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Orest in Zürich. Foto: Judith Schlosser
Orest in Zürich. Foto: Judith Schlosser
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Alleine ins Dunkle, Ungewisse – Manfred Trojahns Oper „Orest“ wird bei ihrer Schweizer Erstaufführung in Zürich gefeiert

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Die Oper beginnt mit einem Schrei. Vom ersten Takt an ist Manfred Trojahns Oper „Orest“ unter Spannung gesetzt, die bis zum letzten Takt des 80-minütigen, ohne Pause gespielten Dramas anhält. Am Ende gibt es am Opernhaus Zürich stürmischen Applaus für diese Schweizer Erstaufführung der 2011 in Amsterdam uraufgeführten Oper.

Der atmosphärisch dichte, musikalisch wie szenisch sehr genau gearbeitete Abend hält Maß. Die Emotionen sind dosiert, die Höhepunkte sorgfältig vorbereitet.  Es geht um Schuld und Verantwortung. „Der auf der Seite des Rechtes steht kann kein Schuldiger sein“, behauptet die zur Rache anstachelnde Elektra in der vierten von sechs Szenen. „Und steht vor dem Recht nicht die Liebe?“, antwortet ihr zweifelnder Bruder Orest. Die Oper beginnt, wo Richard Strauss‘ „Elektra“ endet. Orests Morde an der Mutter Klytämnestra und ihrem Liebhaber Ägisth sind schon vollzogen.

Im Mittelpunkt steht der Täter – und seinen Umgang mit der Vergangenheit. Georg Nigl ist als Orest fast die ganze Zeit auf der Bühne. Er hört Stimmen, die aus den Lautsprechern kommen: Chaos im Kopf! Ein Bett ist seine Heimstatt. Dort wird er von Alpträumen geplagt und Selbstzweifeln zerfressen. Der österreichische Bariton zeichnet ein vielschichtiges Rollenprofil, das den Täter auch zum Opfer macht. Klarheit und Transparenz charakterisiert seine Interpretation – jedes Wort ist verständlich. Jede melodische Linie wird mit Leben und Farben gefüllt. Auch die Philharmonia Zürich erzielt unter der Leitung des Basler Musikdirektors Erik Nielsen diese Durchsichtigkeit. Die Konturen sind klar, die Balance gelingt hervorragend. Nur wenn die Sänger schweigen, dreht das Orchester auf wie nach Elektras Mordaufruf an Helena, der in einem Schlagzeuggewitter mündet. Was die Holzbläser abliefern, beispielsweise ein perfekt intoniertes Unison zwischen Piccoloflöte und Kontrafagott oder Samuel Castro Bastos berührende Soli auf dem seltenen Heckelphon, ist überragend.

Regisseur Hans Neuenfels überträgt bei seinem Zürich-Debüt die Klarheit der musikalischen Interpretation auf die Regie. Die Vorgeschichte macht er sichtbar, indem er Klytämnestra (Evelyn Angela Gugolz) und Ägisth (Benjamin Mathis) auf die abstrakte, von einem geometrischen Muster strukturierte Bühne holt und sogar ein trojanisches Pferd auffahren lässt (Bühne: Katrin Connan). Apollo (etwas eng in der Höhe: Airam Hernandez) trägt einen Goldphallus, wenn er sich zu Dionysos wandelt (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer). Für den Auftritt der schönen Helena wird ein roter Teppich ausgerollt. Ihren steifen,  blauen Glitzermantel, der auf der Bühne stehen bleibt, zieht Apollo über – und kündet damit schon das Ende an, wenn die von Orest getötete Helena seine Geliebte wird. Claudia Boyle verleiht dieser Frau mit ihrem stupenden Koloratursopran Glanz und Ausstrahlung. Ihre Tochter Hermione, die Orest in die Augen schaut und so ihre eigene Ermordung verhindert, erhält durch den glockenhellen Sopran von Claire de Sévigne vom Züricher Opernstudio eine geradezu knabenhafte Unschuld. Ruxandra Donose ist mit ihrem voluminösen, hochdramatischen Mezzo als rachesüchtige Elektra das Gegenbild dazu, Menelaos (Raymond Very) beruhigt statt zu eskalieren. Am Ende widersteht Orest dem Kreislauf der Gewalt. „Was werden wir tun, wenn es am Himmel keine Sterne und keine Götter mehr gibt“, lässt Hans Neuenfels mit einer Leuchtschrift fragen. Orest löst sich von der Hand Hermiones. Und geht alleine den Weg ins Dunkle, Ungewisse.

  • Weitere Vorstellungen: 2./7./10./12./19./24. März 2017. Karten unter www.opernhaus.ch oder tel. unter Tel. 0041 44 268 66 66

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