in Deutschland setzte sie im Bühnenbild von Stephan Braunfels eine packende und hochkonzentrierte Leistung. Durch die Kostüme Simona Vachálkovás und Marek Šarišskýs Choreographie wurden die Genreszenen mit dem imposanten Chor und Ballett zu kalten Farbfunken unter vertrockneten Sonnenblumen.
Katrena und der nach seinem Tod allgegenwärtige Ján (Martin Stolár) stürzen sich während des Vorspiels in einen heftigen Liebesakt. Auf Projektionen hinter der weißen Scheibe und leibhaftig wird der tote Ján immer wieder erscheinen. Bei Nemirova spielen die Hochdruck-Szenen um das Neugeborene in gutsituierten Kreisen der 1950er Jahre. Sie zeigen vor Braunfels’ bildlicher Verallgemeinerung ein schroffes Milieu. Ländliche Archaik wird zwar zu Dekor, der Wohlstand ändert aber nichts an den vormodernen Geschlechtermustern. Imposant ist Katrenas panzerndes Brautkleid in Schwarz. Ondrej liebt sie bis zum Wahnsinn und misshandelt Katrena aus Frustration.
„Krútňava“ erweist sich als Qualitätsmaßstab-Index eines Ensembles. Am Nationaltheater Kosice kommen außerordentlich gute Soli zusammen und gestalten intensiv die deklamatorisch wie dramatisch herausfordernden Partien: Juraj Hollý mit phänomenalen Tenor-Höhen, Jitka Sapara Fischerová, Myroslava Havryliuk, Marián Lukáč, Viera Kállayová, Tatiana Paľovčíková, Michaela Várady, Mihály Podkopájev, Aneta Hollá, Marek Gurbaľ. Nemirova und Dramaturg Stanislav Trnovský verzichteten auf die übergeordneten Dialogfiguren des Dichters und seines Doppelgängers, die im originalen Textbuch über Schicksalsläufe und von ihnen inspirierte Kunstschöpfungen diskutieren. Deren Szenen wurden nach der Uraufführung aufgrund ihres ironischen Potenzials gegen die auch in der Tschechoslowakei gültige Doktrin des Sozialistischen Realismus gestrichen. Erstmals seit 1949 gelangten sie erst am Staatstheater Banská Bystrica 2008 in der von Vladimir Bokes rekonstruierten Originalfassung zur Aufführung. Der Verzicht auf diesen diskursiven Verfremdungseffekt macht aus „Krútňava“ allerdings noch immer kein folkloristisches Zierstück.
Es erstaunt, dass diese ungeschönte Nationaloper keine kontinuierliche Verbreitung erfährt. Jenseits gegenteiliger Beschreibungen hat „Krútňava“ fast monumentalen Charakter. So in etwa könnte Wagners „Götterdämmerung“ in einer Instrumentation von Leoš Janáček klingen. „Freischütz“, „Verkaufte Braut“, „Bánk bán“ und andere weitaus früher entstandene Nationalopern enthalten sonnigere Momente.
Peter Valentovič hält mit dem Orchester des Nationaltheaters Kosice die Dunkelheit Suchons in rundem wie attackierendem Sog. Er setzt die Sänger nicht durch übertreibende Lautstärken unter Druck. In der expressiven Partie der Katrena bewegt Eva Katráková–Bodorová zutiefst. Komplexe Anforderung: Je mehr Katrena durch die Heirat mit Ondrej und die Konstellation der Vaterschaft ihres Kindes in die patriarchale Verschleißspirale gerät, desto weniger singt und spricht sie. Am Ende ist sie zermalmt von zwei machtvoll präsenten Männern: Der Heldentenor Titusz Tóbisz hat hinter Ondrejs cholerischen Vokaleskalationen auch Seele, wäre ein idealer „Peter Grimes“. Jozef Benci entwickelt ein fesselnd eindringliches Porträt des vom Schicksalssturm attackierten Štelina.
Das volle Theater applaudierte mit Enthusiasmus. Von den aktuellen Massenentlassungen durch die rechtspopulistische Kulturministerin Martina Simkovicova merkt man am Nationaltheater Kosice als Besucher noch nichts. Im Musiktheater sind dort vorerst keine weiteren Neuproduktionen angekündigt. Vielleicht folgt die nächste Premiere in einigen Monaten, vielleicht noch später.
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