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Ashley Holland in der Titelpartie sowie Chor und Statisterie der Oper Frankfurt im Sallinens „Kullervo“. Foto: Monika Rittershaus
Ashley Holland in der Titelpartie sowie Chor und Statisterie der Oper Frankfurt im Sallinens „Kullervo“. Foto: Monika Rittershaus
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Düsteres vom verlorenen Menschen: Aulis Sallinens „Kullervo“ in Frankfurt

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„Ich habe doch niemals gewollt, das zu sein, was ich jetzt bin“ sagt Kullervo über sich selbst. Diese Selbstreflexion passt sowohl auf einen heidnisch wilden Helden aus mythischer Vorgeschichte wie auf einen fundamentalistisch gläubigen „Märtyrer“ unserer fanatisierten Terror-Tage. So ließe sich eine blutige Fantasy-Saga aus Finnlands großem „Kalevala“-Epos erzählen, vergleichbar den mythischen Helden des „Nibelungenlieds“, der „Edda“ oder dem „Herrn der Ringe“.

Da aber Kullervo sich am Ende seines leidvollen Lebenswegs – Stationen voll Inzest, Sklavendasein, Liebesscheitern, Verstoßung und Rachemorden - ins „erlösende“ Feuer stürzt, kommen dem mitdenkenden Zuschauer natürlich auch die Bilder heutiger Selbstauslöschungen im Feuerblitz in den Sinn.
Doch Aulis Sallinen wollte bei der Auswahl der „Kullervo“-Episoden aus dem „Kalvela“-Epos – darin vergleichbar Carl Orffs Antiken-Vertonungen – der Haupthandlung um die Titelfigur eine weitere Ebene hinzufügen: den „Chor“, der erläuternd, kommentierend, reflektierend und einige Male fast „anleitend“ die Szenen begleitet.

Zu Kullervo fallen Chor-Sätze wie „ohne Acht gewiegt als Kind...von seinem harten Vater, seiner dummen, falschen Mutter“ – und das ist der Ansatz, den Regisseur Christof Nel und seine tiefenpsychologisch geschulte Mitarbeiterin Martina Jochem gewählt haben: beide glauben unter Einbeziehung der Erkenntnisse von Thea Bauriedl und Alice Miller nicht, dass ein Mensch aus sich alleine so abgründig böse werden kann, dass Sallinen mit diesen Chor-Phrasen seine Ansicht vertont hat: „Aus Kullervo wird ein Mörder und Ungeheuer. Wäre es nicht gerechter, den Schuldigen woanders zu suchen? Dort, wo die kollektive Verantwortung für Bildung und Entwicklung des Menschen fehlt?“

So steht der Chor als bundesrepublikanische Gesellschaft der spätern 50er Jahre auf der Bühne: nach der Verdrängung aller „Vergangenheit“ blitzsauber und ordentlich das „schwarze Schaf“ begleitend, zunächst distanziert im 1.Stock der beiden offenen Gehäuse auf der linken und rechten Bühnenhälfte, mit denen Bühnenbildern Jens Kilian die beiden feindlichen Familien voneinander absetzt. Später kommt dieser Chor auch aus dem dunklen Hintergrund und umgibt die erstarrt oder isoliert wirkenden Hauptfiguren. Den mal rhythmischen Sprechgesang, die dunklen Klangflächen und düsteren Kommentare bewältigte der Frankfurter Chor in Matthias Köhlers Einstudierung bedrückend eindringlich. Aus Sallinens mal diatonischen Linien, den Schlagzeug-Explosionen und den fast unwirklich aufleuchtenden Melodien gestaltete Dirigent Hans Drewanz mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester eine fesselnd schwarze Welt, aus der der Mahlersche Schmerzenston fast hoffnungsvoll aufschien.

Düster bis „schwarz“ wirkte die ganze Inszenierung von der dunkel ausgeleuchteten Bühne herunter durchweg: Kullervos Einsamkeit, seine tödliche Rache für die Verspottung seiner Liebesunfähigkeit durch die schöne junge Schmiedin, die Vernichtung der rivalisierenden Familie des Onkels, sein Hang zum Selbstmord – Bariton Ashley Holland gelang eine furchterregende Studie eines Outcasts. Dazu kontrastierten die verzweifelten Versuche seines gestörten Bruders Kimmo, der als wissender Narr von shakespearschem Format fast alles mit dem Herzen erkennt, die Familie am gedeckten Tisch manisch zusammenzubringen versucht und am Ende auch scheitert – was Peter Marsh mit Klaus-Kinsky-Intensität spielte und mit glänzenden Tenor-Phrasen gestaltete.

Aus dem bis in Nebenrollen der Kullervo begleitenden Killer glänzend besetzten Solisten-Ensemble ragten zwei gleichfalls „geschlagene“ Frauen heraus. Die ihre vokal glühende Leidenschaft berechnend einsetzende Schmiedin von Jenny Carlstedt wurde überragt noch von der durch Patriarchat, Familienzwänge und Kindesbindung zerrissenen Mutter von Heidi Brunner, in deren leuchtenden Sopranphrasen auch kurz das Klang wurde, was aus Sallinens Sicht der „Wolfswelt“ Kullervos fehlt: während ja im gleichzeitig in Frankfurt laufenden Weltendrama, in Wagners „Ring“ zumindest am Ende als Erinnerung und Mahnung nochmals die schönste Liebesmelodie erklingt, endet „Kullervo“ erlösungslos dunkel. Musiktheater als düsteres Mahnmal – gerade auch für unsere lieblosen Zeiten.

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