Hauptbild
Ieva Prudnikovaite (Carmen), Changjun Lee (Zuniga), Konstantinos Klironomos (José), Chor und Extrachor des Theater Lübeck. Foto: Jochen Quast

Ieva Prudnikovaite (Carmen), Changjun Lee (Zuniga), Konstantinos Klironomos (José), Chor und Extrachor des Theater Lübeck. Foto: Jochen Quast

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Lübecks „Carmen“ oder die Akzeptanz des allgegenwärtigen Todes

Vorspann / Teaser

Georges Bizets „Carmen“ wurde oft inszeniert. In den 150 Jahren seit ihrer Uraufführung hatte beides, die Musik wie das Geschehen, die Oper zu einer der erfolgreichsten werden lassen. Kurz vor Saisonschluss zeigte nun das Theater in Lübeck eine ganz andere Carmen (Premiere: 20. Juni 2025), eine unprätentiöse, zumindest eine, deren Sexappeal nicht aus jedem Rockschlitz blitzte.

Autor
Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Böses Omen

Schon zum zweiten Teil des „Préludes“, wenn das Schicksalsmotiv erstmals aus dem Graben tönt, bestürzt das Tun auf der Bühne: ein Mann, es ist José, sticht in rasender Eifersucht auf Carmen ein. Das nimmt das Ende voraus, das Ende vom Lied, von Carmen. Wer sich an seinen Lateinunterricht erinnert, weiß, dass der vieldeutig ist, nicht einfach nur Lied bedeutet, auch Zauberdichtung oder Orakelspruch. Ovid kennt den Schwanengesang, Vergil das Kreischen der Eule, beides aber können Vorboten des Todes sein. Auch Georges Bizet nutzt Ornithologie, wenn er für seine „Habanera“ das Liebesleben seiner Protagonistin so umschreibt: „L’amour est un oiseau rebelle que nul ne peut apprivoiser“ (Die Liebe ist ein aufsässiger Vogel, den keiner zähmen kann). Auch da sei „die Liebe Figur des Todes“, behauptet Barbara Vinken in ihrer „Diva. Eine etwas andere Opernverführerin“ (s. Programmheft). Das erschreckt, wie es seit Jahrhunderten viele Männerfantasien tun, nachweisbar selbst bei Prosper Mérimée. Seiner namensgleichen Novelle, der Vorlage für das Libretto, stellte er 1845 als Motto ein Epigramm des spätantiken Dichters Palladas voran. Ca. 400 n. Chr. behauptete der: „Die Frau ist bitter wie Galle; immerhin ist sie bei zwei Gelegenheiten angenehm: im Bett und wenn sie tot ist.“ Es kommt uns heute wie zynische Misogynie vor. Haftet davon schon etwas Bizets „Carmen“ an?

In der Beziehung tat Philipp Himmelmann als Regisseur nun der Emanzipation gut, indem er die alte Novelle durchlüftete. Er wollte in seiner Inszenierung insbesondere an Carmen das abstreifen, was sie zum Prototyp der Femme fatal machte: ihre Lust als Waffe gegen Männer und ihr Streben nach vollkommener Unabhängigkeit. Gleichzeitig nahm er der Oper alles Pittoreske. So geht manche bekannte Einzelheit verloren wie die, dass die Arbeiterinnen in einer Nische Sevillas ihre Zigaretten und Zigarren selbst drehen. In dieser Inszenierung steckten sie durchgehend in schwarzen, minimal gemusterten Kleidern (Meentja Nielsen). Sie erregten deshalb wohl bei den umherflanierenden Passanten oder Sergeanten wenig Aufsehen. Selbst Carmen lockte nicht, allenfalls mit ihrer schlanken Gestalt. Stattdessen bevorzugte die Regie einen eher abstrakten Eindruck, stützte den durch starke Symbole. Immer stand ein Bewegung förderndes Sammelsurium von Stühlen auf der Bühne. Über sich hinaus wies auch ein leicht kitschig rotes, vom Bühnenhimmel herabkommendes Band, mit dem Carmen José fesselte (oder er sie?). Im zweiten Akt steht ein nacktes, unwirtliches Bett für (Un)Lust, während im dritten das Orakeln durch in der Luft schwirrende Karten ausgeübt wird. Zur Corrida im finalen Akt schwebt ein zweites Mal etwas besonders spektakulär vom Bühnenhimmel herab, eine riesige, blutrote Muleta, das Tuch des Toreros.

Düstere Geschicke

Trotz einiger lichter Momente bleibt der Gesamteindruck eher düster, da Dieter Richter, der Bühnenbildner, auf der Bühne nur wenig Licht zuließ. Er hatte die hintere Wand, auch den teils ungleich strukturierten Boden mit stumpfem Rostrot oder fleckigem Grün eingefärbt, schuf auch ein paarmal Bewegung, indem er die Bühne hob, senkte oder drehte. Vorteilhaft war, dass der Raum vielseitig und plastisch strukturiert wurde.

Bild
Konstantinos Klironomos (José), Ieva Prudnikovaite (Carmen), Evmorfia Metaxaki (Micaëla), Chor und Extrachor des Theater Lübeck. Foto: Jochen Quast

Konstantinos Klironomos (José), Ieva Prudnikovaite (Carmen), Evmorfia Metaxaki (Micaëla), Chor und Extrachor des Theater Lübeck. Foto: Jochen Quast

Text

Was den ersten Akt in früheren Inszenierungen besonders lebendig machte, war der laut die Soldatenwache verspottende Kinderchor, oft ein derber Spaß und eigentlich typisch für diese Opernform. Er war gestrichen. Auch im zweiten Akt änderte sich der Spielort, wurde die Handlung weit weniger deutlich. José kämpfte zwar um Carmen, setzte für seine Beziehung zu ihr alles aufs Spiel, während sie genug von ihm zu haben behauptete. Das Drama entwickelte sich. Aber wie in einem Varieté ergaben sich kurze Szenen, zu denen die glitzernden Lamellen gehörten, die von der Decke hingen. Überraschend machten sie und jenes besonderen Möbel, jenes ungastliche Bett, den Raum leer wie nichtssagend. Einzig der Auftritt Escamillos (sehr lebhaft Jacob Scharfman) ließ ihn für Momente von innen bunt werden.

Um das Verhältnis von Carmen zu José zu entdämonisieren, musste die neue Inszenierung deren Beziehung verändern. An dieser Stelle hat die Regie ein gutes Äquivalent gefunden, indem sie das von Micaëla zu José aufwertete. Sogar die Mutter Josés durfte in einer Wandprojektion auftauchen und ihre Briefe, Micaëla als Botin, werden zu einem verdichtenden Motiv. Sinnreich ist ferner, dass Micaëla nicht auf Carmen hereinfällt. Sie vermag sich ihr gegenüber durchzusetzen, scheint sie als Rivalin zu respektieren. Grandios, wie Evmorfia Metaxaki, die Sängerin dieser Rolle, das bezwang und diese Figur mit ihrem feinen Sopran ganz anderes, doch im Regiekonzept begründet gewichtete.

Musikalische Gestaltung

Das wertete wiederum auch die Carmen durch Ieva Prudnikovaite auf. Sie ist in dieser Inszenierung eine Frau von selbstbestimmender Stärke, kein männerfressender Dämon, verstand es auch mit ihrem selbst in der Tiefe farbigen Mezzo dem einen besonderen Anstrich zu geben, obwohl (oder weil?) die Litauerin schon an mehreren Häusern diese Rolle gestaltet hat. Beachtlich, wie selbstverständlich sie diese etwas andere Sicht umsetzte.

Natürlich musste auch José ein anderer werden. Sein Kampf um Carmen begründete sich durch seine nicht besiegbare Eifersucht. Sie machte ein gemeinsames Leben unmöglich. Grandios setzte Konstantinos Klironomos mit seinem hellen, zugleich kräftigen Tenor den Charakter um, der emotional an dem Machtmissbrauch zerbrach.

Stefan Vladar, Lübecks Opernchef, unterstützte die straffere Sicht, indem er die Lübecker Philharmoniker sehr präzise und mit angezogenen Tempi agieren ließ. Gleiches bekam dem Chor (Einstudierung: Jan-Michael Krüger), der an Klang und Wirkung gewann.

Resümee

Langweilig war diese Inszenierung nicht, auch wenn die Handlung recht holzschnittartig wirkte, auch durch die einseitige Thematisierung. Aber sie hatte den Vorteil, dass alle im Ensemble sich intensiv einsetzten konnten und ihren Figuren ein klares Profil gaben, herausragend dabei der Bass Changjun Lee als Zuniga oder die beiden Soprane.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!