Den Auftakt bildet Franz Schuberts „Sonate in B-Dur, D 960“. Im ersten Satz, Molto moderato, entfaltet sich ein ausdrucksstarkes Rubato-Spiel, das zwischen Licht und Schatten changiert. Die tiefen Bass-Triller klingen wie ein fernes Grollen – und doch verschmelzen sie mit den leuchtenden Melodielinien zu einer Einheit. Im Andante sostenuto scheint die Pianistin direkt in das Innere ihrer eigenen Gefühlswelt zu blicken: In einem stillen, fast zerbrechlichen Ausdruck, der den Zuhörer in eine von Melancholie und Trost zugleich erfüllte Klanglandschaft führt.
Ihre Spielweise erinnert an Malerei, als würde sie mit den Fingern auf der Tastatur Farben mischen und auf eine unsichtbare Leinwand auftragen. Wer hier eine gewöhnliche Schubert-Interpretation erwartet, wird rasch eines Besseren belehrt.
Das darauffolgende Scherzo überrascht mit tänzerischer Leichtigkeit und einem hellen, fast humorvollen Tonfall, der die zuvor gespannte Atmosphäre aufbricht. Mit virtuoser Präzision gestaltet Stojković die schnellen Läufe, deren rhythmische Klarheit den Hörer gleichsam aus der Nachdenklichkeit emporhebt. Der abschließende Satz lässt die Sonate in strahlendem Dur enden – ein musikalischer Sonnenaufgang nach einer langen Nacht.
Doch die CD bleibt nicht in diesem Licht verhaftet. In Enjott Schneiders „Notturno oscuro – erbärmlich gekrümmt“, das Schuberts unglückliche Liebe zu einer Sängerin reflektiert, verdichtet sich die emotionale Spannung. Zarte Dur-Momente – etwa Zitate aus Schuberts Messe – öffnen kurzzeitig Fenster der Hoffnung, bevor die Musik wieder in dunkle Klangräume zurückfällt. Stojković gestaltet diese Wechsel mit beeindruckender Sensibilität: Das Ende schwebt wie in einem luftleeren Raum, als würde die Zeit selbst für einen Moment stillstehen.
Mit den beiden Liszt-Bearbeitungen aus den „12 Liedern S. 558 – Nr. 8 Gretchen am Spinnrade“ und „Nr. 4 Erlkönig“ – erweitert die Pianistin das Ausdrucksspektrum. Hier begegnen sich zwei Extreme der Liebe: das sehnsüchtige Verlangen Gretchens und die tragische Vaterliebe im „Erlkönig“. Stojković‘s Interpretation offenbart die dramatische Tiefe dieser Miniaturen, ohne je in Sentimentalität zu verfallen. Ihr Klang ist farbenreich, dynamisch, von einer nuancierten Anschlagskultur getragen, die selbst vertraute Themen neu erblühen lässt.
Den Schlusspunkt setzt das eigens für die Pianistin geschriebene Werk „Migration – Transformation“ von Dorothea Hofmann. Es verarbeitet Motive aus Schuberts „Winterreise“ und führt sie in einen neuen Kontext: von stiller Einkehr über bewegte Passagen bis hin zu einem versöhnlich ruhigen Ende. Diese Komposition fügt sich nicht nur formal, sondern auch inhaltlich in das Gesamtkonzept der CD ein – als musikalische Metapher für Wandel, Loslassen und inneres Weitergehen.
„Schubert Echos“ ist somit weit mehr als eine Hommage. Es ist ein klangliches Selbstporträt, das Vergangenheit und Gegenwart miteinander verknüpft.
Jelena Stojković gelingt es, bekannte Werke in ein neues Licht zu tauchen, indem sie sie durch persönliche Erfahrung, emotionale Tiefe und pianistische Meisterschaft transformiert. Eine CD, die Schuberts Geist nicht nur ehrt, sondern ihn in unserer Zeit neu erklingen lässt – eindringlich, leuchtend und wahrhaft berührend.
- JELENA STOJKOVIĆ: Schubert-Echos
Spektral LC 15543
EAN: 4260130382056
