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Leonard Bernstein. 100. Geburtstag. Grafik: Hufner
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Ein Leben für Musik – zum 100. Geburtstag von Leonard Bernstein

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Orchester-Partituren schien Leonard Bernstein zu atmen. Der Maestro aus Massachusetts brillierte auf Podien weltweit und lockerte die Klassik für die nachfolgende Generation auf. Seine Konzerte setzten Maßstäbe.

Vielleicht war es eine seiner spontanen Eingebungen, als Leonard Bernstein sich 1989 dazu entschied, in den berühmten Finalsatz von Beethovens Neunter Symphonie einzugreifen. Besondere Umstände – die Berliner Mauer war gerade gefallen, das Ende des Kalten Krieges stand bevor – erfordern besondere Mittel, und so dichtete der Dirigent den Text von Friedrich Schillers Ode „An die Freude“ kurzerhand um. Die Ode „an die Freiheit“ sang der Chor im Ost-Berliner Schauspielhaus nun. Die wiedervereinte Stadt jubilierte.

Vor 100 Jahren (25. August) wurde Leonard Bernstein geboren. Sein in mehr als 20 Länder übertragenes Berlin-Konzert dürfte den Deutschen als vielleicht denkwürdigster Moment seiner Karriere in Erinnerung bleiben. Das Orchester hatte er besetzt mit Musikern aus Ost- und Westdeutschland sowie aus Frankreich, Großbritannien, den USA und der Sowjetunion – den Alliierten, die Hitler-Deutschland gemeinsam besiegt hatten. Die „Ode an die Freiheit“ und Schillers Hochgesang auf die menschliche Brüderlichkeit hätte kaum an einem besseren Ort und zu einem besseren historischen Augenblick aufgeführt werden können.

Trotz aller Symbolkraft blieb dieses Konzert in Bernsteins Laufbahn fast eine Randnotiz. Der begnadete Komponist, Dirigent, Pianist und Lehrer hinterließ seine Handschrift in klassischer Musik, aber auch im Film, Musical und Ballett. Er entstaubte die Klassik, machte sie jungen Menschen zugänglich und rüttelte Konzertgänger mit seinem extravaganten Stil auf. Die „New York Times“ bezeichnete ihn nach seinem Tod am 14. Oktober 1990 – nur knapp ein Jahr nach dem Berliner Konzert – als „einen der erfolgreichsten Musiker in der amerikanischen Geschichte“. Bernstein, so die Zeitung, habe ein geradezu „verschwenderisches“ Maß an Talent gehabt. Leonard Bernstein war zehn Jahre alt, als seine Tante ihr Klavier zum Einlagern in sein Elternhaus im Ort Lawrence, Massachusetts schickte.

„Ma, ich will Unterricht!“, rief der Junge, als er die schwarzen und weißen Tasten sah. Eigener Aussage zufolge hörte Bernstein seine erste Symphonie erst mit 16 Jahren – sehr spät für einen professionellen Musiker und den späteren Dirigenten der New Yorker Philharmoniker. Aber schon während seines Studiums in Harvard, darunter beim renommierten Walter Piston, und nach seiner ersten Symphonie „Jeremiah“ zeigte sich, dass der Sohn eines russischen Einwanderers für ein Leben für und mit der Musik bestimmt war.

Vielleicht hatte er so etwas geahnt. Denn als Chefdirigent Bruno Walter von der New Yorker Philharmonikern – Bernstein war dort inzwischen Assistenzdirigent – im November 1943 plötzlich erkrankte, übernahm der junge „Lenny“ das Podium. Die Partituren, darunter Werke von Schumann, Strauss und Wagner, hatte der 25-Jährige für den Fall der Fälle besonders genau einstudiert. Und er glänzte. Bernstein bewies, dass er auch unter schwierigen Umständen technisch selbstsicher war und große Kompositionen hervorragend interpretieren konnte. Es folgten Gastauftritte in den USA, Europa und Israel. 1953 dirigierte er als erster US-Amerikaner die Mailänder Scala.

„Ich habe kein Interesse an einem Orchester, das nach sich selbst klingt. Ich will, dass es nach dem Dirigenten klingt“, lautet eines von Bernsteins bekanntesten Zitaten. So verpasste er auch den New Yorker Philharmonikern seine ganz eigene Note: Mit informellen Aufführungen rund um Klassik, Themen-Abenden und Avantgarde-Stücken zog er das Orchester als Chefdirigent (1958-1969) aus einem Tief, nachdem sinkende Publikumszahlen und ein eintöniges Repertoire an der Moral der Musiker genagt hatten.

Die deutsch-österreichische Musik und Komponisten wie Beethoven, Brahms, Haydn und Schumann hatten in Bernsteins Schaffen einen besonderen Platz. Seine Aufnahmen von Mahlers Symphonien gelten als die besten überhaupt, und Bernsteins Leidenschaft für den Spätromantiker führte in den USA zu einem Mahler-Boom. Mit seinen im Fernsehen übertragenen „Young People's Concerts“ führte er junge Menschen an die Klassik heran und diente im Konzertzentrum Tanglewood einer ganzen Generation von Musikern als schillernde Leitfigur.

Wer Bernsteins Musik sezierte, erkannte seine Raffinesse und Vielseitigkeit: Er wob Jazz-Elemente und biblische Themen in seine klassischen Stücke, er zitierte seine jüdischen Wurzeln und griff römisch-katholische Motive in seiner „Messe“ von 1971 auf. Darüber hinaus schrieb er Ballette („Fancy Free“ und „Facsimile“) und Musicals – neben „On the Town“ und „Candide“ wurde vor allem „West Side Story“ zum Hit. Einige von Bernsteins Weggefährten wünschten sich, dass er seine Begabung in Vollzeit doch bitte nur noch der Bildung, dem Ballett oder dem Broadway widmen solle.

Am Karriereende des Klassik-Superstars stand ein ganzer Berg an Grammys, Emmys, Verkaufsrekorden, Ehrendoktortiteln und allerlei Auszeichnungen aus der Welt von Kunst und Kultur. In Lobreden und Danksagungen wurde immer wieder versucht, seine Musik und seinen Stil zu deuten. Interpretationen gingen Leonard Bernstein aber zu weit. Er brach Musik und deren Bedeutung in seinem ersten TV-Konzert für junge Leute 1958 auf ihre einfachste Form herunter.

„Egal, wie oft die Leute euch Geschichten darüber erzählen, was Musik bedeutet, vergesst sie. Geschichten haben mit der Bedeutung von Musik überhaupt nichts zu tun. Musik handelt nie von etwas. Musik ist einfach. Musik ist Noten, wunderschöne Noten, und auf solche Art arrangierte Töne, dass wir es genießen, sie zu hören, und mehr ist es nicht.“

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