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Gewandhausorchester, Musikalische Leitung Antonino Fogliani, Marina Prudenskaya (Azucena), Gaston Rivero (Manrico), Roberta Mantegna (Leonora), Dario Solari (Conte di Luna). Foto: © Kirsten Nijhof
Gewandhausorchester, Musikalische Leitung Antonino Fogliani, Marina Prudenskaya (Azucena), Gaston Rivero (Manrico), Roberta Mantegna (Leonora), Dario Solari (Conte di Luna). Foto: © Kirsten Nijhof
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Aller Anfang ist schwer – Die Oper Leipzig wagt sich als mit Verdis „Il trovatore“ in die Streaming-Welt

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Die Opernhäuser, die sich seit längerem darauf eingestellt haben, Ihre Neuproduktionen für eine moderne Art der Zusatzvermarktung aufzuzeichnen, haben in Pandemiezeiten mit ihren unfreiwilligen Pausenzeiten für live produzierte und zu erlebende Kunst momentan einen deutlichen Vorteil. Wenn Streamen ohne Publikum im Saal in Lockdown-Zeiten die einzige Möglichkeit bleibt, überhaupt etwas heraus- und ans Publikum zu bringen, dann haben diese Häuser die Nase vor. Anders als München, Stuttgart, Zürich oder Wien gehören die sächsischen Opernhäuser in dieser Beziehung nicht zu den Vorreitern. In Leipzig hat man eher den Gipfelsturm zum geplanten Wagner-Großevent mit sämtlichen Opern des Meisters im Sinn, als die Mühen der Ebene.

Der Leipziger Opernchef Ulf Schirmer reagierte immerhin in Sachen „Lohengrin“ vor kurzem erstaunlich pragmatisch und platzierte immerhin seinen nicht nur szenisch abgespeckten „Lohengrin“ für eine einzige Aufführung mit Publikum kurzerhand unmittelbar vor den Beginn des aktuellen Lockdowns.

Die Neuproduktion von Verdis „Il trovatore“ gab es jetzt in Leipzig erstmals als Livestream-Premiere. Für das Haus eine sozusagen doppelte Premiere. So wie zwei Tage davor auch in Köln mit Korngolds „Die tote Stadt“. Technisch funktionierte der Livestream aus Leipzig am Sonntagabend deutlich besser. Hier gab es (anders als bei der Übertragung aus Köln) keinerlei Aussetzer während der Vorstellung.

Das Wichtigste aber: die musikalische Qualität konnte sich hören lassen. Die war das eindeutige Plus dieses Fernsehabends aus der Leipziger Oper. Das auf der Bühne hinter der schmalen Spielfläche postierte Gewandhausorchester unter Leitung des Sizilianers Antonio Fogliani vermittelte eine auf knapp 100 Minuten eingekürzte Verdi-Hochspannung.

Aus dem Protagonisten-Ensemble ragte die mezzosatte Leuchtkraft und szenische Präsenz der Azucena Marina Prudenskaya heraus. Die familiäre Leidensgeschichte dieser Figur steht für die tragisch schicksalhafte Verstrickung in Verdis populärem Opern-Thriller aus dem Jahre 1853. Die mit vokaler Leidenschaft aufwartende Roberta Mantegna ist als Leonora die begehrte Frau zwischen den beiden Männern Manrico und Graf Luna, die sich als leibliche Brüder herausstellen. Für den in Uruguay geborenen Tenor Gaston Rivero und seinen Landsmann Dario Solari ist das die klassische Steilvorlage für ein veritables italienisches Opernduell  um eine Frau auf Leben und Tod. Die vier sorgen für den vokalen Drive der Aufführung. Doch auch die auf  eine Stichwortgeberrolle beschränkten Partien der Ines (Sandra Maxheimer) sowie von Ruiz (Alvaro Zambrano) und und Ferrando (Sejong Chang) sind sorgfältig besetzt. Den nicht sichtbar in Erscheinung tretenden Chor hat Thomas Eitler-de Lint einstudiert.

Für Azucena hat Bühnenbildner Markus Meyer einen Haufen mit diversen Gepäckstücken hinter einem Absperrband vor dem Orchester platziert. Die Kostüme von Sven Bindseil machen jeweils den sozialen Rang der Akteure kenntlich. Festliches Schwarz mit Spitze für Leonora, besticktes und militärisch Uniformes für den Grafen, Klischee-Buntes für Azucena. Diese szenische Umsetzung auf schmaler Spielfläche vor dem Orchester bleibt jedoch deutlich hinter der musikalischen Überzeugungskraft zurück. Nicht nur weil es sich coronabedingt um eine – sagen wir mal  – höchstens drittelszenische Aufführung handelt, mit der ein versierter Regiepraktiker wie Jakob Peters-Messers deutlich unterfordert ist. Es gibt ein paar illustrierende Zutaten. Über die Szene geisternde Frauen mit Babypuppen im Arm spielen auf das Grauen an, von dem Azucena berichtet. Zwei Engel, die mit riesigen Schwertern in slowmotion aufeinander einschlagen, könnten für die beiden Brüder stehen. Ansonsten dominieren eher einfache Auf- und Abgänge. Durch die Nahaufnahmen kommt es freilich mehr auf die Mimik jedes einzelnen an, als auf die große Operngeste. Und da konnte nur Prudenskaya wirklich überzeugen. Hinzukommt eine höchstens suboptimale Lichtregie und die optische Dauerpräsenz des Orchesters im Hintergrund, wenn nicht gerade von schräg oben gefilmt wurde. Das machte jeden Versuch zunichte, einen Spiel-Raum zu imaginieren. So wird dieser „Il trovatore“-Livestream auch zu einem Probelauf für das, was möglicherweise noch länger die zweitbeste, aber einzig realisierbare Premierenvariante sein könnte.

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