Italien in den 50er-Jahren. Ein einfacher Arbeiter ist hoffnungslos verliebt in eine so reiche wie unerreichbare junge Dame. Der Nebenbuhler steht in den Startlöchern – jetzt kann nichts anderes mehr helfen als, na klar, ein Liebestrank. Wie gut, dass ein Wunderheiler das Blaue vom Himmel verspricht! Das Team der „Jungen Oper Schloss Weikersheim“ ließ in diesem Jahr in einer Inszenierung von Jakob Peters-Messer mit Gaetano Donizettis komischer Oper „Der Liebestrank“ in die Zeit des neorealistiscchen Films im Nachkriegsitalien eintauchen. Eigentlich als Inszenierung unter freiem Himmel im sommerlichen Weikersheimer Schlosshof gedacht, musste wetterbedingt mehr als die Hälfte der neun Opernabende in die nur wenige Fußminuten entfernte TauberPhilharmonie verlegt werden. Egal: Die jungen Sängerinnen und Sänger bewiesen auch im Zuge der halbszenischen Darbietungen mehr als ausreichend schauspielerisches Einfühlungsvermögen.
Schmackhafter Liebestrank
Vor fast sieben Jahrzehnten zog die Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) im Hohenlohischen Weikersheim ein. 1965 fand mit Beethovens „Fidelio“ erstmals eine vollständige Opernaufführung im Schlosshof statt. Bis heute bilden die Internationalen Opernkurse den alle zwei Jahre wiederkehrenden Höhepunkt der musikalischen Nachwuchsarbeit im Renaissanceschloss. Was sie so besonders macht? „Dass wir uns die Zeit nehmen, tief in die musikalisch-künstlerische und darstellerische Materie einzusteigen, um einen quasi authentischen Auftritt zu bewirken“, sagt JMD-Generalsekretär Ulrich Wüster über das aufwändige Projekt. Rund 120 junge Talente aus 26 Nationen schafften es in diesem Jahr in die Erstauswahl und wurden vorneweg zum zweitägigen Workshop mit Improvisationsübungen und einem ersten Vorsingen geladen. Zwölf Sängerinnen und Sänger – einige der fünf Partien im „Liebestrank“ sind dreifach besetzt – bekamen nach einer zweiten Vorsingrunde die Chance, vor großem Publikum auf der Opernbühne zu stehen. Immer wieder waren die Weikersheimer Produktionen in der Vergangenheit das Sprungbrett für junge Talente in erste Festanstellungen.
„Musik von jungen Leuten für junge Leute“: Unter diesem Motto wurde 2015 die Junge Philharmonie Friaul gegründet. Die Musiker*innen sind allesamt jünger als 35 Jahre. Für die musikalische Leitung zeichnet nach der „La-Bohème“-Produktion im Jahr 2019 erneut Fausto Nardi verantwortlich. Die Junge Philharmonie Friaul überzeugt durch Temperament, ist glänzend aufgelegt, spielt flüssig und leicht, kann es aber ebenso wuchtig und versieht die Donizetti-Klänge phasenweise mit regelrecht Zirkushaftem.
Nicht zum ersten Mal konnte Jakob Peters-Messer als renommierter Opernregisseur für das Nachwuchsprojekt gewonnen werden; 2009 hatte er schon „Die lustigen Weiber von Windsor“ bei der Jungen Oper Schloss Weikersheim inszeniert. Peters-Messer sei einer, sagt Generalsekretär Wüster, der zwar mit einem Regiekonzept komme, den Darstellern darin jedoch individuelle Freiheiten lasse.
Inspiriert von den Fellini-Filmen der 1950er-Jahre hält Peters-Messer nun das Bühnenszenario im ersten Akt weitgehend in Schwarz-Weiß als Spiegel eines realen dörflichen Lebens (Bühnenbild/Lichtdesign: Guido Petzold). Im zweiten Akt wird die Bühne – in der halbszenischen Inszenierung vor allem durch die Kostüme (Kostümbild Angela C. Schuett) – bunt und verwandelt sich in eine Art Zirkuswelt der Illusionen und Fantasie. Kurzum: In eine Welt, in der alles möglich ist und auch ein armer Arbeiter mit einer reichen, höherstehenden Dame zusammenkommen darf.
An diesem Abend ist die chilenische Sopranistin Alyson Rosales (alternierend Hyerin Park und Anastasiia Tkachenko) in der Rolle der wohlhabenden jungen Dame Adina zu erleben, die erst im März dieses Jahres an der Deutschen Oper Berlin als Prima Cercatrice debütierte und zuvor manchen Preis und manches Stipendium einkassiert hatte. Sie verzaubert mit warmer, kraftvoller Stimme und zeichnet eine so selbstbewusste wie reizende Adina mit starkem Charakter. Noch viel hören dürfte die Opernwelt in Zukunft auch von dem aus Südkorea stammenden Jongyoung Kim als Nemorino (alternierend Wei Liu und Florian Wugk), der – als „kleiner Niemand“ ganz zauberhaft verliebt in seine Adina – mal zart und zerbrechlich, mal stimmgewaltig vor allem aber mit jugendlicher Frische um seine Angebetete kämpft. Bravorufe und langer Zwischenapplaus für seine sehnsüchtige Ariendarbietung „Una furtiva lagrima“! Auch als Paar harmonieren die beiden Jungtalente stimmlich wie schauspielerisch hervorragend. Ab der Spielzeit 2023/2024 wird Jongyoung Kim Mitglied des Opernstudios NRW.
Der südkoreanische Bass-Bariton Chanyang Choi schlüpft an diesem Abend in die Rolle des Wunderdoktors und Dompteurs Dulcamara (alternierend Jinseok Kim) und gestaltet sie mit leidenschaftlicher Spielfreude – ein echt schlaues Schlitzohr, der auch gesanglich in herrlich „dreckige“ Abgründe eintauchen kann. Lars Conrad in der Rolle des Sergeant Belcore (alternierend Kanghyuk Lee) gibt indes den selbstverliebten Unsympathen, sein samtiger Bariton schmeichelte indes. In der Nebenrolle der Gianetta (alternierend Lydia Kakopierou) schließlich erlebte das Publikum die auch in jungen Jahren schon recht erfahrene dramatische Sopranistin Merith Nath-Göbl, die seit Kindertagen auf der Bühne steht. 2023 gewann sie den Richard-Wagner-Nachwuchspreis und das Bayreuth-Stipendium.
Das Publikum dankte für einen unterhaltsam-leichten Opernabend mit viel Applaus und Jubel. So schmeckt ein Liebestrank ganz hervorragend. Von wegen Placebo!
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