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„Ich loop mir einen Ton“

Untertitel
Fried Dähns „electric cello“ – mehr als eine Übersetzung
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Es haucht und säuselt, rauscht und summt, und plötzlich füllt den Raum ein Atmen und zwingt einem seinen Rhythmus auf. Man atmet mit, erst langsam, dann schneller, und lässt sich mitnehmen auf eine imaginäre Reise in die Nacht, eine „Einkehr in innere Orte”, so Fried Dähn, einer der bekanntesten E-Cellisten Deutschlands. Nicht durch Mund und Nase strömt die Luft, sondern der Bogen, gestrichen auf dem Steg des elektrischen Cellos, mannigfach verstärkt, erzeugt diesen unwiderstehlichen Sog.

Es haucht und säuselt, rauscht und summt, und plötzlich füllt den Raum ein Atmen und zwingt einem seinen Rhythmus auf. Man atmet mit, erst langsam, dann schneller, und lässt sich mitnehmen auf eine imaginäre Reise in die Nacht, eine „Einkehr in innere Orte”, so Fried Dähn, einer der bekanntesten E-Cellisten Deutschlands. Nicht durch Mund und Nase strömt die Luft, sondern der Bogen, gestrichen auf dem Steg des elektrischen Cellos, mannigfach verstärkt, erzeugt diesen unwiderstehlichen Sog.Die Möglichkeiten des klassischen akustischen Cellos zu erweitern und in eine neue Klangdimension vorzudringen, war Dähns Intention, als er sich nach seinen Plänen ein elektrisches Cello bauen ließ. Dass die Voraussetzung hierfür das perfekte Beherrschen des Instruments sei, müsse er wohl nicht betonen. Und so verleugnet der Solo-Cellist bei der Württembergischen Philharmonie Reutlingen durchaus nicht seine klassischen Wurzeln. Irgendwann aber war er es leid, nur nach Noten zu spielen und nach der ersten Geige zu tanzen. Eine eigene Klangwelt wollte er sich schaffen, einmalig, immer wieder neu. Wer heute sein mobiles Homestudio betritt, begreift, zwischen welch unterschiedlichen Welten der Musiker unterwegs ist. Ein PC und ein Laptop stehen neben verschiedenen Verstärkern, Mischpulten und Keyboards, an der Wand ein Panorama der Milchstraße; mittendrin das E-Cello. Schlank, ohne Bauch, aber sonst mit allem ausgestattet, was ein „richtiges“ Cello ausmacht, lehnt es da, als ob es schon für ein Bild von Bracques Modell gestanden hätte.

„Ich loop mir einen Ton” – mit dem Fuß verschiebt Dähn eine Taste, ein Summen ertönt, er nimmt das Cello zwischen die Knie, streicht über die Saiten, und der bizarre Apparat verwandelt sich in ein Instrument von frappierender Klangfülle. Von der eingeblendeten Terz aus der Retorte bis hin zu einem virtuellen Kammerorchester führt Dähn die ganze Bandbreite seines E-Cellos vor. Aber nie drängt sich die Technik in den Vordergrund, sie unterstützt und untermalt die konventionell erzeugte Musik und überträgt sie in andere Klangwelten: Bach auf dem Mars. Wir fliegen mit, beglückt, wie der warme Celloklang, ins Unendliche gesteigert, umrauscht von der fremden Geräuschkulisse, eine Harmonie hervorruft im Hier und Jetzt. Der Funke aber, so Dähn, springt nur über, wenn der Musiker ebenso berührt ist, wie sein Publikum, wenn der Atem sich über ihn auf seine Zuhörer überträgt. Diesen fast ekstatischen Zustand erreicht er vor allem zusammen mit Klaus Feßmann und Manfred Kniel im Klangsteinensemble „Cantus Lapidum”. Gesteinsblöcke aus Granit, Serpentinit und Travertin, wie Kämme zersägt und durch Berühren und Streichen ähnlich einer Glasorgel zum Klingen gebracht, schaffen im Zusammenspiel mit E-Cello und Schlagwerk aus Stein ein sakral anmutendes Klanggewölbe.

Zurück auf der Erde wartet Dähn aber noch mit einer weiteren Dimension seiner Klangforschungen auf: Mit Hilfe von PC und Laptop kann er die Möglichkeiten der Software als Klangerzeuger nutzen. Eine grafische Partitur lässt sich per Mausklick in Geräusche und Töne übersetzen und mit verschiedenen Instrumenten zu einem Klangstück komponieren. Dähns spielerische Experimentierfreude kommt voll zur Geltung, wenn er „electronic cello, drum programming, keyboards, voice editing and sampler” einsetzt, und manchmal sitzt ihm auch der Schalk im Nacken. So beginnt die „Nachtmusik” auf der gleichnamigen CD mit einem kleinen Telefonanruf: „Hallo ... du machst schöne Musik, aber ein bisschen stressig ...”, und dann heizen einem elektronische Trommelrhythmen richtig ein, kratzen Geräusche an den Nerven, bevor ein Ostinato plötzlich Ruhe einkehren lässt und von einer wunderbaren Cello-Kantilene umspielt wird – aber dann erfährt man von Dähn, dass außer der Stimme „alles mit dem E-Cello gemacht” ist.

Sprache dient ihm auch sonst als weites Experimentierfeld. Wörter und Sätze, im Synthesizer zerstückelt und über die Laptop-Klänge gelegt, erzielen, ihrer ur-sprünglichen Bedeutung beraubt, eine neue Wirkung. An einem Gedicht von Hermann Hesse demonstriert er, wie das klingt: Einzelne Wörter werden herausgenommen, zerdehnt und zerschnippelt, durch Geräusche unterbrochen, übertönt oder betont und immer wieder eingehämmert. Von Ernst Jandl kennt man das schon auf der reinen Sprachebene; Dähn deutet das Gedicht Hesses ganz neu und überträgt es in eine Klanginterpretation, eine nach seinem Empfinden assoziationsreichere Sprache.

In eine bestimmte musikalische Schublade lässt er sich bewusst nicht schieben. Er ist offen für fast alles, was man hören kann. Von Klassik über Jazz und Rock – einmalig seine Tournee mit Frank Zappa 1992 – spannt sich der Bogen bis zu seinem Klangsteinprojekt, neulich habe er sogar in einer Disco gespielt und die Leute hätten getanzt. Zugunsten einer Dozentur an der FH Schwäbisch-Hall in dem Fach Audiogestaltung und Sounddesign hat er seine Stelle bei den Württembergischen Philharmonikern auf 50 Prozent gekürzt.

Zahlreiche Konzertverpflichtungen, zum Beispiel jüngst beim Potsdamer Jazzfestival oder beim renommierten Kammermusikfestival Büsingen, zwingen ihn oft zu einem logistischen Balanceakt: Wie bringe ich verschiedene Keyboards, Verstärker, Laptop, PC, Boxen, Saxophon und ein E-Cello, nein, nicht in einen VW, aber doch in einen möglichst handlichen Transporter? „Die Kisten sind gepackt”, sagt Dähn ein paar Tage vor Potsdam, das mobile Kammerensemble ist zur Abfahrt bereit, jetzt muss nur noch der passende Lastwagen organisiert werden. Und man könnte wetten, dass ihm sogar das Brummen des Motors und das Rollen der Räder zu Musik wird.

http://www.friedstyle.com

Auswahldiskografie Fried Dähn:

„Kiss my Guarneri” (Solo)
„Nachtmusik” (Solo)
„9 Quartets” (Müller/Swoboda/Dähn/Kniel)
Alle erschienen bei der Edition Musikat, Stuttgart, Tel. 0711/24 0709

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