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Metalltreppenlabyrinth von Csaba Antal. Foto: A.T. Schäfer
Metalltreppenlabyrinth von Csaba Antal. Foto: A.T. Schäfer
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Entdeckung und Enttäuschung –Antoine Mariottes „Salomé“ im Münchner Prinzregententheater

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Ein Ruhmesblatt! Münchens „anderes Staatstheater“, die Kombination aus Bayerischer Theaterakademie und Musik-Hochschule, dazu die Entdeckerfreude von Dirigent Ulf Schirmer und dem Münchner Rundfunkorchester konnten einem bislang unterschätzten Werk nun den orchestral und gesanglich gebührenden Rahmen im Prinzregententheater bieten. Der 1875 geborene Antoine Mariotte sattelte nämlich vom Marineoffizier zum Komponisten um und begann 1902 die Komposition von Oscar Wildes „Salome“ – parallel zu Richard Strauss.

Über Streitigkeiten um Verlagsrechte hinaus unterlag Mariotte der ekstatisch-hysterischen Nervenmusik von Strauss, der 1905 die zeitgenössische Strömung der „décadence“ perfekt traf. Nach einigen wenigen Produktionen in Frankreich geriet das Werk schon vor dem 2.Weltkrieg in Vergessenheit – bis das Festival von Montpellier das Werk 2004 konzertant, 2005 auch szenisch zu neuem Leben erweckte. Jetzt also eine herrliche Ergänzung zum „Richard-Strauss-Jahr 2014“!

Ulf Schirmer und das bestens disponierte Rundfunkorchester räumten mit jeglicher „Zweitklassigkeit“ von Mariottes Musikdrama auf. Da gibt es für die bedrohliche Gewaltherrschaft des Herodes wuchtige Blechbläserballungen und Paukendonner. Mehrfach geballter Orchesterdramatik gegenüber intonieren Flöten und Geigen ein zartes Salomé-Motiv gleich am Anfang. Chor-Vokalisen leiten ihren Schlussgesang ein, der mit dem Salomé-Motiv in der Solovioline endet: eher ein Trauer- und Abschiedsgesang. Salomés Tanz beginnt mit Flöte, Holzbläsern und Streicher-Pizzicati – eine Ahnung von vorderorientalischen Klängen. Insgesamt eine musikdramatisch überzeugende und fesselnde Opernalternative. Jeder Dirigent muss dabei das Orchester eher zügeln, was in der Premiere nicht immer gelang, dennoch konnten die Solisten beeindrucken. Mariottes Hérode ist kein heillos dekadenter Lüstling, sondern ein kalter Machtmensch, den Bariton Eric Ander klar konturiert sang und spielte. Dem Iokanaan von Bariton Heeyun Choi fehlte ein wenig Durchschlagskraft, doch er war „der ganz Andere“. Über die guten Nebenrollenporträts – etwa der 1. Soldat von Bariton Benedikt Eder – hinaus beeindruckte Ann-Maria Thoma als Salomé: ein gut geführter Mezzosopran vom schönem Piano bis zum jugendlichdramatischen Ausbruch, der die Kindfrau mit ihrer Ablehnung des Hofes und ihrer Suche nach der erfüllenden Alternative klanglich gestaltete.

Der erstaunlicherweise mit keinem Buh bedachten Inszenierung von Balázs Kovalik ist nur eine gelungene Schlussszene zu attestieren: Iokanaan kam als blutüberströmter Körper aus der dunklen Bühnentiefe gegangen – nur leider trug er als Requisit nicht ein Modell seines Kopfs, sondern einen banalen Sportball. Dass dann er Salomé küsst, war nur der letzte von Kovaliks verstiegenen Regieeinfällen. Außerdem gab es: erneut die Kovalik-Fixierung auf TV-Utensilien und Video-Bildschirme in der Szene; im aufwändig unergiebigen Metalltreppenlabyrinth von Csaba Antal dazu eine Leopardenfrau, einen römischen Soldaten, einen Metzger mit Messer und Fleischwolf, zwei Stewardessen und einen Dekontaminierer im Schutzanzug mit Sprayausrüstung – und sie alle stiegen ganz symbolträchtig dauernd auf und ab; Hérodias dagegen war an einen Rollstuhl gefesselt und wurde die Treppen rauf- und runtergekarrt; der junge Syrer, der Salomé begehrt, bekam sie nur per Cyberbrille, dafür aber mit Camcorder-Bildern, die sie live unter ihrem Rock aufnahm, weshalb er mit Kissen Sex-Ersatz betrieb und sich dann erschoss; zur Musik ihres Tanzes befriedigte Salomè Hérode zunächst oral, ließ sich dann von ihm halb vergewaltigen und musste ihm dann ihren Schlüpfer reichen, den er sich als Kopfschmuck aufsetzte … Kovaliks Regie-Egomanie stieß nur prompt an fatale Grenzen, weil er angesichts der Jung-Heroinen-Figur seiner Salomé eine kleine Ballerina hinzu erfand, ohne dies dramaturgisch-szenisch fesselnd zu formen. Von Kovalik als Studiengangleiter Musiktheater wäre differenzierte Personenregie zu erwarten, also intensive Detailarbeit mit den jungen Noch-Studierenden - was zu erleben war, ließ den Wunsch wachsen, Kovalik selbst zum Aufbaustudium in „Menschenformung“ etwa bei einem Christoph Loy zu schicken.

Der Bayerische Rundfunk wird die zweite Aufführung am 6. März 2014, um 19.30 Uhr per Video-Live-Stream übertragen. Ab 7. März 2014 ist die Aufzeichnung dieses Live-Streams über die Internet-Mediathek des Bayerischen Rundfunks ein halbes Jahr lang als Video-on-Demand abrufbar

 

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