Im Festjahr Johann Strauss 2025 Wien kommen zum 200. Geburtstag des Walzerkönigs verschiedene Methoden des Operette-Machens auf’s Tablett. Den Anfang machten Strauss' Cervantes-Stück „Das Spitzentuch der Königin“ und das opernnahe Hybridopus mit dem fragwürdigen Titel als „Das Lied vom Rand der Welt oder Der ‚Zigeunerbaron‘“. Im September folgt „Cagliostro“ in einer dramatisch-musikalischen Neueinrichtung von Johnny Bertl und Thomas Brezina im Zirkuszelt Roncalli, schließlich eine Uraufführung von Max Richter mit Anne-Sophie Mutter im Geburtstagskonzert der Wiener Symphoniker am 24. Oktober. Jetzt erklingt dazwischen Strauss’ erste Operette „Indigo und die 40 Räuber“ als Kiez-Tournee und urbane Selbstfeier leicht verändert zu „Indigo und die 23 Räuber*innen“ bis 23. Juni an 23 Stationen.

© Kalinkaphoto
Plitschnasse Räuber*innen: Johann Strauss’ erste Operette „Indigo“ für Wien outdoor
Schon die Premiere war beeinträchtigt. Ein kräftiger Regenguss unterbrach die zweite Aufführung auf der Kaiserwiese im 2. Bezirk bereits 15 Minuten nach Beginn, an Weitermachen war nicht zu denken. Aus „Indigo und die 40 Räuber“ wurde mit dem Wiener KammerOrchester und dem Wiener Kammerchor unter Michael Grohotolsky „Indigo und die 23 Räuber*innen“. Die Eltern dieser burlesken Eigentümlichkeit für die frühsommerliche Bundeshauptstadt sind das urbane Wir Sind Wien.Festival und Johann Strauss 2025 Wien. Und über allem toben bis 22. Juni die Wiener Festwochen 2025 mit dem Motto „V is for Love“. So viele Rainbow-Badges als Zebrastreifen, Geschäftsbeflaggung und generell überall gab es in Wien noch nie. Auch Strauss’ wenig erfolgreiches Bühnendebüt aus dem Jahr 1871, welches weder in der französischen Fassung „Königin Indigo“ noch später in der etwas bekannteren Bearbeitung „1001 Nacht“von Ernst Reiterer so recht zünden wollte, passt unter dieses Motto. Wider Erwarten wurde „Indigo“ bestenfalls hintergründig ein Manifest für sichtbare Queerness, wohl aber für verschlankte Operette „back to the roots“: Nicht als historisch informierte Prestigeleistung, sondern wie vom Thespiskarren gefallen als schlanke Phantasie-Posse mit wenig Abstand zum Publikum – in kleiner Besetzung mit Tanz, Wort und Klang. Statt 40 Räuber sind es 23 Räuber*innen im Titel, weil die Produktion outdoor an jedem Abend woanders zu sehen ist – vom 1. bis zum 23. Juni je einmal in allen Bezirken des Wiener Stadtgebiets. Zu den 23 Räuber*innen gehören also alle Wiener Flanierenden auf den Boulevards, in den Beiseln und Parks.
Die zweite Aufführung anzusteuern schien sinnvoll. Das Projekt lebt nicht von Premierenspannung und maßgeblicher Perfektion, sondern was die beiden Besetzungen an originellen bis edlen Aufführungspunkten in lustvoller Schlacht mit urbanen Gegeben- und Unebenheiten leisten können. Station zwei also im zweiten Bezirk. Das ist an diesem zweiten Juni der wegen wechselhaften Wetters nicht sonderlich gut besuchte Prater. Auf der Kaiserwiese und Gassi-Meile sieht man bei Ankunft zwei Gruppen. Bei der ersten merkte man schnell, dass es sich unter Anführerschaft von zwei Junx mit papiernen Eselsmützen schwerlich um die Strauss-Hommage handeln kann.
Dann also die andere Gruppe mit zwei kleinen Zelten. Unter dem weißen und nur nach hinten geschlossenem Baldachin sitzen einige Musiker*innen, davor Menschen mit Plastik-Regenmänteln. Ins Auge stechen ein rosa Teppich und ein hellblaues Podest mit Blumenattrappe, dazu ein weiteres rotes Zelt als Garderobe. Alles wirkt durchaus theatral, auch durch wenige Reihen mit schwarzen Klappstühlen. Diese sind bei weitem nicht alle besetzt – der überwiegende Teil des Publikums scheint vertraut mit den Akteur*innen dieser Kiez-Sause.
Der Dirigent Raphael Schluesselberg und die auf Herausforderungen mit Outdoor-Off-Opern bestens spezialisierte Regisseurin Anna Katharina Bernreitner trauen sich echt viel. Leonard Eröds ausgekargtes Instrumentalarrangement muss an vielen Aufführungsorten mit Natur-, Stadt- und Technikgeräuschen konkurrieren. Trotzdem: Die Entscheidung, ohne elektronische Verstärkung zu spielen, ist goldrichtig. Das steigert die Konzentration des Zuhörens und gibt den im freien Raum kabarettistisch überspitzenden jungen Opernstimmen ein kongeniales Klangambiente. Das wurde zwangsläufig eher so wie der Sound von Offenbachs Bouffes-Parisiens als wie in dem größer besetzten Orchester des „Indigo“-Uraufführungshauses Theater an der Wien, wo Direktorin Marie Geistinger anno 1871 selbst die Partie der Fantasca übernommen hatte. Besagte Fantasca will in der immer wieder kritisierten Handlung nur weg von der unter anderer Kultur und Knute stehenden Insel Makassar – zurück nach Wien. Denn es gibt massive Kontakthandicaps und ethnische Unterschiede zwischen der im goldenen Käfig gehaltenen Gastgefangenen und dem machoiden König Indigo.
Bis zum Regenguss wurde wenigstens eine wichtige konzeptionelle Setzung Bernreitners klar. Der Eseltreiber Ali Baba, so etwas wie ein ‚Barbier von Makassa‘ mit großer Schnauze und feinem Schalk, ist in Touch zu einem in allen Vorstellungen von einer Frau gespielten Esel. Also weder Esel noch Eselin oder Esel*in, sondern „geschlechtsneutral“. Damit gibt es zum Glück keine Karikatur oder Ausstellung mitsamt Verteufelung patriarchaler Grundpositionen, aber ein beherztes Spiel. Die hier verhandelte dramatische Konstellation ist seit den sogenannten ‚Türkenopern‘ wie Mozarts „Entführung aus dem Serail“ bekannt, war aber auch noch für die Wiener Folgegeneration von Ferdinand Raimunds Zauberstücken ein relevantes Thema. Wie in der Sonderausstellung (Wiener) „Biedermeier“ des Museums Leopold zu sehen, waren Oriental*innen in Porträts, Genre- und Historienmalerei bis zur Gründerzeit ein beliebtes Motiv. In diesem 23-Bezirke-„Indigo“ gerät das Geschehen genrebedingt angemessen und durch die Ausstattung von Katarina Ravlić ein bisschen Richtung Fasching. Bedauerlich nur, dass es offenbar keine Zettel mit der jeweiligen Abendbesetzung gab. Die Veranstaltungsserie endet am 23. Juni im Stadtpark Atzgersdorf.
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