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v.l.n.r.: Bettina Grothkopf (Mrs. Ford), László Varga (Falstaff) und Maria Rüssel (Annetta). Foto: Dirk Rückschloß / Pixore Photography
v.l.n.r.: Bettina Grothkopf (Mrs. Ford), László Varga (Falstaff) und Maria Rüssel (Annetta). Foto: Dirk Rückschloß / Pixore Photography
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„Falstaff“ ohne Flagellationen – Michael William Balfes Oper in Annaberg-Buchholz

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Mit Intendant Moritz Gogg glänzt das Musiktheater in Annaberg-Buchholz mit anderen und vielseitigeren Entdeckungen als sein auf deutsche Romantik erpichter Vorgänger Ingolf Huhn. Nach Erich Zeisls „Leonce und Lena“, dem Musical „Liebesbrief nach Ladenschluss“ und der Regie von Christian von Götz zu Ralph Benatzkys „Der reichste Mann der Welt“ vertraute man diesem eine überfällige deutsche Erstaufführung an: Balfes „Falstaff“ ist überdies die erste Produktion einer Oper in italienischer Originalsprache am Ernst-von-Winterstein-Theater.

Der Komponist ist irischer Abstammung. Michael William Balfe (1808-1870) verkehrte mit Donizetti und Bellini, war einer der führenden Musikerpersönlichkeiten der britischen Inseln und landete mit „The Bohemian Girl“ auf das Textbuch des Theaterzaren Alfred Bunn nach Cervantes einen europäischen Hit. Balfe komponierte das Libretto von S. Manfredo Mangioni zu „Falstaff“ auf italienisch. Der Uraufführung folgten keine weiteren Produktionen. Die deutsche Erstaufführung in Annaberg-Buchholz ist die zweite Inszenierung überhaupt. Das Aufführungsmaterial erstellte Valerie Langfield nach der autographen Partitur und einem Klavierauszug.

Noch eine weitere Vertonung also von Shakespeares „Die lustigen Weiber von Windsor“ in der schillernden Reihe von Carl Ditters von Dittersdorf, Antonio Salieri, Otto Nicolai, Giuseppe Verdi, Ralph Vaughan Williams. Balfe wirkt in der Formanlage etwas geradliniger als die italienischen Marktführer, bleibt aber bis zum Schluss im Park von Windsor (auch bei ihm gibt es ein Vorspiel mit Hörnern und Streichertupfern) spannungs- und kantilenenfreudig. Lohnt sich also.

Nichts mit Ausnahme bis auf einen Zwischenvorhang erinnert in der deutschen Erstaufführung an Windsor Castle. Man spielt auf einer in der Mitte nach oben gebrochenen Scheibe, die zwischen zwei Räumen hin- und herdreht. Christian von Götz hat sich als sein eigener Ausstatter der komödiantischen bis bizarren Spiele eine Bar gesetzt. Auf der anderen, sich besser dünkenden Sphäre ist eine bürgerliche Sitzlandschaft in die Wand geschlagen. Auf Logik verzichtete von Götz weitgehend, erfand dafür eine Schule mit Clowns, Narren und Akrobaten. Auch die Kostümideen kommen von ihm. „Normal“ ist am Ende nur Falstaff selbst, wenn die bunten Bürger*innen ihn in einen für dieses Ambiente recht tristen Trenchcoat stecken und ihn mit stumpfer Büromaloche bestrafen.

Bei einem solchen Ende bricht auch Il bello Will zusammen, eine lyrisch-artistische Hilfsfigur für die dramatischen Schnittstellen. Nadja Schimonsky erleichtert das Sängerensemble um alle Dialoge, sprich gestrichenen Rezitative. Sie zitiert aus Samuel Mosenthals „Lustige Weiber“-Textbuch für Nicolai, taucht Hiebe- und Triebe-Argumente in emotionale Prosa, Verse und Moderatricen-Slang. Der schöne Will(iam) sorgt auch für poetischen Überbau in Shakespeareschen Dimensionen. Akrobatisch und klug ist das. Das Sparen an den Rezitativen war die einzige Möglichkeit, um das vertraut-unvertraute Spiel auf drei Stunden Spieldauer zu bringen.

Im Ensemble des Winterstein-Theaters finden sich wahre Perlen an Komödiantik, Witz und Aktionslust. Für Falstaff komponierte Balfe Pompöses, Lyrisches und Galantes. László Varga in der Titelpartie, Jason-Nandor Tomory als Ford mit sehr wirkungsvoller Klagearie und der als Harlekin mit Kopfstimme in zirzensiche Wunderhöhen vordringende Fenton von Wjatscheslaw Sobolev haben nicht Bauch, sondern Eleganz und bringen schöne vokale Feinheiten in Balfes mitunter sehr direkte Melodiegebung. Sobolevs höhensicherer Tenor überrascht zudem durch leichtgewichtige Virilität. Das bisher noch nicht in italienischer Diktion und bislang noch selten in Belcanto-Grammatik geschulte Ensemble macht seine Sache in der ersten Produktion des Hauses in italienischer Sprache bemerkenswert gut. Manchmal – wie im Duett von Annetta Page (Maria Rüssel) und Fenton, wenn sich das Paar umkreist wie Artisten im Luftraum – glitzert sogar die sprichwörtliche Belcanto-Träne.

Neben den Männern, die über toxische Vorhaben mehr quatschen als diese ausführen, gibt es Frauen zum Staunen. Beim dreimaligen Anlauf zum Techtelmechtel von Rosa Ford mit dem schönen Clown Falstaff wirkt das Hinweisschild „Brutto sessista“ (Mieser Sexist) wie Hohn. Die Kostüme sind einfach schön, Jinsei Park als Gewichtstemmerin Meg Page bedrohlich und Bettina Corthy-Heldebrandt in der bei Verdi so effektvoll ausgebauten Partie hier eher schmächtig, aber wortgewandt. Wie so oft in der Belcanto-Oper steckt die Wahrheit an textlichen Nebenstellen: Mehrfach vergleicht Rosa ihren Ehemann Ford mit dem attraktiven Ehe-Störer Falstaff. Die Entscheidung wackelt also häufiger als in einer vorbildlichen Ehe zulässig zwischen dem Versorger und dem Galan. Nur deshalb bröseln bei Bettina Grothkopf auch einige Töne, bevor sie ihr Rondò im Finale zur leichtgeschürzten Charmeoffensive ausbaut. Da macht sie gute Miene zum bösen Spiel, wenn Falstaff als durch Aktenstaub gezähmter Widerspenstiger den kürzeren zieht.

Jens Georg Bachmann ist mit der Erzgebirgischen Philharmonie ein ebenso kooperativer Partner der Regie wie Leszek Kuligowskis unmerkbare, weil stufenlos mit der Personenführung verblendete Choreographie. Der von Jens Olaf Buhrow und Daniele Pilato einstudierte Chor hätte eine größere Präsenz auf der Bühne verdient. Viel Jubel.

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