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Drei Schwestern 2025: Dennis Orellana (Irina), Aryeh Nussbaum Cohen (Olga), Cameron Shahbazi (Mascha). © SF/Monika Rittershaus
Drei Schwestern 2025: Dennis Orellana (Irina), Aryeh Nussbaum Cohen (Olga), Cameron Shahbazi (Mascha). 
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Sehnsucht zwischen Trümmern – Die „Drei Schwestern“ von Peter Eötvös in Salzburg

Vorspann / Teaser

Bei den Salzburger Festspielen 2025 wird Evgeny Titovs Inszenierung der Oper „Drei Schwestern“ von Peter Eötvös als eindrucksvolles Gesamtkunstwerk bejubelt.

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Bei den aktuellen Opernpremieren bei den Salzburger Festspielen haben es die Bühnenbilder in sich. Eins gibt es fast garnicht, was aber bei der semiszenischen Mozartjugendoper „Mitridate“ kein bisschen stört. Ulrich Rasche sorgt mit seinen Drehscheiben bei „Maria Stuarda“ von Donizetti auch für szenische Überwältigung. In zwei weiteren Fällen imaginieren die Bühnenbilder Beklemmung. Im Falle von Dmitri Tcherniakovs „Giulio Cesare“ kommen zu der Bunkerenge, in die er heutige Wiedergänger der Herrscher Roms und Ägyptens einpfercht, simulierte Bombenangriffe und eingespielte Sicherheitswarnungen. Der Bunker hält das aus, die Oper nicht.

Umgekehrt ist es nebenan in der Felsenreitschule bei Peter Eötvös Oper „Drei Schwestern“.

Diese Produktion besteht den Festspieltauglichkeitstest spielend: Es ist ein wichtiges Werk der Moderne, das sich seinen Platz im Repertoire gesichert hat. Das Sujet ist eine so bedeutende Vorlage, dass sich die Geschichte fast von selbst auf Augenhöhe mit den Fragen der Zeit auf der Bühne verhandeln lässt. Dazu nutzt eine ambitionierte Deutung die Chance, die damit verbunden ist, für eine Ästhetik, die konsequent und wirkungsstark ist, aber denn nicht plakativ wird. Zu all dem natürlich eine Besetzung, die sich ohne Abstriche auf Festspielniveau bewegt.

In diesem Sinne komplettiert die Neuinszenierung von Peter Eötvös’ „Drei Schwestern“ den aktuellen Opernspielplan der Festspiele an der Salzach.

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Drei Schwestern 2025: Cameron Shahbazi (Mascha), Aryeh Nussbaum Cohen (Olga), Dennis Orellana (Irina), Eva Christine Just (Mütterchen). © SF/Monika Rittershaus
Drei Schwestern 2025: Cameron Shahbazi (Mascha), Aryeh Nussbaum Cohen (Olga), Dennis Orellana (Irina), Eva Christine Just (Mütterchen). © SF/Monika Rittershaus
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Für diese erfolgreichste Oper des 2024 verstorbenen Komponisten hatte Claus H. Henneberg das berühmte Schauspiel von Anton Tschechow zu einem Libretto verarbeitet. Eine Besonderheit ist, dass Eötvös die drei Titelpartien in die Kehlen von drei Countertenören gelegt hat. Zu Zeiten der Lyoner Uraufführung, 1998, eine künstlerische Entscheidung, die noch nicht im Verdacht stand, Zeitgeistmoden zu huldigen. Zusammen mit dem enormen Orchester- und Personalaufwand, den man braucht, um die „Drei Schwestern“ auf die Bühne zu bringen, tendiert das Ganze natürlich per se eher in Richtung Festspiele (und besonders ehrgeizige Opernhäuser).

In die Felsenreitschule, die sich in der Nachbarschaft des Hauses für Mozart immer wieder als ein Haus für die Moderne bewährt hat, ist diese Oper jedenfalls genau richtig. Zumindest, wenn sie so durchdacht inszeniert ist wie jetzt von Evgeny Titov; wenn der Bühnenraum so passgenau gestaltet ist, wie es Rufus Didwiszus gelungen ist; und wenn gemeinsam mit die Instrumentalisten unter Leitung der Dirigenten Maxime Pascal (im Graben) und Alphonse Cemin (hinter der Bühne) eine so handverlesen Crew agiert wie in diesem Fall, dann geht eine solche Inszenierung zu Recht als ein Höhepunkt in die Festspielbilanz ein.

Die Bühne macht aus der russischen Provinz von ehedem ein postkatastrophisches Trümmerfeld - vielleicht von übermorgen. Wahrscheinlich an der Strecke, die nach Moskau führt. Ein Gleis ist zerborsten, so, wie der Beton der Brücke oder der Mauern, die hier mal gestanden haben müssen. Immer wieder flackert Feuer auf. Dazwischen steht ein Krankenbett mit einer alten Frau drin, die sich am Ende ein kleines Stück aus der großen Turmtorte stibitzt (Mütterchen Russland? Vielleicht). Es ist ein Leben, das nur noch aus Erinnerung und Hoffnung besteht. In diesen Trümmern wird alles, was geschieht, zu einer Simulation von Gegenwart. Wenn die drei Schwestern im Tunneleingang ganz in Weiß auftauchen, ist das bildgewordene Melancholie. Ihr Traumort Moskau kommt nur noch als verbeulter Wegweiser in den Trümmern vor. Bei Tschechow verstand sich Moskau als Sehnsuchtsort noch von selbst. Aber von der Faszination der tschechowschen Provinzlangeweile ist schon bei Eötvös kaum was übrig, bei Titov schon gar nicht.

Die Wucht der Bühne bestimmt die Wirkung der Musik, die zwischen den Trümmern aufsteigt und sie umspielt, wobei die Stimmen allemal ihren Platz behaupten. Die drei Blickwinkel, die den Erzählfluss strukturieren, treten dabei zwar hinter die Wucht der Optik zurück, fügen sich aber in einen atmosphärischen Strom, der seine eigene Suggestivkraft entfaltet.

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Drei Schwestern 2025: Jörg Schneider (Doktor), Dennis Orellana (Irina), Aryeh Nussbaum Cohen (Olga). © SF/Monika Rittershaus
Drei Schwestern 2025: Jörg Schneider (Doktor), Dennis Orellana (Irina), Aryeh Nussbaum Cohen (Olga). © SF/Monika Rittershaus
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Mit verinnerlichter darstellerischer Eleganz verkörpern die jungen Männer die drei jungen Frauen, die ihre Lebenssehnsucht, weg aus ihrer alles lähmenden Provinz, zieht. Der honduranische Sopranist Dennis Orellana ist eine fast schüchtern zurückgenommene Irina. Sein kanadisch-persischer Kollege Cameron Shahbazi die ebenso elegante, dabei jedoch temperamentvoll expressive Mascha. Aryeh Nussbaum Cohen verleiht Olga den Habitus der für alle sorgenden mütterlichen Schwester. Die jeweils eigenen Farben der Stimmen führen zu einem wunderbaren Mix der Stimmlagen zwischen Sopran und Alt. Dazu kommt der Counter Kangmin Justin Kim, der aus der Schwägerin Natascha ein aufgedonnertes, exaltiertes Kabinettstück macht, das für Momente von Humor in all der Tristesse sorgt. Kräftige Männerstimmen wie die von Mikołaj Trąbka als Baron Tusenbach und Jacques Imbrailo als Bruder Andrej sorgen für dunkle Farben im Ensemble.

Musikalisch ist das auch deshalb packend, weil Eötvös den Charakteren eigene Instrumente zugeordnet hat. Maxime Pascal sorgt am Pult des Klangforum Wien Orchestra für das Fundament des ausdifferenzierten, raumfüllenden Orchesterklangs. Alphonse Cemin steuert zu den 18 Musikern im Graben mit dem zweiten 50-köpfigen Orchester hinter der Bühne weitere originelle Effekte bei. Auch wenn einem das während der Aufführung so gar nicht bewusst wird. Das Gesamtkunstwerk behauptet sein Recht. Und wird bejubelt.

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