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Versöhnung mit den Erkälteten: Riccardo Muti. Foto: Juan Martin Koch
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Kontrollierte Ekstase in der Hustenburg: Das Chicago Symphony Orchestra brilliert in der Elbphilharmonie

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So eine Nacht auf dem kahlen Berge kann ziemlich kalt werden. Und der Hustenreiz unkontrollierbar. Maestro Riccardo Muti war ohnehin schon angesäuert wegen der vielen nach der Pause zu spät auf ihre Plätze huschenden Zuhörer und dann wurde ihm auch noch Mussorgskys Gruselklassiker bronchial verunstaltet. Ungnädiges Kopfschütteln, stoisches Weiterdirigieren. Die Hochglanzversion Rimsky-Korsakovs entfaltete ihren wohligen Schauer.

Dass mit dem Chicago Symphony Orchestra der erste Klangkörper von Weltrang Station in der Elbphilharmonie machte, wurde nach wenigen Takten hörbar. Die Entscheidung, das zweitägige Gastspiel ausgerechnet mit Paul Hindemiths Konzertmusik für Streichorchester und Blechbläser zu eröffnen, muss als prophetisch eingestuft werden, denn mit den Holzbläsern wurde eben jene Instrumentengruppe zunächst ausgespart, die vom analytisch präzisen Akustikbild Yasuhisa Toyotas am wenigsten profitiert. So gut man beispielsweise den Anstoß eines Fagotts hört, so wenig Farbe nimmt man vom gehaltenen Ton war.

Zunächst aber Hindemith ohne Holz. Dafür mit der vielleicht besten Blechgruppe des Universums und einem formidablen Streicherapparat, der die Sperrigkeit der Hindemith’schen Linienführung veredelte, ohne sie zu glätten. Das Unisono mit den Hörnern strahlte in seiner absolut homogenen Artikulation eine Beseeltheit aus, die man bei diesem Komponisten selten erlebt. Edward Elgars Ouvertüre „In the South“ verblasste demgegenüber schon allein von der musikalischen Substanz her, so brillant, straff, ohne jede selbstzufriedene Nachgiebigkeit sie auch gespielt war.

Nach der „Nacht auf dem kahlen Berge“ dann Ravels Orchesterkolorierung von Mussorgskys „Bildern einer Ausstellung“. Man könnte nun satzweise nacherzählen, auf welch überragendem Niveau hier musiziert wurde, müsste eigentlich jeden Solisten, vor allem im Blech, namentlich preisen. Belassen wir es bei der Feststellung, dass ein herausragendes Orchester in diesem Saal herausragend klingt und dass man mit einem Dirigenten wie Riccardo Muti das große Tor zu Kiew in kontrollierter Ekstase durchschreitet: Jede dynamische Steigerung verbreitert das wahrgenommene Klangspektrum statt es einzuengen. Transzendente Kraft statt orchestralem Muskelspiel. 

Muti hatte mittlerweile seinen Frieden mit dem restlos enthusiasmierten Publikum gemacht und kündigte launig die Ouvertüre zur „Sizilianischen Vesper“ an. Mit einer rhythmischen Elastizität, die ihresgleichen sucht, trieb er deren theatralische Verve auf die Spitze. Einen solchen Verdi werden die Hamburger in absehbarer Zeit wohl nicht mehr zu hören bekommen.

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