Musikalische Moden hat er nie mitgemacht, sondern unbeirrt zu seiner eigenen Klangsprache gefunden, die Emotionen zuließ und sogar Melodien und Dreiklänge. Und die sich auch in phantasievollen Musikgeschichten für Kinder niederschlug. Für diese mutige Abkehr von ideologischen Dogmen wurde der Bialas- und Orff-Schüler nicht nur spöttisch belächelt, sondern oftmals heftig angefeindet.
Inzwischen hat ihm das Publikum längst Recht gegeben und seine Bühnenfiguren und Fabelwesen ins Herz geschlossen, den forschen „Peter Pan“ und geheimnisvollen „Rattenfänger“ ebenso wie König „Gilgamesch“, Nashorn „Norbert Nackendick“ und das heißgeliebte „Traumfresserchen“, die erotische „Schulamit“, den „Josa mit der Zauberfiedel“ oder den hutzeligen Erdkobold „Goggolori“. Dabei hat sich Wilfried Hiller von Anfang an keineswegs isoliert, sondern stets offen und wach das Komponieren seiner Zeit verfolgt. So besuchte er seit 1962 in Darmstadt die Ferienkurse für Neue Musik bei Stockhausen, Boulez und Bruno Maderna, spielte als ausgebildeter Schlagzeuger im Südwestfunksinfonieorchester bei den Donaueschinger Musiktagen – und hat dort, so sein Resümee, „gelernt, wie man eigentlich nicht komponieren soll. Für mich ist es wichtig, dass die Musik nicht rein abstrakt ist, sondern dass sie die Menschen etwas angeht.“
Hier fand er in dem Schriftsteller Michael Ende einen Wesensverwandten, mit dem ihn seit einem Studienaufenthalt in der Villa Massimo in Rom 1978 bis zu dessen Tod 1995 eine lange Freundschaft und Zusammenarbeit verband. Hillers Sohn Amadeus hatte ihn vor über dreißig Jahren auf „den vom Jim Knopf“ aufmerksam gemacht, als der Vater mangels Musikrepertoires für Kinder auf der Suche war nach geeignetem Material für seinen Filius. Heute sind die Parabeln von der beharrlichen Schildkröte „Tranquilla Trampeltreu“ und dem machthungrigen, aber einsamen Nashorn „Norbert Nackendick“, der mit seiner gedrungenen Statur einem bayerischen Politiker nicht zufällig ähnelte, längst Klassiker in Kindergarten und Kinderzimmer. Auch die „Bairische Mär“ vom „Goggolori“ gehört zu den großen Erfolgen des Duos Hiller/Ende, oder der von Giora Feidman uraufgeführte „Rattenfänger“.
Immer dramaturgisch beratend an Hillers Seite ist seine Ehefrau, die Schauspielerin Elisabeth Woska, die für zahlreiche Werke nicht nur die Texte einrichtete, sondern selbst auf der Bühne agierte, ob im poetischen „Trödelmarkt der Träume“ oder im eindringlichen Monodram „An diesem heutigen Tage“ der Maria Stuart kurz vor ihrer Hinrichtung.
Geweckt wurde Hillers Liebe zum Theater schon sehr früh: Mit fünf Jahren erhielt der am 15. März 1941 im schwäbischen Weißenhorn bei Neu-Ulm Geborene ein Puppentheater und erfand für seine Kasperfiguren bald darauf die „Räuber von Hiller“. Seitdem lässt er sich leiten von Mythos, Magie und Märchen, von Traum und Phantasie. „Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch“ – diesem Motto Erich Kästners ist der Komponist selbst treu geblieben in seinem Herzen.
Carl Orff, den er 1968 kennenlernte und bis zu dessen Tod 1982 fast täglich als Schüler in Dießen besuchte, bestärkte ihn in seiner Vorliebe für Rhythmus, Melos und die gestische Kraft des Wortes. Seit 1963 studierte Hiller Komposition und Schlagzeug in München, dort gründete er auch die Konzertreihe „musik unserer zeit“, initiierte die legendären „Münchner Musiknächte“ und prägte außerdem als langjähriger Musikredakteur beim Bayerischen Rundfunk das Musikleben seiner Wahlheimat. Außerdem nahm er Einfluss als Kompositionslehrer, Präsident des Bayerischen Musikrats und seit 2009 als Leiter der Internationalen Orgelwoche Nürnberg, jüngst wurde ihm von der GEMA-Stiftung der „Gerda-und-Günter-Bialas- Preis“ in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste verliehen.
Seit mehr als 40 Jahren zieht Wilfried Hiller, der universelle Komponist und Musikvermittler, nun ein junges wie altes Publikum in seinen Bann. Mit über hundert Werken für alle musikalischen Gattungen, mit Kinderopern und musikalischen Fabeln, aber auch mit abendfüllenden Bühnenwerken, denen ein umfassendes humanistisches, philosophisches und astronomisches Wissen zugrunde liegt, etwa seiner Kirchenoper „Augustinus“, der Künstleroper „Wolkenstein“ und der Jesus-Oper „Der Sohn des Zimmermanns“.
Erleben kann man den meistgespielten deutschen Komponisten der Gegenwart derzeit noch bis zum 19. April bei einem Festival im Münchner Gasteig in fast täglich stattfindenden Gesprächsrunden (19 Uhr) und Konzerten (20 Uhr).