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Die Jungfrau von Orleans | Opernchor | Foto: Lutz Edelhoff
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Bejubelt: Peter Tschaikowskys Oper „Die Jungfrau von Orléans“ bei den Domstufenfestspiele in Erfurt

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Beim zweiten Anlauf hatten man mit dem Wetter mehr Glück in Erfurt. Am Freitag fiel die Premiere von Peter Tschaikowskys „Jungfrau von Orléans“ nämlich buchstäblich ins Wasser. Dabei hatte es das aktuelle Freiluftspektakel vor der grandiosen Kulisse aus Dom und Severikirche sogar in die ZDF-Nachrichten geschafft.

Das Theater Erfurt hat seine jährlichen Domstufenfestspiele, mit denen die neue Spielzeit unter freiem Himmel jeweils frühzeitig eingeläutet wird, längst als feste (und für die Hausbilanz zuträgliche) Größe im Kulturkalender Thüringens und darüber hinaus etabliert. Die politische Vorsicht vor den besonders kulturfeindlichen Corona-Kennziffern hat die mögliche Zuschauerzahl bei den geplanten zwanzig Vorstellungen auf 1200 pro Abend halbiert. Die Maskenpflicht gilt lediglich für den Weg bis zum Platz. Aber, dass Live-Vorstellungen überhaupt möglich sind, ist ja heutzutage allein schon ein Erfolg!  

Für Peter Tschaikowskys auf zweieinhalb Stunden samt Pause zusammengekürzten Vierakter, der 1881 in St. Petersburg uraufgeführt wurde, hat der Erfurter Hausbühnenbildner Hank Irwin Kittel die Domstufen, die dem Ganzen den Namen geben, komplett mit einer gewaltigen sich wie eine Welle aufbäumenden Wand überbaut. In diese gewaltige Woge sind zwei zusätzliche Spielplateaus eingezogen. Hier treten Engel auf, werden Schlachten geschlagen, die himmlischen Mächte angerufen und das Ganze imposant illuminiert. Nach der Pause sogar in den Regenbogenfarben, die vor kurzem dem Münchner Olympiastadion verwehrt wurden. Das hat zwar nichts mit dem Stück, wohl aber mit dem schwulen Komponisten der Oper und der Kontinuität von Vorurteilen gerade in Russland zu tun. Und es wirkte für sich genommen ebenso eindrucksvoll wie die projizierten Schriftzüge mit Johannas Namenszug, die sich am Ende so verdichten, dass der Name, wie die Heldin selbst, untergeht. 

Rechts und links am Fuß dieser metaphorischen Treppen-Woge liefern zwei große Bildschirme zu Beginn einen Blick auf das Philharmonische Orchester Erfurt, das etwa einen Kilometer entfernt live im Opernhaus spielte und von seinem neuen 1. Kapellmeister Yannis Pouspourikas dirigiert wurde. Beim Schlussbeifall ließ der (wie auch immer) zum Dom geeilte Dirigent seine Musiker – ganz homeofficelike – von hier aus aufstehen. Dem typischen Pathos Tschaikowksys blieben er und sein Orchester nichts schuldig. Weil hier mit einer Glasfaserleitung zwischen Opernhaus und der Soundanlage auf dem Platz technisch nachgerüstet wurde, nähert sich der ja auch früher lautsprecherverstärkte Orchesterklang tatsächlich ein erhebliches Stück einer Qualität wie im Haus an. Ihren Praxistest hat diese technische Aufrüstung jedenfalls glänzend bestanden!

Die Inszenierung des japanischen Gastregisseurs Timo Sugao machte eher subtile Vorschläge für Abrüstung. Da gingen die von Johanna per göttlicher (Selbst-)Ermächtigung angeführten Franzosen in aussichtsloser Lage und die englischen Eindringlinge nämlich mit Riesenfedern aufeinander los. Die avancierten überhaupt zum wichtigsten Requisit. Waren Waffen, Banner oder Teile von Engelsgefieder. Je nach Bedarf. Sie wechseln ihre Farben, sind bei den Engeln schwarz, am französischen Hof blau, bei den Engländern rot und zur Krönung golden. Sie sind nicht nur hübsch anzusehen, sondern imaginieren mit ihren Schattenwürfen ebenso effektvoll Schlachtengetümmel, wie sie den bombastischen Einzug von Karl VII. zur Krönung in Reims umrahmen. Diese Abstraktion sorgt aber auch für Distanz zum Stoff. Zusammen mit den phantasievollen Kostümen von Bianca Deigner, zu denen außer bei Johanna und Lionel (nicht Schutz-, sondern Theater-)Masken gehören, touchiert die Optik mitunter eine stilisierte, wenn auch noble Comic-Ästhetik. Das Russische an der emotional aufgeladenen Musik und dem Gesang, die deutschen Übertitel und der eigentliche Ort des Geschehens Frankreich schaffen zusammen eine gewisse Distanz zum Geschehen, das auf der Bühne als eine per se imposante Show zelebriert wird. 

Die vokale Hauptlast in der Geschichte von der französischen Bauerntochter, die die Franzosen aus dem Stand in den Krieg führt, die Engländer besiegt, sich in einen der Feinde verliebt und dann als Hexe verbrannt wird, trägt Johanna. Die Rolle ist in Erfurt dreifach besetzt – am Samstag überzeugte darin mit ihrer prägnant entschlossenen, sicher geführten kraftvollen Stimme die litauische Mezzosopranistin Eglė Šidlauskaitė. Dass Siyabulela Ntlale ihr Partner als burgundischer Ritter Lionel war, beglaubigte den Wechsel vom Kampf- zum Liebespartner vokal höchst überzeugend. Auch Kakhaber Shavidze als eindrucksvoller Tibo d' Arc und  Máté Sólyom-Nagy als kämpferischer Dunois ragten aus dem durchweg überzeugenden Ensemble heraus. Den Chor hatte Andreas Ketelhut vokal bestens vorbereitet. Das Publikum war sich im Schlussapplaus einig, dass sich dieses Openair-Spektakel lohnt! Jetzt muss nur noch das Wetter mitspielen. Und das Virus…. na lassen wir das lieber.

  • Nächste Vorstellungen: vom 13.7. bis 1. August täglich (außer am 26. und 27. Juli) 

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