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Unser Autor, Cornelius Hauptmann, Stuttgart, ist freischaffender Konzert- und Opernsänger ( http://www.cornelius-hauptmann.de ) und wurde von Elisabeth Schwarzkopf bis zu ihrem Tode künstlerisch betreut.
Ich kenne diese Augen gut. Nach fast 25 Jahren Unterricht und künstlerischer Beratung durch Elisabeth Schwarzkopf habe ich viele Facetten dieses Blaus kennen gelernt. Als Stipendiat der Herbert-von-Karajan-Stiftung begegnete ich ihr Anfang der 80er- Jahre zum ersten Mal in Salzburg. Sie hatte wohl einen Narren an mir gefressen, so lud sie mich immer wieder zu weiteren Meisterkursen in Stuttgart, Salzburg und Frankfurt und zu sich nach Hause ein. Es werden wohl an die 7 Meisterkurse gewesen sein, dazu unzählige Besuche in ihrer Wohnung in Zumikon bei Zürich, danach in ihrem neuen Heim in Schruns. Geld wollte sie niemals („schließlich macht es mir Spaß mit Ihnen“). Aber Blumen, Wein oder Kaffee wurden immer mitgebracht. Blumen mochte sie, ganz besonders Tulpen. In den letzten Jahren hingen an ihren Wänden zahllose Tulpenfotos, die sie selbst gemacht hatte. Leuchtendes Blau ihrer Augen beim Schwärmen von diesen Blumen.
Andere Blautöne in ihrem Blick bei so manchen Bemühungen um junge Sängerinnen und Sänger. Dieses Blau konnte eine Gletscherfarbe annehmen, wenn die Studierenden schlecht vorbereitet waren oder sich gar auf Widerspruch oder Bockigkeit einzulassen wagten. Eine Studentin aus Wien, die zu bemerken wagte, sie sei am Wiener Opernstudio eine der Besten und werde nun hier von Frau Schwarzkopf verunsichert, erntete schallendes Lachen: „Was, Sie sind eine der Besten? Wie müssen dann die Anderen klingen…“. Diese Studentin war ab dem nächsten Tag nicht mehr zu sehen. Gerne konnte Frau Schwarzkopf auch Fragen nach der bisherigen Ausbildung stellen und diese in Zweifel ziehen. „Kindchen, so können Sie in der Küche oder in der Badewanne singen, aber nicht bei mir.“ Gnadenloses Gletscherblau. Doch wer es letztendlich schaffte, seine Unsicherheiten zu überwinden, wer verstand, was die alte Dame meinte und ihre Vorschläge und Anregungen stimmlich umsetzen konnte, der durfte –wenn auch selten – warmes Veilchenblau ernten. „Fabelhaft. Genauso geht das.“
Sie wusste sehr wohl, dass ihr pädagogischer Stil nicht immer auf Gegenliebe stieß. Ihre Schülerinnen und Schüler werden davon ein Lied singen können. Ihre Strenge und Unerbittlichkeit („einer muss schließlich die Wahrheit sagen“), ihr fast fanatischer Kampf um ein perfektes Legato, ihre Pingeligkeit um äußerste Präzision bei Musik und Text, um Genauigkeit („steht das etwa in den Noten?“) und Erfordernisse der stimmlichen Farbgebung, resultierten aus allerhöchstem Respekt vor Dichter und Komponist. „Musik ist eine Heilige Kunst“ zitierte sie gerne aus Strauss` Oper Ariadne auf Naxos. Nur Wenige konnten hinter ihren öffentlichen Auftritten als Grande Dame, als Gesangsstar des letzten Jahrhunderts, ihre Verletzlichkeit und fast kindliche Fähigkeit des Staunens oder Sich-Anrühren-Lassens wahrnehmen. Sie geriet ziemlich aus der Fassung ob diverser Anschuldigungen und Unterstellungen seitens gewisser Presseberichte über ihre angebliche NS-Vergangenheit und deren Profite für ihre Karriere. Fast hilflos berichtete sie mir, dass sie seinerzeit nur auf Anraten ihres Vaters in die NSDAP eingetreten sei, weil dieser als Schuldirektor auf Grund der Verweigerung, in seiner Turnhalle eine NSDAP-Veranstaltung zuzulassen, seinen Job verloren habe und aus seiner Position entfernt wurde. Sie wusste auch nicht, was sie dafür konnte, dass gewisse NS-Größen verrückt nach ihrem Gesang waren und sie förderten. Sie habe schließlich nur gesungen. Massiv litt sie unter teilweise hämischen Pressekommentaren.
Ich fragte sie einmal – im Blick das Foto ihres zigarrerauchenden Ehemannes Walter Legge -, wie es denn gewesen sei, mit solch einem mächtigen Musikproduzenten verheiratet gewesen zu sein. Dazu schwieg sie eine Ewigkeit von 30 Sekunden und bemerkte dann mit leiser Stimme, dass ich sie so etwas nicht fragen solle. Ich hatte eine Antwort.
Nicht nur, dass Elisabeth Schwarzkopf Tausende von Menschen mit ihrer Gesangskunst anrührte. Auch sie selbst war emotional sehr zugänglich, so die Bedingungen stimmten: Meisterkurs im Mozarteum Salzburg, ich habe Brahms` „Vier ernste Gesänge“ mitgebracht und beginne mit dem ersten Lied. Frau Schwarzkopf sagt nichts. Normalerweise hätte sie mich schon nach den ersten drei Tönen unterbrochen. Ich singe weiter, etwas ratlos, den ganzen Zyklus, fast zwanzig Minuten, sie schaut schweigend zu Boden. Das letzte Lied verklingt. Totenstille im Saal mit etwa 30 Zuhörern. Warum sagt sie nichts? Frau Schwarzkopf winkt mich zu sich, den Kopf gesenkt. Ich beuge mich zu ihr herunter, sie nimmt meine Hände: „Danke, das ist mir lange nicht mehr passiert“. Frau Schwarzkopf weint. Dunkles Blau eines Bergsees.
Sie muss auch sehr ängstlich gewesen sein. Ihr Haus in Zürich war alarmgesichert wie eine Bank, Drähte im Garten und an den Fenstern, dazu Überwachungskameras. Ihre Wohnung in Schruns war total vergittert, was seltsame Gefühle auslöste. „Totentanz“ von Goethe, in der Vertonung von Carl Loewe, wollte sie nicht hören, es sei zu schrecklich. Sie müsse da an die Leichen denken, die sie nach dem Krieg in Berlin von Balkonen entfernen musste.
Den strengen Maßstab, mit dem sie ihre Schüler konfrontierte, legte sie auch an sich selbst an. So bemerkte sie einmal, dass ein Großteil ihrer Aufnahmen „Mist“ sei. Davon ausgenommen Lieder und Opern von Richard Strauss, Mozart, Brahms und Wolf und manch anderes, aber „all das andere, oh Gott…“. Sie und ihre Sängergeneration habe vieles grundsätzlich falsch gemacht. So besonders die rollenden „r“s bei Nachsilben. Es hieße nicht „Das Wasserrr rauscht, das Wasserrr schwoll, ein Fischerrr saß daran…“, sondern die Aussprache solle beim Singen der eines guten Schauspielers entsprechen. Die täten auch keine Nachsilben rollen. Begeistert war sie bei ihrer 90. Geburtstagsfeier im Dezember 2005 in Hohenems von der Darbietung von Wolf-Liedern durch den Bariton Matthias Goerne, der habe es kapiert. Blaues Augenleuchten einer 20-Jährigen.
Zahlreichen berühmten Kollegen hat sie die Stimme poliert: Mitsuko Shirai, Matthias Goerne, Ulrike Sonntag, Thomas Hampson, Uwe Heilmann, Renée Fleming und anderen. Eine ihrer letzten Schülerinnen vor ein paar Wochen noch war Marret Winger, eine vielversprechende junge Sopranistin aus Hamburg.
Nun wird also mein Septembertermin mit Frau Schwarzkopf nicht mehr stattfinden. Wir Schülerinnen und Schüler werden künftig selbst an ein perfektes Legato denken müssen, an genaues Lesen des Notentextes und besonders an eine künstlerische Authentizität. Und hören wir uns ihre Platten an.
„…daran sind, Herrin, Deine Augen schuld“ (Wolf, Michelangelo-Lieder).