Nachdem aus der ver.di-Fachgruppe Musik bereits in den letzten nmz-Ausgaben Stimmen aus dem Musikschulalltag zu Wort kamen (Ausgabe 2/2024, Laura Oetzel und Daniel Mattelé; Ausgabe 3/2024, Andreas Köhn), überschlagen sich weiterhin die Ereignisse. Längst kursieren Empfehlungen und Handreichungen zu Übergängen in die Festanstellung, bei denen nicht immer die bestmögliche Lösung für die Honorarkräfte im Fokus steht. Kommunen und Musikschulen sind aller Orten mit raschen und natürlicherweise in Haushalte eingreifenden Umwandlungen zugange. Worauf kommt es in diesen stürmischen Zeiten an?

16. April 2024: Der Bundesvorsitzende der ver.di-Fachgruppe Musik Martin Ehrhardt übergibt der Generalsekretärin des Deutschen Musikrats Antje Valentin den neuen ver.di-Ratgeber für Musikschullehrkräfte. Foto: Immanuel Beyreuther
Wann, wenn nicht jetzt
Kollegien an Musikschulen, die über große Zeiträume sehr dezentral unabhängig voneinander arbeiten und wirken – und selten in einem Raum aufeinandertreffen – sind plötzlich mit einer lange nicht da gewesenen Situation konfrontiert: sie sind alle vom „Herrenberg-Urteil“ betroffen und können an den Musikschulen vor Ort nun nur gemeinsam etwas erwirken und mitgestalten – jedenfalls dort, wo es noch möglich ist.
Viele von ihnen fieberten Jahre und Jahrzehnte einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung entgegen, nahmen dafür Umzüge, Pendelei, Wartezeiten ohne schriftliche Zusicherungen, befristete Vertretungen und nicht selten unentgeltliche Extraaufgaben in Kauf. Einigen anderen (laut Umfrage der Fachgruppe Musik zum „Wunsch von Honorarkräften nach Festanstellung“ aus dem Jahr 2017: 17,4 Prozent), vermehrt Lehrkräften mit aktiver Orchester-/ Bühnentätigkeit, ist der momentane Imperativ zur Umwandlung ein Dorn im Auge, da sie fürchten, Flexibilität einzubüßen.
Die erste Frage, die sich daher stellt, lautet: Sind alle Musikschullehrkräfte früher oder später von einer Umwandlung betroffen? Kann ich mich als Honorarkraft für eine Weiterführung meiner Selbstständigkeit entscheiden? Mag man aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf das „Herrenberg-Urteil“ schauen, so spricht allein die plötzliche Wendigkeit der öffentlichen Träger zu dieser Frage Bände. Das Wunschkonzert für Anstellungsverhältnisse war einmal. Und verhalf dieses zwar ehemals, vor allem bei älteren Jahrgängen, zu Wahlfreiheit und Flexibilität, erzeugte es bei der breiten Masse der Honorartätigen jedoch prekäre Existenzbedingungen, Erwerbsbiografien ohne Altersvorsorge und ohne Absicherungen und enthielt dem gesamten Sozialversicherungssystem Beiträge vor.
Bei der Umsetzung der BSG-Rechtsprechung wird sich, aufgrund potenzieller neuer Klagen und drohender Nachzahlungen, auf Arbeitgeberseite beeilt. Dies lenkt den Fokus dorthin, wo er aktuell hingehört: zum einzelnen Betrieb vor Ort. Hier werden in jeder einzelnen Umwandlung Grundlagen für die eigene Zukunft sowie für die Zukunft einer ganzen Berufsgruppe gelegt!
In der momentanen Gemengelage ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten und mit Bedacht auf die Arbeitsbedingungen der Musikschullehrkräfte zu schauen. In aller Eile werden Interessen abgewogen, nicht immer zum Vorteil der Berufsgruppe. Es stehen zahlreiche Fragen im Raum:
- Wird hier das Kind mit dem Bade ausgeschüttet? Was ist mit denen, die gerne in der Selbstständigkeit sind und bleiben wollen?
- Wie verteilen sich Kolleg*innen, die an fünf Musikschulen pro Woche arbeiten, welches Haus erhält den Zuschlag? Fehlen den anderen Musikschulen die Fachkräfte? Erhalten Kolleg*innen Puzzles aus fünf Festanstellungen zu je 20 Prozent?
- Wie können Flexi-Klauseln verhindert werden, die eine garantierte Arbeitszeit verhindern?
- Woher nehmen die Kommunen das Geld, und noch mehr, woher nehmen private Musikschulen das Geld?
- Wie sieht die Eingruppierung aus? Wie sieht es mit den Erfahrungsstufen aus? Können die für mehrere Jahrzehnte Berufserfahrung im de facto gleichen Beruf angemessen abgebildet werden?
All diese offenen Fragen werden zur Zeit von den handelnden Akteuren unterschiedlich beantwortet, und zwar: zuerst in der Praxis.
Die bisher stattgefundenen Umwandlungen zeigen eindeutig: Dort, wo die Mitarbeitenden sich vor Ort zu einer verhandelnden Einheit im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes organisiert und zusammengetan haben, um ihre betriebsspezifischen gebündelten Forderungen zu stellen, und auch auf der politischen Ebene einzubringen, entstehen und entstanden die vorteilhaftesten neuen Bedingungen für Musikschulkolleg*innen. Um also über haushaltsschonende Lösungen hinaus das zu erreichen, was den Lehrkräften zusteht: Organisiert euch gewerkschaftlich und lasst euch von euren Personal- oder Betriebsräten unterstützen!
Frederik Richts, Personalratsmitglied und Musikschullehrkraft, begleitet den Übergang mit den in ver.di organisierten Honorarlehrkräften und berichtet aus der Musik- und Kunstschule Bielefeld:
An der Musik- und Kunstschule Bielefeld wird in diesem Sommer allen Honorarlehrkräften ein faires Angebot zur Übernahme in den öffentlichen Dienst unterbreitet. Eine großartige Nachricht, ist das Kollegium doch noch in wenige festangestellte und viele freie Lehrkräfte geteilt. Üblicherweise sind so umfassende Strukturveränderungen hinsichtlich kompletter Beschäftigungsverhältnisse das Resultat lokaler und kommunikativ aufwendiger Gewerkschaftsarbeit. Der Weg der aktiven Honorarlehrkräfte folgt dabei stets derselben Route: sich jenseits des Unterrichtsraumes kommunikativ organisieren und gemeinsame Forderungen finden, Öffentlichkeit erzeugen und schließlich mit der Politik ins Gespräch kommen. Ein Erfolgsrezept der Gewerkschaft ver.di, das bislang vor allem in NRW an vielen Musikschulen Verbesserungen erwirkt hat, und an dessen Umsetzung sich auch die Honorarkräfte in Bielefeld voller Elan gewagt haben.
Zukünftig wird ein Urteil die Musikschullandschaft so umfassend verändern, wie es sonst nur Gewerkschaften können. Auch die Stadt Bielefeld begründet ihr Festanstellungsangebot an die freien Lehrkräfte unter anderem durch eine Überprüfung des sogenannten „Herrenberg-Urteils“. Eine Schlussfolgerung könnte nun sein, dass das Urteil ein Selbstläufer für alle freien Beschäftigten an Musikschulen wird und Gewerkschaftsarbeit an diesem Punkt überflüssig geworden sei. Doch mitnichten unterliegt die Umwandlung von Honorar- in Tarifanstellungen des öffentlichen Dienstes einem Automatismus. Hierzu braucht es – zumindest an Schulen in öffentlicher Trägerschaft – zuallererst einen politischen Willen zur Ausweitung von Stellenplänen und damit verbundene Diskussionen in der Öffentlichkeit; viele kleine Schritte, die in Summe einen Weg bilden, den die freien Lehrkräfte in Bielefeld frühzeitig als Gewerkschaft zu gehen bereit waren, und der sie letzten Endes in eine sehr gute Verhandlungsposition gegenüber der Stadtverwaltung brachte. In naher Zukunft wird es an öffentlichen Musikschulen wohl keine Honorarbeschäftigungen mehr geben und die Zukunft mancher Institution scheint dadurch ungewiss. Den „noch“ Honorarlehrkräften kann aus gewerkschaftlicher Sicht nur dringend geraten werden: Macht euch auch auf den Weg, tretet in die Gewerkschaft ein und hofft nicht auf ein soziales Verantwortungsbewusstsein der Kommunen; durch prekäre und unsoziale Beschäftigungsverhältnisse wurden in den vergangenen Jahren, teils Jahrzehnten, massiv öffentliche Gelder eingespart. Selbst wenn sich durch die nun öffentlich entbrannte Diskussion über die Auswirkungen des „Herrenberg-Urteils“ ein Verantwortungsbewusstsein entwickelt, wird auch dieses keinen Umwandlungsautomatismus auslösen. Bundesweit verschlechtern sich zusehends die kommunalen Haushalte und vielerorts droht den ohnehin schon gebeutelten Honorarkräften und Musikschulen, im absehbaren Getöse um schwindende Finanzmittel überhört zu werden. Das wäre eine mehr als bedauernswerte, aber stille Lösung für ein Problem, an dem die freien Lehrkräfte die geringste Schuld tragen. Genau jetzt ist für lange Zeit die letzte Chance gekommen, sich zu organisieren, sich lautstark in die politischen Entscheidungsprozesse einzubringen, sich nicht in ein „Hätten wir mal…“ zu begeben. Die Kultur-Gewerkschaft ver.di kennt ein Rezept, doch benötigt es als zwingende Zutat mutige und aktive Menschen – Lehrkräfte wie Schulleitungen – die sich wie in Bielefeld organisieren und täglich die entscheidende Frage stellen: „Wann, wenn nicht jetzt?“
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