Jürgen Goldstein: Nick Drake. Eine Annäherung, Matthes & Seitz, Berlin 2025, 291 S., Abb., € 25,00, ISBN 978-3-7518-2043-1
Jürgen Goldstein: Nick Drake. Eine Annäherung, Matthes & Seitz
Aura des Rätselhaften
Es sind gute Zeiten für Fans und Verehrer des großen Nick Drake: Vor zwei Jahren erschien mit Richard Morton Jacks „Nick Drake. The Life“ die definitive und (leider auch im Wortsinne) erschöpfende Biografie des 1974 im Alter von nur 26 Jahren an einer Überdosis Antidepressiva verstorbenen Singer-Songwriters. Dann kam vor einigen Monaten mit „The Making of Five Leaves Left“ eine herrliche Edition seines Debütalbums heraus. Sie lohnt schon wegen jener bisher unveröffentlichten Versionen einiger Songs, die er alleine an seiner Gitarre im Studio einspielte, um alle Beteiligten auf den Stand seines Materials zu bringen. Den mit entwaffnender Direktheit aufgenommenen Drake hörbar gut gelaunt singen und spielen zu hören, ist von schmerzhafter Schönheit.
Da fügt sich diese Publikation bestens ein – „eine Annäherung“, wie der Philosophie-Professor Jürgen Goldstein sein Buch nennt. Was der Autor damit meint, wird rasch klar: Es geht ihm weder um eine weitere Biografie noch um eine rein musikbezogene Auseinandersetzung mit seinem schmalen, aber substanzreichen Œuvre (die übrigens nach wie vor aussteht und längst überfällig wäre). Stattdessen geht Goldstein der Frage nach, warum bei allem Faktenwissen, das mittlerweile verfügbar ist, Drake nach wie vor eine Aura des Rätselhaften umgibt, während man sich ihm gleichzeitig in seiner Musik so nahe fühlt.
In gut 45, oft nur kurze Kapitel gliedert Goldstein sein handliches und sorgfältig bebildertes Buch. Gekonnt wechselt er so zwischen biografischen, musikalischen, (durchaus auch kritisch) auf Drakes Texte bezogenen und das kulturelle Umfeld betreffenden Blickwinkeln. Dabei wird schnell klar, wie gut er sich im Drake-Kosmos auskennt, ohne dass er dieses Wissen ständig zur Schau stellen müsste. Wie er etwa im langen Abschnitt zu „River Man“ sein weites Netz an Aspekten bündelt, um Drakes wohl größtem Song auf den Grund zu gehen, ist bewundernswert.
Jürgen Goldstein: Nick Drake. Eine Annäherung, Matthes & Seitz
Ein weiteres längeres Kapitel widmet sich der „Englishness“, die Drake gerne attestiert wird. Goldstein zieht ein gut begründetes, differenziertes Fazit: Der Symbolismus in Drakes Texten sei nicht nur von der englischen Romantik, sondern ebenso vom französischen Existenzialismus beeinflusst, so Goldstein, und er sei „Medium einer nostalgisch verklärten Vergangenheit und zugleich Teil der pulsierenden Musikszene jener Jahre“ (S. 56). Wenn sich seine Kunst als Ganze also nicht auf den Begriff der „Englishness“ bringen lasse, so sieht Goldstein in der Charakterisierung dennoch „etwas Entscheidendes getroffen“. Drakes Musik sei „auf eine wohl sehr englische Art gemäßigt“ und treffe einen Ton, „der durch die Gegenwart hindurch die Präsenz des Vergangenen aufschließt“ (S. 57).
Der Produzent Joe Boyd hat sich vielfach über seine Arbeit mit Drake geäußert, doch Goldstein hat ihm im Gespräch noch einige interessante Gedanken entlockt. So bereut Boyd es, Drake nie auf João Gilberto angesprochen zu haben, denn der stehe – was das Verhältnis Gitarre-Gesang angeht – Drake wohl am nächsten, indem er das Instrument nicht als Begleitung, sondern als Gegenstimme im Dialog mit den gesungenen Texten verstehe. Um zu erkennen, wie Recht Boyd hat, genügt ein Beispiel: Hört man „Undiú“, die hypnotische zweite Nummer auf der von Wendy Carlos sparsamst produzierten Platte „João Gilberto“ von 1973, so drängt sich die Parallele zu Drakes finalem Album „Pink Moon“ und der Gedanke einer musikalischen Seelenverwandtschaft geradezu auf.
Besonders sympathisch ist an diesem ausgezeichnet gelungenen Buch die Tatsache, dass immer wieder auch der reflektiert-enthusiastische Hörer Goldstein mit sehr persönlichen Erkundungen und Beobachtungen zu Wort kommt. Was uns zum Kern des Faszinosums Drake führt: Während wir uns in der oft nicht bloß melancholischen, sondern wahrhaft existenziellen Verlorenheit seiner Musik auf merkwürdige Weise geborgen fühlen und meinen, ihn darin erkannt zu haben, meinen wir uns selbst.
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