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v.l.n.r.: Angus Simmons (Erzherzog Prinz Stefan Christopher) und Zsófia Szabó (Judith Peredy). Foto: Dirk Rückschloß/Pixore Photography

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Neues am Operetten-Hotspot Annaberg-Buchholz: „Die gelbe Lilie“

Vorspann / Teaser

Nicht nur wegen der antisemitischen Kreativ-Ausdünnung, sondern auch durch die Hybridisierung ihrer Mittel und Inhalte stand die Kunstform Operette in den 1930er Jahren vor einer Zäsur. Dafür erweist sich die am 13. Dezember nur unweit vom gewaltigen Weihnachtsmarktrummel in Annaberg-Buchholz mit riesigem Beifall gefeierte Premiere „Die gelbe Lilie“ als exemplarisches Opus. Der Untertitel zum Libretto von Géza Herczeg und István Zágon nach dem gleichnamigen Schauspiel von Lajos Bíró verrät es: Die instrumental aufregende „Ungarische Rhapsodie“ von Michael Krasznay-Krausz versteht sich als Operette Plus. 

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Vibrierende Nachtänze, instrumentale Stimmungsbilder und apartes Kolorit überlagern die relativ seltenen geschlossenen Melodien von Michael Krasznay-Krausz. Die vom Dirigenten Markus Teichler ergänzte Orchestration der Operette „Die gelbe Lilie“ nutzt alle um 1930 verfügbaren Klangbäder: Wagner-Chromatik, Strauss-Zaubereien, Puccini-Exotismen, veredelte Folklore, Einflüsse aus US-Amerika und von Krasznay-Krausz’ Lehrer Zoltán Kodály. Der in Alter von nur 43 Jahren verstorbene Krasznay-Krausz (1897 bis 1940) setzte 1927 mit der für Fritzi Massary komponierten „Frau von Format“ einen der größten Berliner Zwischenkriegserfolge und emigrierte wegen der Machtübernahme nach Wien, wo „Die gelbe Lilie“ 1934 erstmals erklang. 1938 wurde sie in Budapest nachgespielt und verschwand bis zur deutschen Erstaufführung in Annaberg-Buchholz. Die Suche nach dem Aufführungsmaterial war abenteuerlich wie vor der Wiederaufführung von „Eine Frau von Format“ an der Oper Köln im Mai 2025 mit Annette Dasch. Gábor Káli entdeckte im Staatsarchiv Budapest einen Klavierauszug. Aus diesem, einem Textbuch der Wiener Fassung und im Londoner Archiv des Weinberger Verlag gefundenen Orchesterstimmen konnte man rekonstruieren, ergänzen und erneuern.

Egal wie von Götz’ Operetten-Abenteuer ausgehen: Sie sind immer spannend, weil er für jede Inszenierung andere Spieltechniken einsetzt. Gleichbleibend ist Götz’ dichte bis überhetzte Ideenflut, mit welcher er den Theatern ordentlich einheizt. In seinen mit den Ensembles entwickelten Spielfassungen verpasst er den ‚operettigen‘ Stoffen mehr historische Plastizität, inhaltliche Deutlichkeit, erotische Drastik und menschliche Tiefe. Nicht sanft, sondern mit voller Breitseite.

Anlässe gibt es dazu in „Die gelbe Lilie“ viele. In der ungarischen Kleinstadt Hajdúsámson treffen – bei von Götz konkret anno 1938 unter den Ministerpräsidenten Béla Imrédy und Kálmán Darányi – österreichische und deutsche Emigranten auf ungarische und jüdische Einheimische. Es kriselt und menschelt bis zum (von Götz erfundenen) Selbstmord des ganze Familienvermögen verjuxenden Militärs Max von Hessen. Wenn ein Teil der Figuren mit jiddischem Akzent spricht, ist das ein Kolorit, welches auf den noch lange nicht wieder gut gemachten Vernichtung jüdischen Lebens und Kultur erinnern soll.  Von Götz bekommt vom bewundernswert spielfreudigen und empathischen Ensemble 300%, leider aber auch von der akustischen Seite – von letzterer mehr auf- als eindringlich. Die mit Mikroports grobflächig, bar jeder Differenzierung aufgeladenen Gesangsnummern und Dialoge hatten plärrige Penetranz. Die von Arrangeur Markus Teichler im Überschwang dirigierte Erzgebirgische Philharmonie war viel zu laut. Schade: Denn zum Operettenmetier gehört die Kompetenz, Stimmen ohne Knall über das Orchester kommen zu lassen.

Feinschliff gab es also vor allem auf der Bühne. Durch den inzwischen überall selbstverständlichen Genderswitch ergeben sich ganz perfide Konstellationen. Schon scharf: Bettina Grothkopf und Stephanie Ritter spielen zwei ex-habsburgische Offiziere, die dem Glücksspiel und dem gleichen Geschlecht mit ebenbürtiger Hemmungslosigkeit zugetan sind. Als Max von Hessen setzt Richard Glöckner hintergründig komödiantische Marken, bis es nicht mehr geht. Der nette Kerl ist, bis er mit der schwäbelnden Knalldiseuse Mica (Schnauze mit Herz: Malinas Höfflin) zusammenfindet, ein exzessiver Telefon-Junkie am altertümlichen Wählscheibenapparat. Martha Tham gibt den jüdischen Arzt David Peredy, der in Sachen Zucht und Ordnung mit den germanischen Schlächtern durchaus einige Meinungen teilt. Götz macht in der selbst entworfenen Holzscheune und einem Laubhain, aber auch Zitatfetzen aus Klassikern, großes Illusionstheater mit Reminiszenzen an maßgebliche Inszenierungen ganz penibler Regiekollegen. Durch Lichtwechsel – Rainbow Colours bevorzugt – und Figuren im Dämmernebel zeigt von Götz die große erotische Leidenschaft, den frivolen Spaß und die hervorbrechende Verrohung. Katharina Glas legt eine virtuose, für Doppelbödigkeiten sensible Choreographie über das Geschehen. Aus dem Parkett setzt der Opernchor (Leitung: Kristina Pernat Ščančar) nach drei Stunden die pastorale Schlusshymne. 

Angus Simons ist der neue Bariton, Fast-Tenor und Publikumsbetörer des Hauses. Er durchmisst die Metamorphose des Erzherzogs Prinz Stefan Christopher vom abgebrühten Lebemann zum ehrlichen Liebenden, als sei’s ein Drama von Schnitzler und mit der Stimme eines „Eugen Onegin“. Zsofía Szabó als seine jüdische Erwählte Judith singt die vielen „Frag nicht warum“-Reminiszenzen der Titelmelodie mit überaus kräftigem und doppelbödigem Charisma. Sie ist UFA-Heroine, Hauptmann-Figur und emanzipierte Suffragette. Es gibt aber auch Rockrollen von nonchalanter Distinktion: László Vargas gestaltet die ungarische Wirtin Bokor und Baronin Gleichingen, die traditionsbewusste Tante des aus Adel und Vermögen verzichtenden Erzherzogs, mit trockener Anmut und Würde. Verena Hierholzer setzt mit dem jüdischen Dienstmädchen Cilli eine sportiv einprägsame Soubretten-Marke. Wie das Operettenhybrid „Die gelbe Lilie“ selbst passt Götz’ Operetten-Apokalypse also unter kein Etikett. Üppig rinnen dazu „Rosenkavalier“-Kleckse und rauschen die Puszta-Melodien.

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