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Don Giovanni 2025 | Premiere am 27. Juni 2025. Foto: © Geoffroy Schied

Don Giovanni 2025 | Premiere am 27. Juni 2025. Foto: © Geoffroy Schied

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Münchner Opernfestspiele unterhöllisch: Mythos überfremdet Mozart mit angereichertem Pluto

Vorspann / Teaser

Im Programmbuch zur Eröffnungspremiere werden auf sechs Seiten die vielfältigen Ausdeutungen des Giovanni-Themas seit 1630 aufgeführt. Der Musik- und Werkfreund kennt sogar Regale mit Fachliteratur zu Mozarts schier inkommensurablem Opus. Dem hat das Team der Neuproduktion eine weitere Sicht hinzugefügt.

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Der Abend endete mit einer Unverschämtheit. Als das Bühnen-Team um Regisseur David Herrmann zum Schlussapplaus erschien und nur ein wenig angebuht wurde, sammelte Herrman mit dem Zeigefinger die Buher im Rund des Nationaltheaters ein und verdammte sie mit einer eitlen Geste in die von ihm zuvor inszenierte Unterwelt. Da tat sich dann nur die Frage auf, ob nicht die aufwändige Fehldeutung des hochbezahlten Regisseurs genau dorthin gehörte … 

„Es bleibe also jener Schurke bei Proserpina und Pluto“ singen am Ende alle Solisten – was weniger zum Diener Leporello als zum adeligen Erziehungshorizont der Standespersonen passt – doch Herrmanns Regiekonzept hatte alles in ein „Heute“ transferiert, wo kaum Kenntnisse der griechischen Mythologie vorhanden sind. Denn zu den donnernden Orchesterschlägen, die eher der Komtur-Welt des Werkes zuzuordnen wären, tat sich unter dem hochfahrenden Bühnenboden eine neue Zusatzhandlung auf: in flammender Höllen-Lava-Glut nahm sich die feuerrot gekleidete Proserpina (Tänzerin Erica D’Amico) ihr im Mythos um ihre Zwangsheirat zugestandene Auszeit für ein halbes Jahr unter Menschen. Dann wurde in der edlen Beton-Brutalismus-Architektur von Jo Schramm ein Schlafsaal im Millionärsformat sichtbar. Giovanni trug die ihn heißblütig verführende Anna herein. Während sie sich noch einmal kurz im Off „frisch“ machte, huschte Proserpina in den Raum, entdeckte Giovanni, trat hinter ihn und in ihn ein, indem sie ihm seine Kleidung vom Leib fetzte und er jetzt in Feuerrot dastand – das war theatralisch handwerklich sehr gekonnt gemacht – ergänzt dadurch, dass sich diese Figur mehrfach erstaunt in die Scham griff, weil sie dort ungewohnt einen Penis entdeckte … dazu wurde Mozarts Ouvertüre gespielt …

Von da an war klar, dass Regisseur Herrmann, die Dramaturgie der Staatsoper und letztlich auch GMD Vladimir Jurowski den leider akzeptabel gewordenen Hochmut pflegten „Mozarts Klassiker ist ja so was von bekannt und durchinterpretiert – wir machen was eigenes Neues und verbessern Librettist da Ponte und den Komponisten“. Denn durchweg traten Proserpina und dann auch der eifersüchtig wachende Pluto (Tänzer Andrea Scarfi) auf und mischten sich „unsichtbar“ in die Handlung ein – mit völlig verzichtbarer, aber extra engagierter Nicht-„Choreografie“. Das gipfelte am Ende in Plutos Abholung Giovannis in die wieder hochfahrende Höllenglut, während Proserpina dem zuvor markant mannhaft agierenden Masetto die Kleider herunterriss und er dann als wohl nächster „Giovanni“-Typ in Rot auf Zerlina zuging … Das ganze Werk also als Proserpinas Verführung von anderen Frauen? Was ist nun Giovanni oder sie? Dabei hat Pluto Giovannis Finger zum tödlichen Hirnschlag des Komturs geführt… und dieser Komtur tritt dann am Ende im roten Totenhemd herein und lässt mit einem Fingertipp Giovanni Richtung Plutos Hölle taumeln … nicht ohne sich zuvor – genialer Regieeinfall! – mit diesem Zeigefinger ein wenig Schlagsahne von Giovannis finalem Mahl genüsslich einverleibt zu haben … dazu wurde Mozarts grandiose Verdammungsmusik gespielt … da bleibt nur in Richtung Herrmann „Nein!“ und „Buh!“

Opulent beeindruckend den ganzen Abend über die Brutalismus-Architektur von Jo Schramm: durch wechselnde Rückwände, Hubpodien und erstaunliche drehbare Bodenklappen mal Standesamt mit Zählautomat für Leporellos „Register-Arie“ – und ganz modern „gendergerecht“ natürlich mit einem schwulen und zwei weiblichen Heiratspaaren! Dann auch Gerichtssaal mit Jungrichter Don Ottavio, dann offener Platz und dann wieder Schlaflandschaft – und als Ausstattungshöhepunkt schließlich das Fest bei Giovanni: mit Raffinesse, Üppigkeit und Können (Bravo: Sibylle Wallum) der ganze Chor der Gäste samt allen Solisten in schier überbordenden Obst-Pflanzen-Blumen-Kostümen als „Archimboldo-Cinemascope“ über die ganze Bühnenbreite … und Pluto mitten drin … da war Giovannis „Champagner-Arie“ eher Nebensache.

Trotz dieser fulminanten Verwandlungstechnik waren neue Zwischenmusiken nötig – kein Wort dazu im Programmzettel. Kein Wort auch zu den projizierten Texten von Pluto und Proserpina und zu den oft spät erscheinenden Übertiteln ließe sich sprachlich auch etwas sagen…

Trost aus Mozarts Musik? Nur bedingt. Vladimir Jurowski bot mit dem groß aufspielenden Staatsorchester ein romantisch „dicken“, oft auch breiten Mozart wie aus dem 19.Jahrhundert – wo zu dieser kalt-kühlen Szenerie Kante, Härte und Tempo zu wünschen wären. Trotz dieser spannungslosen Musikbegleitung wurde staatsoperngerecht sehr gut gesungen. Christof Fischessers Komtur-Bass tönte voll, rund und wuchtig. Vera-Lotte Boecker gestaltete eine Donna Anna zwischen Freude an Giovannis Zugriff, Lügen an Don Ottavio, Trauer um den Vater und Hin und Her der Gefühle mit Sopran-Leuchten. Den Don Ottavio hatte die Personenregie gezielt kritisch gegenüber Anna gezeichnet, was Giovanni Sala entschieden – eben auch ohne „Dalla sua pace“ - sang. Samantha Hankeys betörte mit eleganter Bühnenerscheinung und guter Zerrissenheit für Donna Elviras vokale Ausbrüche im Scheitern. Avery Ameraus Zerlina klang süß und auch mal keck – was nötig war, denn Michael Mofidian war ein sehr selbstbewusster, auch mal „typisch männlich“ auftrumpfender Masetto mit kernigem Bassbariton. Doch da alle historischen Standesunterschiede getilgt waren, blieb seine Unterwürfigkeit gegenüber Giovanni unmotiviert. Darunter litt auch das Profil von Kyle Ketelsens Leporello: gute Töne, aber ohne Witz oder Schlawinerfärbung. Für Konstantin Krimmel in der Titelrolle hätte es der große Durchbruch werden sollen; doch dafür fehlte es an vokalem Auftrumpfen – und dazu kam wohl die Brüchigkeit der Rollenanlage durch das „Konzept“: ein gutes Debüt, mehr nicht. 

Alles zusammen: eine hochfliegende Fehldeutung – viel beeindruckender Szenenaufwand – gute Sänger – aber kein Festspielabend!

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