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Köln (ddp-bln). Unter dem Eindruck von Drohungen hat der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk eine Reise nach Deutschland kurzfristig abgesagt. Die Freie Universität Berlin hat deshalb die Verleihung der Ehrendoktorwürde verschoben. Einen neuen Termin gebe es nicht, teilte die Hochschule am Mittwoch in Berlin mit.
Der «Kölner Stadt-Anzeiger» (Mittwochausgabe) berichtete vorab, Pamuks deutscher Verlag habe die Absage von Auftritten in Berlin, Köln, Hamburg, Stuttgart und München bestätigt. Offenbar sehe sich Pamuk konkret gefährdet.Der mutmaßliche Drahtzieher des Mordes an dem türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink hatte dem Blatt zufolge erst vor wenigen Tagen vor einem türkischen Gericht gesagt: «Orhan Pamuk, seien Sie clever." Am Freitag sollte der 54 Jahre alte Pamuk in Berlin die Ehrendoktorwürde der Freien Universität erhalten. Pamuk hatte wie Dink 2005 in der Türkei vor Gericht gestanden, weil er den Massenmord des Osmanischen Reiches an den Armeniern in den Jahren 1915/16 erwähnt hatte. Der Schriftsteller sollte deshalb wegen «Verleumdung des Türkentums» strafrechtlich belangt werden. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem das türkische Justizministerium erklärt hatte, dass eine Anklage gemäß dem neuen Strafgesetzbuch nicht zulässig sei. Gleichwohl sah sich Pamuk einer Kampagne nationalistischer Kreise ausgesetzt. Aufgrund der Bedrohung sagte Pamuk schon damals eine Lesereise nach Deutschland ab.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), sprach von einer großen Herausforderung für die türkische Regierung. Diese müsse die Meinungsfreiheit in der Türkei durchsetzen, sagte Polenz der Zeitung. «Die Drohungen gegen Hrant Dink sind offensichtlich nicht ernst genug genommen worden. Man kann jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen nach dem Motto: Dann macht Herr Pamuk seine Lesereise eben woanders hin», sagte er.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, sagte der Zeitung: «Mich bedrückt, dass ein Schriftsteller um sein Leben fürchten muss und dass das in der Türkei passieren kann.» Pamuk sei in Deutschland herzlich willkommen. Es werde das Menschenmögliche getan, um seine Sicherheit in der Bundesrepublik zu gewährleisten.
Der Kölner Schriftsteller Ralph Giordano rief die muslimische Gemeinschaft in Deutschland zu Solidarität mit Pamuk auf und zu Protesten gegen die Morddrohungen. «Die Muslime in Deutschland müssen nun glaubwürdig und nachhaltig dokumentieren, dass ihnen Freiheit und Menschenwürde am Herzen liegen, und dass der Terror, der aus dem Islam kommt, auch ihr Feind ist», sagte Giordano dem Blatt.