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Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
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Eriks leerer Geldbeutel – „Der fliegende Holländer“ bei den Bayreuther Festspielen

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Manchen Bayreuth-Besuchern mochte es redundant erschienen sein, in diesem Sommer erneut der „Holländer“-Inszenierung aus dem Jahre 2012 zu begegnen. Aber Regisseur Jan Philipp Gloger, künftiger Nürnberger Schauspieldirektor, beweist mit seiner modifikationsreichen Weiterarbeit die Richtigkeit dieser Entscheidung.

Hatte Gloger im ersten Jahr von „Kompromissen“ gesprochen, welche die Zusammenarbeit mit Christian Thielemann nötig gemacht habe, so konnte er derartige Zugeständnisse durch Wechsel des Dirigenten inzwischen beseitigen. Die kühn gedachte und von Bühnenbildner Christof Hetzer in ihrer Mischung von Hightech und aufgebockter Drehbühne mit zahlreichen Verwandlungen umgesetzte neue Lesart von Wagners Handlung lässt die Börsenströme statt Meer und Schiff nun im dritten Akt auf die gesamte Dekoration übergreifen. Die Inszenierung erhält durch die vom musikalischen Leiter Axel Kober ungedämpfte Spielfreude der Sängerdarsteller_innen einen zusätzlichen Impetus.

In diesem Sommer sind vier der Solopartien neu besetzt. War mit Samuel Youn ursprünglich bewusst ein asiatischer Sänger für die Verkörperung des asiatischen Händlers und drogensüchtigen Außenseiters gewählt worden, so ist nunmehr Geer Grimsley ein westlicher, gleichwohl halbseitig kahlköpfiger, im Geld schwimmender Geschäftsmann – der stimmlich leider über weit weniger Pretiosen verfügt. Im Vorjahr ebenfalls asiatisch besetzt war Daland, der Ventilatorenhersteller der Firma Südwind. Neubesetzung Peter Rose verleiht dem Südwind-Boss mit sonorem Bass neues Gewicht. Im Hin und Her zwischen Bluthochdruck und Beruhigungsmittel vermag Daland im (hier glücklicherweise ungekürzten) Terzett sogar einige Luftsprünge einzubauen.

Überraschend, wie Rainer Trost als hintersinnig kapitalistisch gezeichneter Steuer(ungs)mann des Südwind-Betriebes eine neue, eigene Farbe in diese Produktion einbringt. Bei seinem Einschlafen intoniert er als Textänderung „Ach liebes Mädel komm zu mir!“ (statt „Ach lieber Südwind blas’ noch mehr“); in Wagners originaler Partitur, vom Komponisten nie geändert, doch später von prüden Herausgebern retuschiert, singt der Steuermann beim Aufwachen im Halbschlaf „Ach liebes Mädel blas’ noch mehr!“. Dies singt der Steuermann – in der dieser Aufführung zugrunde liegenden späten Ausgabe – zwar nicht mehr, aber der Holländer lässt sich während seines Monologs in Glogers Inszenierung genau dies von einer Prostituierten praktizieren.

Von der Urbesetzung der Inszenierung Jan Philipp Glogers übrig geblieben ist nur die Mary von Christa Mayer, stimmlich inzwischen weiter gewachsen, aber ohne merkliche szenische Veränderungen. 

Seit der ersten Reprise dieser Inszenierung im Jahre 2013 wirken Ricarda Merbeth und Tomislav Muzek mit, Merbeth als bildende Künstlerin und exaltiert erlösungswillige Senta mit selbst geschnitzten Engelsflügeln und Muzek als Hobbyjäger und suizidgefährdeter Hausmeister Erik. Die Sopranistin spielt unter der musikalischen Leitung von Alexander Kober sehr viel freier und engagierter als vordem unter Thielemann, doch bleibt sie der Partie mit mangelnder Textverständlichkeit und forciertem Dauer-Mezzoforte so manches schuldig. Stimmlich und darstellerisch exzellent verkörpert der angenehm heldenhafte Tenor den mit Klebepistole agierenden Underdog, der nunmehr sein „Leiden“ drastisch auf seinen permanent leeren Geldbeutel bezieht. Diesen führt er Senta ebenso vor Augen, wie später die Erinnerungsfotos an ihre gemeinsamen Jugenderlebnisse.

Die weltreisenden Vertreter der Ventilatorenfirma und die Mannschaft des Holländers als dessen geklonte Vervielfachung, wie auch die quirlig-alberne weibliche Belegschaft bei der Fließband-Fabrikarbeit und als selbstbewusste Freizeit-Individualistinnen verkörpern trefflich intoniert die Formationen des von Eberhard Friedrich einstudierten Festspielchores.

Als Wagner seine Romantische Oper „Der fliegende Holländer“ konzipierte, war er weiter vom Theaterbetrieb entfernt denn je. Um so utopischer war er in seinen Anforderungen an die Bühne und ihre Möglichkeiten, von der Begegnung zweier Schiffe über das pausenlose Durchspielen der drei Akte in einem Aufzug bis hin zur Verklärung des Liebespaares, welche er allerdings erst spät, nach der Komposition von „Tristan und Isolde“, so komponieren konnte, wie sie ihm in den Pariser Notjahren dichterisch bereits vorgeschwebt hatte. Auch in der späten Fassung von 1865 bleibt das in der Urfassung noch instrumental grobschlächtige Aufeinanderprallen von Naturgewalten und extremen Emotionen, wenn auch weitaus gedämpfter, erhalten.

Im verdeckten, magischen Abgrund weckt Dirigent Axel Kober mit dem wohldisponierten Festspielorchester bereits in der forsch genommenen Ouvertüre Assoziationen an diese Ur-Instrumentierung, wischt Patina mit seinen frischen, im besten Sinne natürlichen Tempi beiseite.

Für den ungewöhnlichen Schlussgag der Inszenierung, der Präsentation des verklärten Liebespaars als des Ventilator-Verkaufsobjekt, fällt zum einzigen Mal während der pausenlos dargebotenen Oper der Wagner-Vorhang um sich bald darauf für einen kurzen Moment wieder zu öffnen. Kober verbreitert dabei das Tempo nicht nur um Darsteller_innen und Bühnentechnik mehr Zeit zum Umbau zu lassen, sondern auch um die Tristanische Schlusswendung als eine aus der alten Partituranlage hervorwachsende Neue Musik nachvollziehbar zu versinnlichen.

Wohl um Verwechslungen vorzubeugen, kam der Dirigent zum Applaus mit Taktstock vor den Vorhang. Doch auch der Regisseur erntete nur Zuspruch; das Premierenpublikum dankte ihm wohl auch für die Tatsache, dass an diesem heißen Sommerabend durch einen Ventilator im Spiel partiell kühle Luft des Bühnenhauses in den Zuschauerraum transportiert wurde.

Die Teamarbeit von Dirigent und Regisseur bietet dem Ensemble das sichere Fundament für einen erfolgsträchtigen Musiktheaterabend, den zu erleben, es sich lohnt – auch noch im nächsten Festspiel-Sommer.

  • Die nächsten Aufführungen: 3., 7., 12., 22. und 26. August 2018.

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