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Musiktheater-Uraufführung Schlachthof 5 (Generalprobe), Foto: Stephan Floss
Musiktheater-Uraufführung Schlachthof 5 (Generalprobe), Foto: Stephan Floss
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Die erste echte Corona-Oper? - „Schlachthof 5“ ist auch auf der Bühne eine Geschichte gegen den Krieg

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Wenn das mal keine transatlantische Solidargemeinschaft ist: Der US-amerikanische Autor Kurt Vonnegut hat seine Kriegsgefangenschaft bei der Nazi-Wehrmacht zu einem grandiosen Roman gedeihen lassen. Daraus komponierte der 1970 in der damals sowjetischen Hauptstadt Moskau geborene Vladimir Rannevs nun eine Oper.

Seit dem 13. Februar 1945 rankt sich in Dresden alles oder zumindest fast alles um den 13. Februar 1945. Die Zerstörung der Stadt wurde zum Mythos, mit dem allzu gern die kriegerische Geschichte der sächsischen Hauptstadt überblendet wurde und wird, auch die fatale Verbindung der „Kunst- und Kulturstadt“ zu Rüstung und Militär. Die übrigens bis heute anhält – von einer „Offiziersschule des Heeres“ über die militärische Verquickung der Elbe-Flugzeug-Werke bis hin zum universitären Missbrauch in Form von Militärforschung an der (eigentlich ja zivilen!) TU Dresden.

Es steht zu vermuten, dass der US-amerikanische Autor Kurt Vonnegut sich andere, bessere Lehren aus der Geschichte gewünscht hätte. Schließlich hat er als Kriegsgefangener der Nazi-Wehrmacht das Bombardement des 13. Februar 1945 in Dresden erlebt. In einem städtischen im Schlachthof, den er gut zwanzig Jahre als Widerspiegelung seiner Erfahrungen mitsamt einiger Fantasien und biografischen Entsprechungen zum Roman erhoben hat: „Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug“.

Schließlich waren und sind es ja überall zumeist noch halbe Kinder, die von kindsköpfigen Generalitäten in die Schlachten getrieben wurden und werden, um zu morden oder gemordet zu werden. Blutige, unfassbare Absurditäten, die scheinbar unausrottbar sind. Es sei denn, man betrachtet diese Idiotie mit einigem Abstand, zum Beispiel von einem Planeten namens Tralfamador, wie ihn sich Vonnegut für seinen Roman ausgedacht hat. Dort hat man – vermeintlich – die Zeit in der Hand, kann sie vor- und zurückspulen.

So jedenfalls in Vonneguts fragmentarisch zusammengestellt wirkender Literatur, die Reales und Absurdes mit bissiger Satire und banaler Sciencefiction zusammenfasst. Die Vorlage war ein gefundenes Fressen für Film und Theater, man denke nur an die 1996 in München uraufgeführte Oper von Hans-Jürgen von Boses.

Auch im neuen Musiktheaterprojekt „Schlachthof 5“ von Vladimir Rannev, das am letzten September-Donnerstag im Festspielhaus Hellerau uraufgeführt worden ist, fließt dies alles ineinander, kulminiert in einer ergreifenden Klangsprache, die der Worte eigentlich kaum mehr bedarf. Die aber dennoch ganz stark vom Wort lebt, ja: von ihm durchsetzt und geprägt ist.

Dass solch ein Werk nach Dresden gehört, liegt auf der Hand. Doch dass es in Zeiten wie diesen überhaupt realisiert werden kann, grenzt fast an ein Wunder. Der russische Regisseur Maxim Didenko hat sein ursprüngliches Konzept verwerfen und völlig neue Ideen umsetzen müssen. Eine Produktionsstätte wie das Festspielhaus Europäische Zentrum der Künste Hellerau zeichnet sich durch enorme Flexibilität und Kreativität aus, öffnet seinen sonst meist verschlossenen Orchestergraben und ersetzt die Publikumsreihen durch separate, drehbare Stühle, Barhockern nicht unähnlich.

So und mit abstandsvoller Platzierung des Chores auf den Tribünen werden sämtliche Abstandsvorschriften erfüllt. Wenn aber dann das Ensemble AuditivVokal in nächster Nähe zum Publikum auftreten soll, agieren die acht Sängerinnen und Sänger in rollbaren Kabinen, von durchsichtigem Kunststoff umgeben, singen elektronisch verstärkt und umsichtig geleitet von Olaf Katzer.

Der dirigiert Rannevs Opus mit Akribie, auf dass die von großer Klarheit getragenen Töne schier durch den Raum schweben, von Satzfetzen durchzogen sind, mit Wortwiederholungen und einzelnen Silben gespickt. Ein Klangereignis, dem man sich nicht zu entziehen vermag, das aber vom Gesamtkunstwerk „Schlachthof 5“ nicht losgelöst werden kann. Denn die Textfassung des Dramaturgen Johannes Kirsten verzichtet auf lineares Erzählen, durchstreift blitzlichtartig die Stationen des Soldaten, Kriegsgefangenen, Ehemanns und nach Tralfamador entführten „Erdlings“ Billy Pilgrim, dem man mal im außerirdischen Zoo begegnet, mal in Weltkriegsschlachten, mal in den 1960er Jahren, dann eben auch am 13. Februar 1945 im Dresdner Schlachthof.

Es ist ein Kaleidoskop, das da in den Köpfen entsteht und mit Klang, Sprache, Wortprojektionen, Videosequenzen und Tanz auf das Publikum einwirkt. In der Tiefe des weiß ausgekleideten Grabens agiert Schauspieler Wolf-Dieter Gööck (als wäre er Vonneguts Alter Ego Billy Pilgrim) mal im Solo, mal mit Tänzern, wird in einer Folge bizarrer Szenen gefilmt und auf große Leinwände projiziert. Zweimal weist er die Zuschauer an, ihre Plätze zu wechseln, was jeweils zu einer theatralen Zeremonie gerät, in der die Barhocker desinfiziert und sämtliche Abstände schreitend eingehalten werden müssen. Die Folge ergibt neue Perspektiven auf das Geschehen, neue Klangeindrücke sowie ein unbestimmbares Gemeinschaftsgefühl. Vielleicht stellt diese Art von Theater ja die erste echte Corona-Oper dar? Inszenierung und Umsetzung sind ganz auf die aktuellen Bedingungen zugeschnitten, ohne jedoch Abstriche an Musik und Inhalt hinzunehmen.

„Schlachthof 5“ ist ein packendes Kunstwerk, wenn auch keineswegs ein vergnügliches. Drastische Schilderungen werden durch die mitunter gequält wirkende Körpersprache der Tänzerinnen und Tänzer verdeutlicht, die Choreografie von Vladimir Vamava ist fordernd und streift mitunter wohl auch die Grenzen des darstellerisch Machbaren. Theater für alle Sinne und dennoch nicht nur mit hohem ästhetischen Anspruch, sondern mit dem klaren Kerngedanken, dass Krieg stets ein Verbrechen ist. Zum Schluss, nachdem einige Opferzahlen dieses von Deutschland angezettelten Weltkriegs genannt worden sind, wird die Frage an die Wand projiziert: „Ist das eine Geschichte gegen den Krieg?“

Der Antwort kann man nur beipflichten: „Ja, ich denke schon.“ Betroffenheit beim Publikum, und nach einem nachdenklichen Schweigemoment lautstarker Beifall. Verdienter Beifall.

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