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Thomas Mann 150

Thomas Mann 150

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Ein musikbesessener Schriftsteller – Zum 150. Geburtstag Thomas Manns am 6. Juni 2025

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Der Schriftsteller Thomas Mann war einer der bedeutendsten Erzähler des 20. Jahrhunderts. Er war ein geborener Ironiker, ein bewundernswerter Leistungsethiker und ein Repräsentant seiner Epoche. Selbst der Marxist Georg Lukács bescheinigte ihm das. Peter Wapnewski bewunderte sein „Pathos der Mitte“, was auch immer das meinte.

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Wie bei kaum einem anderen Autor war die Musik ein zentrales Thema des Schriftstellers. Die Musik spielte als Mittel und als Zweck in Leben und Kunst des Schriftstellers eine Schlüsselrolle. Sein ganzes Werk ist durchzogen von Musik. Immer wieder beschwor er den „Seelenzauber“ jener Kunst, er war musikbesessen. Schon in den „Buddenbrooks“, seinem ersten und ganz besonders in „Doktor Faustus“, seinem letzten Roman, wie auch im „Zauberberg“ (seinem wohl philosophischsten Roman) spielt die Musik eine entscheidende Rolle. Die Musik steht hier für die von Hans Castorp letztlich überwundene „Sympathie mit dem Tod“ (eine Formulierung des Komponisten Hans Pfitzner).

Thomas Mann kam es allerdings, wenn er über Musik schrieb, im Wesentlichen auf mentalitätsgeschichtliche Diagnostik an, weniger auf Musik- oder Geistesgeschichte.

In seinem gewaltigen Roman „Der Zauberberg“, dessen moralische Quintessenz in dem Satz gipfelt „Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken“, in dieser Parodie auf den deutschen Bildungsroman und in diesem Initiationsroman (die Auffassung von Krankheit und Tod, als eines notwendigen Durchganges zum Wissen, zur Gesundheit und zum Leben), der den Ersten Weltkrieg als „Weltfest des Todes“ geißelt, ist Musik ein zentrales Thema. Das ist kein Zufall.

„Fülle des Wohllauts“, so nennt Thomas Mann das siebte Kapitel des Buches. Das Sanatorium Berghof hat zur Unterhaltung seiner Gäste ein Grammophon angeschafft. Hans Castorp – die Hauptfigur des Romans – übernimmt die Verwaltung des musikalischen Schatzes. Fasziniert von den Möglichkeiten des teuren Gerätes, gibt er sich seinen nächtlichen „Musikorgien“ hin: „Es war ein strömendes Füllhorn heiteren und seelenschweren künstlerischen Genusses. Es war ein Musikapparat. Es war ein Grammophon.“ So schreibt Thomas Mann, um in der Folge seine originellen Kommentare abzugeben über Giuseppe Verdis „Aida“, Claude Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“, Georges Bizets „Carmen“, Charles Gounods „Faust“ und Franz Schuberts Lied „Der Lindenbaum“. Vor allem das zuletzt genannte Lied wird zum Inbegriff romantischer Todessehnsucht (als Quelle der Anfälligkeit für gefährliche politische Verführungen), deren Überwindung letztlich das große Thema des Romans ist. In der Schlussszene des Buches, auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs, summt Hans Castorp den Schubertschen „Lindenbaum“ vor sich hin. Man darf das wohl als Parodie des romantischen Todeskultes verstehen, wie er exemplarisch in Richard Wagners – von Thomas Mann sehr geschätztem – Musikdrama „Tristan und Isolde“ gefeiert wird.

Mann und Wagner

Es war der Komponist Richard Wagner, mit dem sich Thomas Mann lebenslang am meisten ausein­andersetzte, auch wenn er ihn abfällig als den „schnupfenden Gnom aus Sachsen mit dem Bom­bentalent und dem schäbigen Charakter“ charakterisierte. Bei aller Liebe zu seiner Musik hatte Thomas Mann aber die Gefahr, die auf der Großartigkeit der Verführungskunst der Wagnerischen Musik beruhe, erkannt und thematisiert, was bei den Nationalsozialisten Empörung hervorgerufen hatte.

Von Wagners Musik zu seiner musikalischen Prosa inspiriert von dessen Werk fasziniert, war Mann von Wagner als Mensch abgestoßen. Seine Liebe zu Wagner war eine Liebe mit schlechtem Gewissen, aber dennoch eine Liebe. Deren Anfang machte der „Lohengrin“. Er war „das in der Jugend Geliebteste“, wie Mann später einmal sagte. Die Lohengrin-Aufnahme von 1936 mit Franz Völker als Lohengrin gehörte zu Thomas Manns Schallplattensammlung.

Diese Oper war sein erstes großes und nachhaltiges Opern­erlebnis. Mann hat das Werk zuerst im Stadttheater seiner Hei­matstadt Lübeck gesehen und gehört. Es war der Auftakt einer lebenslangen Passion für Musik. Allerdings war schon sein familiäres Umfeld äußerst musikaffin. Wenn er nicht Dichter ge­wor­den wäre, hätte er Musiker sein mögen, hat er einmal gesagt. Tatsächlich hat er recht or­dentlich die Geige gespielt. Vor allem aber war er in der Weltliteratur – neben Thomas Bernhard nicht zu vergessen - derjenige Au­tor, der wohl die engste Beziehung zur Musik gehabt hat. Er bekannte: „Auch jene andere, vielleicht innigere, aber wundersam unartikulierte Sprache, diejenige der Töne (wenn man die Musik so bezeichnen darf), scheint mir nicht in die pädagogisch-humane Sphäre eingeschlossen, obgleich ich wohl weiß, dass sie in der griechischen Erziehung und überhaupt im öffentlichen Leben der Polis eine dienende Rolle gespielt hat. Vielmehr scheint sie mir, bei aller logisch-moralischen Strenge, wovon sie sich wohl die Miene geben mag, einer Geisterwelt anzugehören, für deren unbedingte Zuverlässigkeit in Dingen der Vernunft und Menschenwürde ich nicht eben meine Hand ins Feuer legen möchte. Dass ich ihr trotzdem von Herzen zugetan bin, gehört zu jenen Widersprüchen, die, ob man es nun bedauere oder seine Freude daran habe, von der Menschennatur unabtrennbar sind.“ So Serenus Zeitblom in „Doktor Faustus“, jenem Roman aus dem Jahre 1947, in dem Mann mit den Deut­schen und dem dämonischen deutschen Wesen abrechnete, das er in Gestalt des fiktiven „deut­schen Tonsetzers Adrian Lever­kühn“ porträtierte.

Musik, auch wenn er sich deren politischer Gefährlichkeit durchaus bewusst war, begleitete und durchzog Thomas Manns gesamtes Leben und Schaffen. Er hat über Musik geschrieben, Musik­beschreibungen an Schlüsselstellen seiner Werke platziert und er hat seine eigenen Wer­ke teilweise nach musikali­schen Prinzipien konstruiert. Er hat Leitmotive verwendet wie Richard Wagner, Montageprin­zipien benutzt wie Igor Strawinsky und die Reihentechnik wie Arnold Schönberg. Er war in Lübeck und in München, seinen deutschen Wohnorten, bis zu seiner Emigration ein begeisterter Opern­besucher. Jahrelang hat er keine „Tristan“-Vorstellung versäumt.

Nach dem Wagnermissbrauch durch die Nazis hatte Mann ein ambivalentes Verhältnis zu Wagner. 1933 hatte der Wagner-Ken­ner und -Vereh­rer Thomas Mann noch in seinem großen Essay von „Leiden und Größe Richard Wagners“, betont: „Es ist durch und durch uner­laubt, Wagners nationalistischen Gesten und Anreden den heutigen Sinn zu un­terlegen – denjenigen, den sie heute hätten.“

Einige Jahre später – nach 1945 – schrieb er allerdings: „Ich fin­de das nazistische Element nicht nur in Wagners fragwür­di­ger ‚Literatur‘, ich finde es auch in seiner ‚Musik‘, in sei­nem ebenso, wenn auch in einem erhabeneren Sinne, frag­wür­digen Werk.“ Anlässlich der Veröffent­lichung der Briefe-Samm­lung Burrell wieder­holte Thomas Mann 1951 schließlich diesen, dem neuen Zeitgeist geopferten Sinnes­wandel: es sei nun wirk­lich „zuviel Abstoßendes, zuviel Hitler, wirklich zu­viel laten­tes und alsbald auch manifestes Nazitum“ in Wagner zu er­kennen.

Wie auch immer: Sein großer Wagneressay „Lei­den und Größe Richard Wagners“ aus dem Jahre 1933, bis heute eine der klügsten Auseinan­der­setzungen mit dem Komponisten, zog einen erbitterten „Protest der Richard-Wagner-Stadt München“ nach sich, der Thomas Mann letztlich aus Nazi-Deutschland ins Schweizer und dann ins amerikanische Exil getrieben hat.

Exil

Aber auch im Exil kam Thomas Mann nicht von der Musik los. Er hat mit Arnold Schön­berg und Igor Strawinsky verkehrt und sich von Theodor W. Adorno mu­sikalisch beraten lassen. Eng be­freundet war er mit dem Dirigenten Bruno Walter. Der schrieb in seinen Lebenserinne­rungen über Thomas Mann und die Musik: „Beherrscht sie ihn nicht mehr, als er selbst ahnt?“ Nietzsches Apho­rismus „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“ trifft auf kaum jemand so zu wie auf Tho­mas Mann. „Deutsch“ und „Musik“ waren für Thomas Mann nahezu identisch.

1938 bekannt er in New York: „Wo ich bin, ist Deutschland“. Es sei nur dran erinnert, schon 1860 bekannte Richard Wagner seinem Freund und Förderer Franz Liszt: „Mit eigentlichen Grauen denke ich jetzt nur an Deutschland …Und wenn ich ‚deutsch‘ bin, so trage ich sicher mein Deutschland in mir.“ Man denkt unwillkürlich an Heinrich Heine: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.“

Vor allem in seinem Essay „Deutschland und die Deutschen“ hat Thomas Mann dargestellt, dass es der ästhetische Innerlichkeitskult gewesen ist, der das deutsche Bürgertum von einem politischen oder gesellschaftlichen Engagement abgehalten habe. Hans Rudolf Vaget deutet in seinem profunden Buch über Thomas Mann und die Musik Manns Vorbehalte noch weiter, nämlich dass die (behauptete) Hegemonie deutscher Musik auch immer Deutschlands Streben nach politisch-militärischer Vorherrschaft legitimierte.

Thomas Mann spie­gelte in seinem letzten Roman denn auch das so verstandene Schicksal Deutschlands im Schicksal der Musik. In der Neuen Züricher Zeitung vom 9.12. 2006 las man eine Rezension, in der der Rezensent schrieb: „Vagets mentalitätsgeschichtliche Lesart des ‚Doktor Faustus‘, die den Roman eher als Antizipation denn als schlichte Allegorie der Barbarei begreift.“ Auch wenn er alles andere als erdverbunden war, gehörte Mahlers „Lied von der Erde“, das ihm der Dirigent Bruno Walter nahegebracht hatte, zu den Lieblingsmusiken Thomas Manns, der seit 1920 Schallplatten sammelte.

Und doch: In einer Sendung des Süddeut­schen Rundfunks schwärmte der 78-jährige noch einmal von seiner Knabenbegeiste­rung für den „Lohengrin“, eine lapidare, aber wesentliche Äußerung des Schriftstellers: „Ja, daran knüpfen sich nun für mich schon ganz frühe Jugenderinnerungen, musikalische Jugendeindrücke, die mein ganzes Leben lang nachgewirkt haben.“

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