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Kurt Masur wird 85 Jahre alt
Kurt Masur wird 85 Jahre alt
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Ein Leben für die Musik – Kurt Masur wird 85

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Überall dort, wo Kurt Masur längere Zeit in Amt und Würden gewesen ist, hat man den Dirigenten rasch für sich vereinnahmt. So gilt er vielen als Dresdner, als Leipziger, einigen vielleicht noch als Mann von Schwerin, anderen als Homme de Paris und wieder anderen als waschechter New Yorker oder Londoner. Von Haus aus ist Kurt Masur nichts von all dem. Er kam am 18. Juli 1927 im schlesischen Brieg zur Welt. Dieser Ort des großen Dichters Friedrich von Logau liegt heute in Polen und trägt den Namen Brzeg. Masur ist dort Ehrenbürger.

 

Termine sind in jedem Künstlerleben so etwas wie das A und O im griechischen Alphabet. Bei einem Musiker, einem Dirigenten zumal, sind Termine auch eine Art Taktgeber in der Vita – beruflich geht es bei ihnen sowieso um höchste Präzision von Zeit und Rhythmus.

Eine rekordverdächtig lange Frist verbindet sich mit dem Namen von Kurt Masur als Gewandhauskapellmeister in Leipzig. Der Maestro ist 26 Jahre lang in dieser Position gewesen, hat dort den Klang des Orchesters wieder als unverwechselbar schärfen und 1981 den Neubau der Spielstätte durchsetzen können. Zahllose Konzerte, Aboreihen, Rundfunkaufnahmen und Schallplattenaufnahmen hat er in diesem Amt realisiert. In Leipzig hatte der gebürtige Schlesier – noch immer sagt er von sich, was er heute sei, sei er in Schlesien geworden – nach einer Elektrikerlehre beim Vater und erstem Musikunterricht in Breslau auch sein Studium in den Fächern Klavier, Komponieren und Dirigieren absolviert. In ebenfalls rekordträchtigen zwei Jahren! Untrennbar ist und bleibt Kurt Masur mit dem Herbst 1989 verbunden, als er zur schicksalhaften Montagsdemonstration am 9. Oktober im Kreise der Leipziger Sechs mit dem Aufruf „Keine Gewalt!“ zum friedlichen Gelingen der Menschenansammlung beitrug. Noch im selben Jahr ist er zum Ehrenbürger der Bach-Stadt gekürt worden.

Aufgrund Masurs reger Anteilnahme am politischen Geschehen und insbesondere seiner Rolle im Prozess von Dialog und gesellschaftlicher Wende ist ihm nur wenig später das Amt des Bundespräsidenten angetragen worden – das hat der Künstler gewiss nicht nur aus terminlichen Gründen abgewiesen.

Vor seiner langen Leipziger Zeit als Nachfolger eines Felix Mendelssohn Bartholdy im Amt des Gewandhauskapellmeisters hat Kurt Masur längst das Dirigentenhandwerk ausgiebig im Alltag erfahren. Stationen wie Halle/Saale, Erfurt, Schwerin sowie die Komische Oper Berlin gingen seiner Anstellung als Chefdirigent der Dresdner Philharmonie (1967-72) voraus. Noch immer liegt man ihm dort quasi zu Füßen, in der kommenden Spielzeit soll er dem vorerst hauslosen Orchester gar als Artist in Residence dienen und drei Konzerte in Dresden sowie zwei Gastspielreisen übernehmen. Der enorme Lokalstolz dieser Kunststadt verweist gern auf hier wirkende Koryphäen wie Masur und dessen vorige Woche ebenfalls 85 gewordenen Kollegen Herbert Blomstedt – muss aber realistischerweise auch hinnehmen, dass all diese Maestri dem Elbtal den Rücken gekehrt haben. Bezeichnend, dass just diese beiden Mannen des Jahrgangs 1927 später am traditionsreichen Gewandhausorchester gewirkt haben, Blomstedt folgte Masur bekanntlich im Amt des Kapellmeisters von 1996 bis 2005. Beide sind längst Ehrendirigenten am Gewandhaus. Als Weltbürger ist Kurt Masur nach wie vor in Leipzig zu Hause.

Neben solchen Terminen wie Montagsdemonstrationen und Mauerfall ist Masurs Wirken auch interkontinental relevant. Schon während seiner Leipziger Jahre wurde er als Chefdirigent des New York Philharmonic Orchestra verpflichtet (1991-2002), es folgten Engagements als Musikdirektor des London Philharmonic Orchestra (2000-2007) sowie des Orchestre National de France in Paris (2002-2008). Gastverpflichtungen führen ihn darüber hinaus in alle Welt, unter anderem ans Pult des Israel Philharmonic Orchestra, wo er ebenfalls Ehrendirigent ist. Überhaupt wurde er im Laufe seines langen Lebens allenorts mit Honorationen geradezu überschüttet. Seine Geburtsstadt machte ihn 1999 zum Ehrenbürger. Die Liste sonstiger Ehrungen und Auszeichnungen ist geradezu unüberschaubar. Ebenso die seiner Einspielungen und musikalischen Vorlieben.

Manchen Musikliebhabern gilt Kurt Masur als Interpret der Romantiker par excellence. In der Tat hat er Schubert, Schumann und Mendelssohn bestens gepflegt, aber ebenso dürfte er das Etikett eines Förderers russischer Komponisten von Tschaikowski bis Schostakowitsch für sich verbuchen, müsste für Beethoven-, Brahms- und Bruckner-Zyklen genannt werden, für Uraufführungen von Reiner Bredemeyer, Hans Werner Henze, Gija Kantscheli, Siegfried Matthus, Friedrich Schenker und Alfred Schnittke bis hin zu Siegfried Thiele und Karl Ottomar Treibmann.

Zahlreiche Namen wurden ihm angeheftet, die F.A.Z. schrieb einst vom „Unbeugsamen“, Quick und Spiegel sahen mal Hemingway, mal Brahms in diesem großen, bärtigen Mann (die Größenangaben wechseln zwischen 1,87 und 1,92 m), laut New York Times sei er gar „eine intelligente Mischung aus Furtwängler, Toscanini, Bernstein und Otto von Bismarck“. Masur hat freilich auch ein Etikett für sich selbst und fühlt sich zuvörderst als „Sendbote des Humanismus“.

Im Menschlichen wird ihm ein Datum unvergesslich bleiben, der Tod seiner zweiten Ehefrau am 26. April 1972 auf der Autobahn Berlin Leipzig. Tochter Carolin, heute eine angesehene Opernsängerin, überstand diesen Unfall auf dem Rücksitz unverletzt. Der 1977 geborene Sohn Ken-David, als Dirigent in die Fußstapfen des Vaters getreten, stammt aus der 1975 geschlossenen Ehe mit der japanischen Sängerin Tomoko Sakurai, die bis heute besteht. Drei weitere Kinder hat Masur aus seiner ersten Ehe.

Just am 26. April 2012 ist der Jubilar bei einem Konzert im Théâtre des Champs-Élysées gestürzt und brach sich ein Schulterblatt. Wie es heißt, sei er auf dem Weg der Besserung und wolle, „wenn alles gut geht“, am 22. Juli in Tanglewood wieder ans Pult treten. Mozart open air – als nächster Termin im Kalender dieses ruhelosen Mannes, der sein Leben ganz in den Dienst der Musik gestellt hat.

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