Hauptbild
Die Sängerin sitzt, in rot gemustertem Kleid, mit angewinkelten Beinen auf einem Stuhl und stützt leicht ihren mit schwarzem Locken-Dutt gekrönten Kopf mit einer Hand ab.

Sarah Aristidou durchmisst alle Grade von Flüstern und Hauchen bis Singen und Sprechen. Foto: Andrej Grilc

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Nekrolog auf die zweisame Liebe: „Begehren“ zu Beat Furrers 70. Geburtstag bei den Salzburger Festspielen

Vorspann / Teaser

Die Salzburger Sommerfestspiele leisteten am 11. Tag einen exemplarischen Konzept-Akt: Sie setzten Beat Furrers drittes Musiktheater „Begehren“ als Konzert in die barocke Kollegienkirche − also einen sakralen, nicht säkularen Ort – und in den Zyklus „Ouverture spirituelle“: Spannende und auf den zweiten Blick zutiefst pessimistische Festspiel-Dialektik.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Nicht erst seit den Studien der französisch-israelischen Soziologin Eva Illouz weiß man, dass Konstellationen im Paarkampf um die Liebe und dessen Dispositionen nicht eindeutig an den Geschlechtern hängen. Was früher zwischen den Polen Mann und Frau unumstößlich galt, wird heute in anderen binären und nonbinären Konstellationen für gegeben und möglich betrachtet. Beat Furrers „Begehren“ zweifelt am Glauben und verzweifelt an der Hoffnung: Für alle! Das Werk negiert die Möglichkeiten und das Potenzial von Zweisamkeit, der punktuellen wie der dauerhaften.

Der am 6. Dezember 2024 seinen 70. Geburtstag feiernde Komponist trat selbst ans Pult des Klangforum Wien. Peter Böhm und Markus Wallner leisteten die der musikalischen Leitung gleichgewichtige Klangregie. Es sangen das exquisite Vokalensemble Cantando Admont unter Cordula Bürgi. Zwei ausgezeichnete Vokalsoli seufzten und skandierten. Es lag nicht nur an den alle Grade von Flüstern und Hauchen bis Singen und Sprechen durchmessenden Solopartien, dass die Stimmen der im hohen „Lulu“-Sopranfach international durchstartenden Sarah Aristidou und des lyrischen Bariton-Rhetorikers Christoph Brunner nicht so explizit binär und sinnlich klingen wie die ihre sexuelle Identität mit der Kehle ausstellenden Sänger:innen früherer Generationen. Gesang und Interpretation sind immer ein Spiegel des Zeitgeistes und des sozialen Fluidums. Größere Dosierungen von vokalem Östrogen und Testosteron passen nicht immer und in Furrers archetypischem Musiktheater einer erotisch-emotionalen Auslöschung schon gar nicht. 

Einige Besucher gingen, aber nur wenige. Ein gutes Zeichen: Der in der Schweiz geborene und vor allem in Österreich wirkende Furrer verstört ganz sachlich − ohne Lust an Provokation. Insgesamt ist „Begehren“ durchpulst von zutiefst trauriger und sachlicher Lustferne. Das Werk wird so zur schweren Bürde. Nichts für schwache Nerven und Melancholiker:innen, auch weil Furrers kompositorische Struktur so unheimlich stark, eloquent und suggestiv ist. Im Musiktheater will er kein „bewährtes Rezept“, sondern „Schritte in entlegene Regionen" und „dramaturgisch eine extreme Sache“. Furrers lieblose Bitterstoffe meinen aber nicht nur die Sinne, sondern vor allem das Mangelgefühl durch die Ungleichzeitigkeit und die Ungleichmäßgkeit von Liebe − oder was man diese auch nennt.

Insofern hat es seine Richtigkeit, wenn die Namen der Textgeber für Furrers Korrektur des Orpheus-Mythos vom Beginn des dritten Milleniums zwar im Untertitel stehen, aber im Libretto-Ablauf und den zehn Szenen nicht eigens kenntlich gemacht werden. Furrers Reihung dieser Textsplitter von Ovid, Vergil, Hermann Broch, Cesare Pavese und Günter Eich ergibt ein neues Sujet mit Musik als dem essenziellen Hauptmittel.

Nie sind der Sopran und die Bariton-Sprecher-Stimme zusammen, sondern immer in diskursiver Distanz. Gegenreize von globaler Distanz ereignen sich in vokalen Engführungen. Sie singt, wenn er spricht und umgekehrt. Die subtilen Chorstimmen und Instrumentalklänge erweisen sich als bröckelnde Gebilde, synthetisch zusammengehalten vom Sounddesign.

Liebe ist also nicht Wesen, sondern Un-Wesen. Liebe macht nicht Sinn, sondern Un-Sinn. Es bleibt bei einer Seite die Sehnsucht nach Liebe, bei der anderen der betonierte Abstand: „Lohnt es die Mühe?“ fragt die eine Stimme. Die andere trauert in mit Sanftmut gepolsterter Verzweiflung:

Ich kann zu dir
sprechen als
wärst du hier
und liegt doch die
Nacht zwischen
uns wie ein
schwarzes
Gebirge
jeder Augenblick
eine neue
Felswand von
Trennung
unübersteigbar
endgültiger
mit jeder Stunde

Das ist der episch-dramatisch-melodische Höhepunkt von Furrers Nekrolog an die Zweisamkeit der Liebe.

Ein Doppelabend von Furrers „Begehren“ mit Pascal Dusapins „Passio“, der 2008 und damit zeitnah entstandenen anderen bedeutenden Modifikation des Orpheus-Mythos, wäre faszinierend. Aber das könnte weitaus härter werden als die inzwischen fast modische Kombination von Bartóks Paar-Dystopie „Herzog Blaubarts Burg“ mit Einsamkeitserfahrungen wie Schönbergs „Erwartung“ oder Poulencs „Die geliebte Stimme“. Einen minimalen positiven Funken gab es: „Begehren“ in der Kollegienkirche beinhaltete wenigstens das Angebot zur freien Entscheidung zwischen dem Glauben an die Trostfunktion des Konzertortes und der Verzweiflung über Furrers gnadenlose Studie zum Unding der Liebe:
du kamst aus
der einen
Einsamkeit
und gehst
in die andere

Die Aufzeichnung des Konzerts „Begehren" wird im Radio-Programm Ö1 am 18. August 2024 um 19.45 Uhr gesendet. 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!