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„Die Judith von Shimoda“. Foto: © Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler

„Die Judith von Shimoda“. Foto: © Bregenzer Festspiele/ Anja Köhler

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Zu Komplexes für eine Heldin – „Judith von Shimoda“ bei den Bregenzer Festspielen

Vorspann / Teaser

„Endlich!“ müsste der musikdramatische Aufschrei im Publikum gellen: „… wird auch einer der kleinen Heldinnen und ihrer anschließenden Geringschätzung gedacht!“ Also dem, was in Deutschland, Österreich und Japan – oder weltweit bei aller Oppression - erst einmal über eine Generation lang, letztlich bis heute stattfand und findet: medial groß inszenierte Ehrung für ein paar zu Recht zu ehrende große oder gängige Namen; kaum mehr als regionale Erwähnung der vielen „kleinen“ Heldinnen und Helden gegen alle inhumanen Bedrohungen – außer jetzt bei den Bregenzer Festspielen.

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Shinai Okichi? Japan 1856? US-Kanonenboot-Diplomatie für Freihandelsabkommen? Ein wenig via Internet-Lexikon; ein japanisches Drama; Brechts Überarbeitung im finnischen Exil; 2008 ein deutschsprachiges Drama; 2020-2023 Libretto von Juan Lucas und Komposition durch den europäisierten Argentinier Fabián Panisello; Uraufführung nun in der Bregenzer Werkstattbühne – von Intendantin Sobotka durchaus überlegt als Kontrast zu „Madame Butterfly“ auf der Seebühne gewählt.

Die nüchternen Fakten zu einem Frauenschicksal: Die Edel-Geisha Okichi hatte der brachialen US-Drohung, die Häuser ihres Heimatorts Shimoda durch Kriegsschiffe in „brennende Laternen“ zu verwandeln, ihren anscheinend bezaubernd heiteren Gesang entgegengesetzt und die quälenden Magenkrämpfe des US-Konsuls mit Kuhmilch so beruhigt, dass die Verhandlungen zu einem unblutigen Abschluss kamen. Diesem „Sieg durch Kunst“-Leuchten folgte Düsteres: aus dem heute absurd anmutenden, damaligen japanischen Kulturgebot „Kein Melken von Vierbeinern – keine Milch“ erwuchs moralische, gesellschaftliche und soziale Ausgrenzung der „Amerikaner-Okichi“; zu späte Hilfe lehnte sie stolz als „stinkenden Anstand“ ab und starb im Elend.

Das ist „Bühnenfutter“. Doch statt sofort zugänglicher Emotionen hat Fabián Panisello verhirnt konstruierte Klänge komponiert. Da spielen im hochkonzentriert und sicher agierenden, 18köpfigen „amadeus ensemble wien“ schon mal Flöte, Violine, Cello, Akkordeon, Harfe und Klavier zusammen - unergiebig; da bietet ein zweigeteiltes „Mords-Schlagwerk“ raffinierte Reize – und dann doch noch Zuspielungen vom Band; statt der japanischen Shamisen liefert eine E-Gitarre wilde Riffs – musikdramatisch in den 100 pausenlosen Minuten: da wurde keine Heldentat-Musik hörbar, zu der dann eine Schicksalsklage kontrastieren könnte.

… da wurde keine Heldentat-Musik hörbar, zu der dann eine Schicksalsklage kontrastieren könnte …

Leider sind auch alle Singstimmen im dramatisch kaum nachvollziehbaren Diskant-Sprung-Nicht-Melodie-Duktus komponiert. Nirgendwo stellt sich emotionaler Zugang ein, auch wenn unter Walter Kubéras Leitung engagiert musiziert wurde … selbst der mit heutigen Gesten als aktueller Protest-Song inszenierte „Geisha-Rap“ zündete nicht so recht, auch nicht die im Werk integrierte Marktplatz-Ballade „Legende der Okichi“.

Das gilt auch für die Inszenierung von Carmen Kruse. Die Doppelung der Bühne in einem großen 45-Grad-Spiegel vertiefte kaum. Völlig in ein visuelles Abseits führten die Kostüme von Ausstatterin Susanne Brendel: erlesene Hässlichkeit heutigen Szene-Schicks, von unvorteilhaft bis desavouierend. So beeindruckte inmitten eines guten Solisten-Ensembles nur die in sich selbst ruhende Entschlossenheit, mit der Anna Davidson die Okichi gestaltete: da war ein großes Thema zu ahnen, das einen anderen Text und eine andere Komposition verdient hätte.

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