Basisarbeit mit Kindern und Jugendlichen, die sich für alles rund ums Musiktheater begeistern – und dies an einer professionellen Bühne im „ganz normalen“ laufenden Spielbetrieb: das ist das Konzept, mit dem das TheaterJugendOrchester-Projekt (kurz: TJO) in Münster seit 15 Jahren regelmäßig Neugier weckt. In der aktuellen Produktion sind nicht weniger als 33 Schauspieler und 47 Orchestermusiker aktiv. Von Februar an wurde eifrig geprobt und jetzt zum Schluss jeder Tag der Oster-Schulferien investiert, um ein Projekt ganz besonderer Art zu realisieren: das Mondraketenmassaker!
Wie kann es bloß sein, dass die Rakete, mit der sich der etwas kauzige Dr. Kuhna von amerikanischem Boden aus auf den Mond geschossen hat, so weit vom geplanten Zielpunkt entfernt gelandet ist? Und wie vor allem kann es sein, dass an eben diesem unerwarteten Zielort Luft zum Atmen ist, Sauerstoff, der jeden Raumanzug überflüssig macht ... Na, diese Fragen finden Dr. Kuhnas Mitreisende erst einmal nicht so spannend. Weder Simon Wright, der Filmproduzent auf der Suche nach immer neuen Kulissen für seine Streifen, noch Steve Dayton, der milliardenschwere Geschäftsmann mit stets sprudelnden Ideen, wie er an das Geld anderer Leute kommt. Und Buster Crabbe, der ziemlich vulgäre Knacki, ist einfach nur genervt, nach seinem erfolgreichen Gefängnisausbruch auf dem Mond gelandet zu sein – statt daheim bei seiner einsamen und verlassenen Mutti.
Dies das Kernpersonal des Mondraketenmassakers, der jüngsten Ausgabe des „TheaterJugendOrchester-Projekts“ am Theater Münster – ein Auftragswerk, das bei seiner Uraufführung am 11. April galaktisch gefeiert wurde. Aber halt: Zum Kernpersonal gehört auf jeden Fall auch noch Zeta Miller, die Verlobte des Filmregisseurs, die doch so häufig überrascht angesichts ihrer profunden Kenntnisse in Sachen Astronomie und Physik. Mehr als einmal staunt Dr. Kuhna darüber, wie sehr sich Zeta Miller in diesem Metier auskennt. In der Auflösung dieses Rätsels, woher ihr Wissen denn eigentlich kommt, steckt das Geheimnis dieser ganzen interplanetarischen Geschichte: Zeta nämlich ist ein Agentin! Eine jener Amazonen, die sich auf dem Mond einen Lebensraum geschaffen haben und zu dem sie sich zurück sehnt. Dr. Kuhnas Raketenpläne kommen Zeta da ganz recht, gerade auch deshalb, weil sie die Ansteuerung des Zielpunktes zu manipulieren versteht. Also landet die irdische Mannschaft im lunaren Reich der Schönen. Deren Ehemänner („evolutionäre Handbremsen“) sind zu nutzlosen lebendigen Steinen geworden. Empfindlicher indes ist der Umstand, dass für die Amazonen die Luft auf dem Mond ganz buchstäblich knapp wird. Was tun? Ab zur Erde? Schön wär’s – aber dies kann dem wichtigsten Erdenmenschen gar nicht schmecken: dem amerikanischen Präsidenten. Der wittert hier einen außerterrestrischen Angriff von „kosmisch kommunistischen Kriegsweibern“... Pfui Teufel! Da hilft nur eines: er schickt die Rakete mit der Bombe Richtung Mond – ein Massaker! Aber natürlich mit Ironie und Augenzwinkern.
Ein „Retrofuturistical“ nennen die Autoren Christoph Tiemann und Alban Renz ihr Mondraketenmassaker. „Retro“, weil sie Science fiction-Filme der 1950er-, -60er und -70er Jahren als Steinbruch nutzen, um ihren eigenen Plot zu entwickeln. Das gelingt ihnen bravourös, sie verschmelzen Motive aus Filmen wie Missile to the Moon (1958), Zurück in die Zukunft (1985/1990); Planet der Affen (1968), Spaceball (1987) und andere mehr mit dem „Sprech“ von heute: „das könnte Sie auch interessieren“ oder „Meinten Sie vielleicht...“ – ganz heutig ist vor allem der dem Knast entlaufene Buster Crabbe mit seiner drastischen, von Kraftausdrücken geprägten Sprache. Das Ganze ergibt eine durch und durch stimmige Textvorlage für die Musik von Stéphane Fromageot. Die orientiert sich natürlich erst einmal an dem „Retro“-Sound der Filmmusik von einst, schafft damit atmosphärisch dichte Klänge und sorgt für Lebendigkeit, den stets richtigen „Groove“ und jede Menge Power.
Vielschichtige Aufgaben also fürs groß besetzte TJO und seinen Dirigenten Daniel Klein. Der zaubert unwirkliche Sphärenmusik ebenso hervor wie knackige, turbulente Tutti-Attacken: 47 junge Orchestermusikerinnen und –musiker, die es am Premierenabend weder an rhythmischer Präzision noch an klanglicher Geschliffenheit mangeln lassen. Eine tolle, eine außerordentliche Leistung!
Anne Verena Freybott und Alban Renz inszenieren die Story, Annette Taubmann zeichnet verantwortlich für die überaus fantasie- und schwungvollen Choreografien, Kathrine Altaparmakov kreiert die raffinierten Bühnenbilder, Bettina Zumdick die schillernd-bunten Kostüme: ein Gesamtkunstwerk von großer Ausstrahlung und Suggestionskraft! Das lebt von dem ungebremsten Engagement der Sängerdarsteller, in diesem aktuellen Projekt (auch) derjenigen Protagonisten des Cactus Junges Theater aus Münster. Diese Kooperation – erfahrene Theater-Menschen, seit Jahrzehnten praktizierende Orchesterleute als Coaches, ein ambitionierter Dirigent, ein mit dem Theateralltag gut vertrautes Regie-Team – ist ein zukunftsweisendes Konzept, das bei seinem Start vor fünfzehn Jahren bundesweit einzigartig war und inzwischen vom Staatstheater Kassel und vom Musiktheater im Revier Gelsenkirchen übernommen wurde. Das Mondraketenmassaker hat durchaus das Potenzial, nach seiner Uraufführung Eingang zu finden in die Spielpläne anderer Häuser.
Projekt in Gefahr?
Umso erschreckender der Hinweis im Programmheft der Uraufführung, die zukünftige Arbeit des münsterschen TJO sei gefährdet. Ist womöglich nach 15 Jahren Schluss? Ist kein Geld mehr da? Im Vorfeld der Uraufführung kam das Signal der kommunalen Kulturpolitik, das TJO sei politisch gewollt. Na immerhin! Da wäre die Politik nun gut beraten, alle erdenklichen Hebel in Bewegung zu setzen, dem TJO ein gesichertes finanzielles Fundament zu schaffen. Das Theater Münster jedenfalls kann dieses innovative, bildungspolitisch und pädagogisch wertvolle Projekt angesichts der seit Jahren virulenten Sparauflagen nicht mehr allein aus eigenen Kräften stemmen. Eines aber ist klar: an dem Enthusiasmus, dem großen individuellen Engagement, das jeder der Beteiligten des TJO aufbringt, wird es auf gar keinen Fall scheitern. Im Gegenteil: hier wird schon für 2016 Der kleine Horrorladen geplant!
Weitere Termine: 18. 4., 28. 4., 6. 5., 13. 5., 31. 5., 5. 6. 2015