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vorn: Marie Hänsel (Füchslein Schlaukopf); hinten: Martin Lechleitner (Pàsek), Mitglieder des Kinder- und Jugendchores. Foto: © Nasser Hashemi
vorn: Marie Hänsel (Füchslein Schlaukopf); hinten: Martin Lechleitner (Pàsek), Mitglieder des Kinder- und Jugendchores. Foto: © Nasser Hashemi
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Das rosarote Füchslein – Frei, sehr frei nach Leoš Janáček in Chemnitz

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Eigenwillig ist diese Oper schon: Da holt sich ein Förster eine Füchsin ins Haus, sehnt sich aber heimlich nach einem Zigeunermädchen (das einstens völlig unbefangen so genannt werden durfte, weil dieser Begriff damals für ein freies, ungebundenes Dasein stand) und bekommt dafür natürlich Ärger mit seiner Gattin. Des Försters Frau verabscheut nämlich die Füchsin, weil sie wohl ahnt, das wilde Tier stünde für die unerlaubte Sehnsucht ihres Mannes. Obendrein könnte das Vieh Flöhe anschleppen.

Eigenwilliger noch ist die jüngste Umsetzung der 1924 in Brünn (Brno) uraufgeführten Oper „Das schlaue Füchslein“ von Leoš Janáček nun am Opernhaus Chemnitz geraten. Der aus Andorra stammende Regisseur Joan Antón Rechi inszeniert seine erste Janáček-Oper überhaupt und macht prompt eine Rechi-Oper daraus. Von Waldidylle und Försterei keine Spur. Die Füchsin ist ein junges, in rosa Tüll gekleidetes Mädchen, das mit verbundenen Handgelenken (wohl Zeichen eines Selbstmordversuchs?) apathisch in einem weißen Zimmer verharrt, zuvor womöglich missbraucht worden ist.

Tiere gibt es hier allerdings keine. Keinen Fuchs, keine Füchsin. Auch der Förster ist kein Förster, sondern Arzt, aber ein Arzt mit Jagdgewehr. Die Förstersleute tragen weiße Kittel und behandeln das Mädchen, das mittels Spritze sediert wird. Wo sind wir hier gelandet, in einer Gummizelle etwa? Bei sadistischen Hobby-Psychiatern? Oder im Hinterraum eines Edel-Bordells?

Janáček bezeichnete „Das schlaue Füchslein“ mehrfach als seine beste Oper. Sie basiert auf einem Comicstrip, den der Komponist in einer mährischen Tageszeitung vorfand. Geradezu surrealistisch werden darin Tier- und Menschenwelt miteinander verbunden, indem menschliche (vor allem halt eher männliche) Liebessehnsüchte als folgenreiches Eingreifen in die Natur dargestellt werden.

Bei Rechi und seinem Ausstatter Sebastian Ellrich findet sich nichts von dieser längst brüchig gewordenen Natürlichkeit. Sie setzen auf kaltes Weiß, kontrastiert mit geilem Rot und tödlichem Schwarz. Wer die Oper nicht kennt und die eigenwillige Umdeutung der Handlung im Programmheft nicht gelesen hat, dürfte den pausenlos gut eineinhalbstündigen Abend mit reichlichem Grübeln verbracht haben. Wie sollte auch zu verstehen sein, dass sich neben dem Förster/Arzt noch ein fragwürdiger Pfaffe und ein verklemmter Schulmeister in diese „Zigeunerin“ verguckt haben, die freilich in keiner Szene der Oper je vorgesehen ist und hier nur stumm auftreten wird. Die Füchsin jedoch, eben das schlaue Füchslein, entkommt den Sadisten, nachdem sie einen eitlen Hahn und dessen gefügigem Gefolge entlarvt hat und dadurch einiges Chaos im Club anrichten konnte.

Rechtis Regie hat höchst fantasievoll an der Oper vorbei inszeniert und eine eigene Deutung entwickelt, in der die weiße Gummizelle gegen prollig rotes Ambiente ausgetauscht wird und ein Revuepersonal agiert, das von keusch bis kokett so ziemlich alles aufbieten soll. Laszive Momente erheitern das Premierenpublikum, ein schwarzer Riesenhengst wirkt als Blickfang, vielleicht sogar als potente Symbolik, und die rosarote Traumwelt der Titelfigur wird ihr jäh entrissen, nachdem der galant um sie werbende Fuchs ihr eine stattliche Kinderschar beschert hat. Just der hier als Freigeist beschriebene Landstreicher Háraschta soll am Ende das Zigeunermädchen bekommen und es mit einem Fuchspelz beschenken.

Musikalisch ein Ereignis!

Von diesem Kreislauf aus Eros und Tod inmitten einer unverbrauchten Natur ist in dieser Sicht zwar nichts zu sehen, aber sehr viel zu hören. Denn die Musik von Leoš Janáček ist ein Fest! Da gibt es mährische Folklore mit klingenden Ausflügen in die Moderne des Impressionismus, da tönen flirrende Streicher wie flatternde Vöglein in hohen Lüften, sind aber bassig grundiert, als ginge es durch feucht-schweren Waldboden. Sattes Blech und zierliches Holz tönt aus dem Graben, in dem Generalmusikdirektor Guillermo García Calvo die Fäden streng in der Hand hält und ein orchestral perfektes Uhrwerk auf slawische Melancholie treffen lässt. Von den zahlreichen Haupt- und Nebenpartien seien nur die wichtigsten genannt: Allen voran Marie Hänsel und Marlen Bieber als liebevolles Fuchspaar, das spielerisch und stimmlich wunderbar berührend harmoniert. Jukka Rasilainen ist ein vokal wie agil beherrschender Förster und Arzt (von dessen fast komplett durchschrittenen Lebenskreis hier aber nichts gezeigt wird), während Leandra Johne als Krankenschwester-Förstersfrau (und Eule!) für eher schrille Töne und Taten zu sorgen hat. Bemerkenswert auch der sonor draufgängerische Felix Rohleder als Háraschta.

All die Stimmen des Waldes, die vielen Tiere und Tierkinder sowie das Dorfpersonal haben solistisch wie kollektiv (Opernchor nebst Kinder- und Jugendchor der Theater Chemnitz) zu einer großen Ensembleleistung beitragen können, wofür es reichlich Beifall gab, während die schwer verständlich persiflierte Regie im eher spärlich besetzten Premierenpublikum für einiges Kopfschütteln gesorgt hat. Respekt gebührt dem Versuch, „Das schlaue Füchslein“ in Originalsprache (und nicht in der durchaus etwas fragwürdigen Übersetzung Max Brods) auf die Bühne zu bringen. Das entspricht der musikalischen Vorlage, sorgt aber für permanent eingeworfene Zischlaute der fleißigen Souffleuse. So eigenwillig wie der ganze Abend.

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