Foto: © Brescia/Amisano – Teatro alla Scala
Mailänder Saisoneröffnung mit Abschied und Neubeginn – eine sehens- und hörenswerte Neuproduktion an der Scala
Russische Oper im Opernland Italien, noch dazu zur „heiligen“ Saisoneröffnung an der Mailänder Scala, wo man gern auf Gediegenes setzt, und obendrein mit dem jüngsten Regisseur aller Zeiten – kann das gut gehen? Und ob!
Die Inaugurazione an der wohl berühmtesten Oper der Welt ist stets etwas ganz Besonderes. Traditionsgemäß findet sie am 7. Dezember statt, dem Tag des Stadtheiligen Sant’Ambrogio von Mailand. Traditionell ist sie zudem ein Stelldichein von nationaler und internationaler Prominenz aus Wirtschaft, Politik und Kultur, ein Schaulaufen teurer Roben und geschätzter Begleitpersonen. In aller Regel stehen allerdings Werke des eher klassischen Repertoires auf dem Programm, nicht selten Italianità à la Verdi und Umfeld. – Zumindest Letzteres gilt in diesem Jahr nicht: Die Scala hat sich an Dmitri Schostakowitschs durchaus herbe, ja brutale Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ gewagt. Aus gutem Grund, schließlich beging die Musikwelt kürzlich den 50. Todestag des Komponisten beziehungsweise steht schon bald dessen 120. Geburtstag bevor.
Die Rituale freilich zur Saisoneröffnung an der Scala, die sind weitgehend geblieben: Jede Menge Polizeischutz wegen der Demonstrationen vor dem Theater, das übliche Theater im Theater, das künstlerische Ereignis auf der Bühne als willkommener Anlass, um zu sehen und gesehen zu werden. Dennoch war das Prozedere diesmal ein bisschen anders als in vorangegangenen Jahren. Der Feiertag des Stadtheiligen fiel auf einen Sonntag, die inzwischen zwölfte Prima von Musikdirektor Riccardo Chailly war zugleich dessen letzte in diesem Amt, Grund genug, ihm sowie dem bisherigen Intendanten Dominique Meyer diese erste Inaugurazione des neuen Hausherrn Fortunato Ortombina zu widmen.
Der italienischen Presse war es im Vorfeld wichtig, das erneute Fehlen von Staatspräsident Sergio Mattarella zu betonen, Ministerpräsidentin Giorgia Meloni kam ohnehin nur ein einziges Mal, kurz nach ihrem Amtsantritt zu diesem Akt. Stattdessen rieb sich die Kritik am Kulturminister Alessandro Giuli und dessen Staatssekretär Gianmarco Mazzi, die für die Personal-Querelen am Theater La Fenice in Venedig sowie den Reformentwurf des Opern- und Sinfoniebetriebs heftig gescholten werden. Mit großer Ehrerbietung begrüßt wurde allerdings erneut die inzwischen 95-jährige Holocaust-Überlebende und Senatorin auf Lebenszeit Liliana Segre in der Ehrenloge.
Der aber wohl größte Gegensatz zu sonstigen Saisoneröffnungen: Diesmal gab es mit Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ ein Werk aus dem 20. Jahrhundert. Gleichwohl verzeichnete die Scala damit einen Einnahmerekord von nahezu 2,7 Millionen Euro.
Russische Oper hat also ihren Stellenwert auch an diesem Haus, das sich in den zurückliegenden Jahren noch für Mussorgskis „Boris Godunov“ (als exzellenter Spiegel auf das Russland von heute inszeniert!) sowie für das Mitwirken von Anna Netrebko rechtfertigen musste. Die „Lady Macbeth“ in der Regie des russischen Regisseurs Vasily Barkhatov (mit Anfang 40 für Scala-Verhältnisse noch relativ jung hinsichtlich einer Saisoneröffnung), der mit einer internationalen Besetzung aufwartete (Solisten aus Russland, dem Baltikum und der Ukraine, aus den USA und aus Georgien) nahm diesbezüglicher Kritik allerdings jeglichen Wind aus den Segeln und wartete mit einem höchst faszinierenden Ansatz für seine Sicht auf diese Oper auf. Der unter dem Dirigat von Riccardo Chailly eine glänzende musikalische Umsetzung gelang.
Menschengemachte Unmenschlichkeit
Die Szene des auf Nikolai Leskows gleichnamige Erzählung zurückgehenden Musiktheaters wurde gehörig zerpflückt, ohne sie aber zu beschädigen. Im Gegenteil, wortlose Verhörszenen auf der Vorderbühne haben das Gewaltpotential dieses Stücks um Mord und Sex und ebenso um Unterdrückung der Frau in der Diktatur betont. Dazu flirrten dann Schostakowitschs Zwischenmusiken wie bissige Kommentare. Laut Programmbuch sollten Bürokratie und Stalinismus vorgeführt werden – beides steht für menschengemachte Unmenschlichkeit, nicht nur in den 1930er Jahren und wurde sehr drastisch, geradezu ergreifend nachvollziehbar umgesetzt.
Foto: © Brescia/Amisano – Teatro alla Scala
Die fade Ehe der Katerina Ismailowa mit dem drögen Kaufmannssohn Sinowi Borissowitsch führt bekanntlich zu dessen Ermordung, nachdem dessen Vater Boris Timofejewitsch Ismailow, der sich einerseits selbst an Katerina heranmachen will, sie andererseits aber streng überwacht und bald ihr Verhältnis mit dem einfachen Arbeiter Sergei aufgedeckt hat, bereits zuvor mit Rattengift ins Jenseits befördert worden war. Jede Menge Zündstoff also für packendes Theaterspiel!
Vasily Barkhatov, Bühnenbildner Zinovy Margolin, Kostümbildnerin Olga Shaishmelashvili sowie Lichtdesigner Alexander Sivaev haben diese Vorlage bestens genutzt, um das Publikum zu ergötzen und zum Schluss wohl auch zu schockieren. Im riesengroßen Festsaal mit einer raumgreifenden Empore drin wird gefeiert, gestorben und musiziert, zwischendurch werden immer wieder zwei das Bühnenbild ausfüllende Etagen eingeschoben, die Schlaf- und Arbeitszimmer sowie eine große Küche darstellen. Raum genug, um Poesie und derbe Szenen abzubilden, die Handlung voranzutreiben – unterbrochen von den Verhörszenen mit schwarzweißem Fotomaterial, Fingerabdrücken und Protokollen, die quasi parallel zum eigentlichen Geschehen schon Beweise der omnipräsenten Staatsmacht geliefert haben. Schaurig auch die auftauchenden Geister und Schatten der Ermordeten, witzig eingesetzt jede Menge Alkohol, ein stinkbesoffener Pope sowie die herrlich persiflierte (und bereits in Schostakowitschs Komposition ad absurdum geführte) Polizei.
Sie verhaftet das mörderische Ehepaar Katerina und Sergei, sämtliche Träume von Glück und erfülltem Liebesleben sind nun endgültig geplatzt. Der Weg ins sibirische Lager wird von einem flammenden Finale gekrönt, nachdem ein Militär-LKW aus Sowjetzeiten (eigens aus Litauen herangekarrt) in den Saal kracht, Schnee und eisige Kälte mit sich bringt, Katerina und Sergei entzweit, weil der sich mit einer anderen Gefangenen einlässt, der er obendrein die Strümpfe seiner Frau schenkt. Im Original stürzt sich Katerina mit dieser Sonetka in einen See, hier übergießt sie sich mit Benzin und sterben beide Frauen als leuchtende Fackeln einen Feuertod. Dieser gedoubelte Feuertanz ist spürbar bis weit ins Parkett – eine sehr ergreifende Szene!
Da hat sich die Regie also allerhand einfallen lassen – ohne die Musik jedoch ins Abseits zu stellen. Im Gegenteil, Riccardo Chailly (der bereits als junger Debütant Schostakowitschs Oper „Die Nase“ entdeckt hat und von dieser Musik anhaltend fasziniert geblieben ist) hat eine wahre Glanzleistung hingelegt an diesem gut dreieinhalbstündigen Abend. Fulminant lautstark, jedoch nicht ohne ein gutes Händchen für poesievolle, tänzerische und träumerische Momente. Da gerät fast ins Vergessen, dass diese Oper das Werk eines Mittzwanzigers ist, voller Wucht und Dramatik, stimmungsvoll, abwechslungsreich, schon wahrhaftig vollendet. Die oft rasenden Tempi haben Holz- und Blechbläser nebst kräftigem Schlagwerk reichlich zu tun gegeben, doch das Orchester der Scala hat einmal mehr Bestes geleistet und Musik voller Spannung geboten, die wirklich unter die Haut ging. Der Klangkörper in einer Hauptrolle, adäquat vom Chor der Scala sowie von den vielen Gesangssolisten ergänzt. Sara Jakubiak als Katerina brillierte mit energischem, fein geführtem Sopran, ihr Liebhaber Najmiddin Mavlyanov mit schneidigem Tenor, als Vater und Sohn Ismailow bestachen der betörende Bass Alexander Roslavets sowie der Tenor Evgeny Akimov ebenfalls in sämtlichen Szenen mit herausragende Gesangs- und Darstellungskünsten.
Das Premierenpublikum war bereits zu den beiden Pausen frenetisch begeistert und belohnte diese so sehens- wie hörenswerte Aufführung am Schluss mit elf Minuten Applaus. Ein großer Abend des Scala.
- „Lady Macbeth von Mzensk“ am Teatro alla Scala: 10., 13., 16. 19. sowie am 23. und 30. Dezember 2025.
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