750 Jahre wird er alt: der Paulusdom, die Kathedralkirche des Bistums Münster im Herzen von Westfalen. Das Jubiläum wird ordentlich gefeiert. Und für Domorganist Thomas Schmitz, bietet es Gelegenheit, zum ersten Mal alle vier Orgeln an seinem „Arbeitsplatz“ auf einer CD zu präsentieren: ausschließlich mit Orgelwerken von Johann Sebastian Bach.
Johann Sebastian Bachs filigran kontrapunktische Orgelmusik im so nachhallsatten münsterschen Dom – geht das? Das geht, wie Thomas Schmitz mit seiner neuen CD beweist. Schon gleich eingangs mit der festlichen Sinfonia aus Bachs Ratswahlkantate („Wir danken dir Gott, wir danken dir“): die spielt Münsters Domorganist mit durch und durch fesselnder Sogkraft, dass es eine wahre Freude ist. Und er „orchestriert“ sie für die große Hauptorgel mit ihren gravitätischen Klangmöglichkeiten so zwingend, dass man sich kaum eine andere Version mehr vorstellen kann. Zugrunde liegt seiner Fassung eine Version, die der Pariser Komponist und Organist Alexandre Guilmant (1837 bis 1911) erstellt hatte. Schmitz modifiziert sie noch einmal und richtet sie ganz gezielt auf die klanglichen Möglichkeiten der Hauptorgel im Dom zu Münster ein. Manche Einwürfe klingen geradezu wie ein Bläserchor! Das hat enorme Wirkung.
Thomas Schmitz, Jahrgang 1971, eröffnet dem Zuhörer mit dieser Produktion (seine vierte CD aus Münsters Dom) aber auch erstmals einen schönen Überblick über die übrigen Instrumente der Kathedrale, die bei der Dommusik regelmäßig eingesetzt werden. Ganz zauberhaft reihen sich die Variationen über „Christ, der du bist der helle Tag“ wie Perlen aneinander, gespielt auf dem Positiv im Westchor, dessen Entstehungszeit in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückreicht. Seit der letzten Restaurierung 2009 durch Johannes Rohlf (die eigentlich ein Neubau unter Beibehaltung des gesamten historischen Kerns ist) steht da ein wahres Kleinod zum täglichen Gebrauch zur Verfügung. Es sind nicht mehr als gerade mal acht Register – die aber verströmen, so wie Schmitz sie hier miteinander kombiniert, einen unwiderstehlichen Charme.
Genau die richtige Literatur für das noch kleinere Orgelpositiv in der Marienkapelle, von Franz Breil in den 1960er Jahren erbaut, sind Bachs „Vier Duette“. Die fristen auf den Konzertprogrammen weitgehend ein Schattendasein, sind aber wirklich wertvolle Musik. Auch hier überzeugt Schmitz’ durch und durch farbiges Spiel und beweist, dass auch „nur“ drei Register sehr abwechslungsreich wirken können.
Die Hauptorgel des Paulusdoms, ursprünglich 1956 von Hans Klais (Bonn) erbaut, wanderte 1987 nach einer umfassenden Sanierung der Kathedrale in das südliche Querschiff und erhielt bei dieser Gelegenheit ein komplett neues, ebenerdig platziertes Gehäuse. Dieser Standort wurde gewählt, obgleich er sich von vornherein hinsichtlich der Klangabstrahlung als sehr problematisch erwies. Dieses Defizit – die weitgehend indirekte Wahrnehmung des Klangs für Menschen, die sich direkt im Hauptschiff des Domes befinden – wurde ausgeglichen durch ein neues Fernwerk, hier „Auxiliar“ genannt, das im Jahr 2002 im Nordturm des Doms installiert werden konnte. Dessen spezifisches Charakteristikum: eine Hochdruck-Tuba nach englischem Vorbild. Seitdem ist der Orgelklang eigentlich in jedem Winkel des Domes präsent. Neben dieser (für Bach selbstverständlich ungeeigneten) Hochdruck-Tuba verfügt diese Turmorgel aber auch über ganz „klassische“ Register. Und die lässt Thomas Schmitz sehr schön sowohl mit Bachs cembalohaft angelegter Toccata e-Moll (BWV 830,1) als auch mit den drei Variationen über „Christ ist erstanden“ (BWV 627) erklingen.
Zum Schluss meldet sich natürlich noch einmal die Hauptorgel wieder. Mit der g-Moll-Fantasie nebst Fuge (BWV 542). Die Fantasie: ein kühnes Werk mit unglaublichen harmonischen Raffinessen, das Schmitz mit genau der richtigen Dramatik versieht, das er agogisch fein nuanciert. Die Fuge: ein Parforceritt in idealem, höchst lebendigem, aber nirgends übereiltem Tempo.
Toms Spogis zeichnet verantwortlich für die Aufnahme(-Technik). Und auch er liefert ein Meisterstück, fängt die Instrumente in ihrer ganzen Natürlichkeit ein. So entsteht ein authentischer Raumklang-Eindruck. Das CD-Booklet ist professionell gemacht, liefert alle wünschenswerten Informationen und üppiges Bildmaterial.