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Münchner Rundfunkorchester. Foto: Felix Broede

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Musikalisches Parfum voller Esprit – Reynaldo Hahns „Ô mon bel Inconnu“ im Münchner Prinzregententheater wiederbelebt

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Mal ehrlich: Als Musikfreunde hätten wir schon gerne mit der Dame unseres Herzens den Salon betreten in dem ein Pianist oder das Kammerensemble „unser Lied“ anstimmt – einfach so wie mehrfach in „Swanns Welt“ der unsterblichen „Recherche“… und Autor Marcel Proust und Komponist Reynaldo Hahn ständen lächelnd im Raum, wo wir mit diesem Liebes- und Freundespaar dann über den jüngsten Erfolg von Hahns Operette sprächen… alles eine Szenerie aus dem 19.Jahrhundert. Ob Hahns Bühnenwerk auch jetzt noch amüsieren kann, wurde soeben in Zusammenarbeit von Bayerischem Rundfunk und Palazzetto Bru Zane geprüft.

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Der Massenet-Schüler Reynaldo Hahn (1874-1947) ist fast völlig aus den Konzert-Programmen und Spielplänen verschwunden. Dabei bescheinigen ihm die einschlägigen Lexika feinsinnige Harmonik, sofort eingängige Melodik und in seinen „leichten“ Bühnenwerken Witz und Leichtfüßigkeit im Gefolge von Jacques Offenbach. Das diesbezüglich höchst verdienstvolle Münchner Rundfunkorchester tat nun genau das und zeigte, warum es unverzichtbar ist: eine Rarität aus dem Hahnschen Oeuvre von 1933 auszugraben, zusammen mit Palazzo Bru Zane, dem Produzenten für vergessene oder vernachlässigte französische Musik, stilistisch treffend zu besetzen und eine Live-Aufzeichnung zu initiieren.

Natürlich musste für ein deutsches Publikum eine verständliche Fassung der rasanten französischen Dialoge erstellt werden, was BR-Operetten-Kenner Stefan Frey weitgehend gelang und Musik-Gespräch-Moderator Stefan Wilkening dann mit gut gewählten Betonungen, Verzögerungen und Pausen vortrug. Für das zu erahnende Sprachwitz-Feuerwerk der Originals, das Frankreichs singulärer Allround-Star Sascha Guitry geschrieben hat, hätten sich hierzulande wohl Curt Goetz und Heinz Erhardt mit Karl Kraus und Kurt Tucholsky im Himmel treffen müssen: der reich gewordene Hutmacher Prosper (Thomas Dolié) leidet nach einem munteren Vorspiel, bei dem Klarinette, Fagott und Saxophon kurz herausklingen, an seinem Alltag mit Ehefrau Antoinette und Tochter Marie-Anne (jeweils gesungen von ihren Namensschwestern Antoinette Dennefeld und Marianne Croux) samt Hausmädchen Félicie (Lucie Peyramaure); „typisch französisch“ wird da schon die Speisevielfalt des Frühstücks zur kleinen Streit-Nummer; Vater Prosper inszeniert sich selbst deshalb via Kontaktanzeige als alter ego – eine Buchstaben-wuselnde Telefon-Musiknummer. Die Folgen: eine turbulente Liebesabenteuer-Vielfalt, die alle drei Frauen, also zwei Soprane und ein Mezzo, im Hit des Werkes „Ô mon bel Inconnu“ herrlich amüsant und hoffnungsvoll besingen.

Prosper treibt mit drei Schlafzimmern in einer Villa in St. Jean de Luz bei Biarritz alles auf die Spitze – ein fetziges Finale des 2. Akts mit „Partons!“ – „Los geht’s!“. Die Operette der auch in Frankreich „tollen Zwanziger“ traf 1933 kurz vor der nächsten Kriegskatastrophe den Nerv der Zeit: ab 1920 waren für die Pariser Haute Volée eben Les Landes und das grüne Pays Basque die Rettung aus der schon „abgenutzten“ Côte d’Azur.

In der Strandvilla „Mon rêve“ wirbelt prompt alles boulevardesk turbulent durcheinander. Vom Fagott begleitet trifft Félicie als „Jugend“ auf „Geld“ in Person des Villenbesitzers Victor (Laurent Deleuil). Die Klarinette führt Ehefrau Antoinette wieder zum poetischen Briefschreiber-Ehemann Prosper zurück. Tochter Marie-Anne findet im nachgereisten Dauer-Hutkäufer Claude (Philippe Estèphe) einen Couplet-Partner. Das wäre schon ein vom Saxophon schmeichelnd umspieltes, vielfältiges Finale – doch Hahn und Guitry setzen noch eins drauf: durch das Stück geisterte schon der stumme Familienfreund Lallumette (Pierre Derhet); er hat in Schottland die rettende Therapie gefunden „Nicht sprechen, alles singen“ – was zuerst er als Tenor(!) und dann alle sich nicht zweimal sagen lassen, sondern vokal fortissimo loslegen – champagnerlauniges Tutti von Solisten und Orchester, sahnig ins Ohr gehend… und zu all dem erfinden Hahn-Guitry noch einen Gipfel – die frechste aller Schlusspointen: fast in einer Endlos-Schleife tost da von der Bühne ins Parkett „Partez! – Ab nach Hause!“… Schade! Denn das lachende Publikum hätte wohl über den einhelligen Applaus für alle bestens gewählten, locker francophone Solisten, das animiert aufspielende Rundfunkorchester und den bunt befrackten Dirigenten Hervé Niquet hinaus – weil bestens unterhalten – gerne mitgefeiert! So oder so nimmt das Publikum die Frage mit, ob bei diesem Reynaldo Hahn nicht noch mehr zu entdecken wäre…?

Bru Zane hat Hahns „Bel Inconnu“ in anderer Besetzung schon 2019 in Avignon mitgeschnitten und das CD-Buch unter BZ 1043 veröffentlicht.

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