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Christian Josts „Rumor“ in Antwerpen. Foto: Vlaamse Opera/Annemie Augustijns
Christian Josts „Rumor“ in Antwerpen. Foto: Vlaamse Opera/Annemie Augustijns
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Gerücht kennt kein Pardon: Zur Uraufführung der Oper „Rumor“ von Christian Jost an de vlaamse opera in Antwerpen

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Christian Jost hat zuletzt u.a. mit „Arabische Nacht“ nach einem Stück von Roland Schimmelpfennig Gespür für gegenwartsbezogenes Musiktheater an den Tag gelegt – mit erheblichen Erfolgen u.a. in Essen, Halle und den Niederlanden. Damit unterscheidet sich dieser Komponist, der freilich alles andere als ein radikaler „Neutöner“ ist, in Bezug auf heutiges gesellschaftliches Leben von den älteren Herren und klassizistisch gewordenen Meistern der Neuen Musik. Er will, dass Oper aufschließt zu den gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart und sich nicht nur selbstreferentiell bebrütet. Es erstaunt wenig, dass das Publikum seiner Musiktheaterabende erheblich jünger ist als das bei vergleichbaren Veranstaltungen von Wolfgang Rihm, Detlev Glanert oder Aribert Reimann – und das dürfte nicht zuletzt mit der kommunizierten Nähe zum großen Kino zu tun haben.

De vlaamse opera erteilte Jost vor diesem Hintergrund den Auftrag zu einer neuen Arbeit. Das Libretto von „Rumor“ (Uraufführung: 23.3. in Antwerpen; ab 12.4. auch in Gent) beruht auf dem Roman „Der süße Duft des Todes“ des mexikanischen Schriftstellers Guillermo Arriaga. Der wurde weithin bekannt als Drehbuchautor von preisgekrönten Filmen wie „Amores Perros“, „21 Gramms“ und „Babel“.

Hart und klar sind die Verhältnisse in jenem Dorf, in dem Adela zusammen mit ihrer Familie auftaucht, aber nicht alt wird. Man findet die junge Frau in einem Gebüsch am Ufer des Flusses – getötet durch zahlreiche Messerstiche. Der Täter hat keine Spuren hinterlassen, aus denen sich sachdienliche Hinweise ergeben könnten. Ramón, der das Mädchen ein paar Mal getroffen hat, klagt über ihren Tod. Er steht sofort unter verschärfter Beobachtung und im Zentrum der Erörterungen der Dorfgemeinschaft hinsichtlich des Täters, zumal er seiner Mutter gar nichts von einer Freundin erzählt hat. Die Gerüchteküche fängt an, das Klima zu vergiften, und brodelt zunehmend heftiger. Im Grunde könnte jeder der Männer, die im Kontext der triebstrukturierten Ereiferung über den gewaltsamen Tod Adelas auftauchen, der Mörder sein – der Jäger, der Metzger und der Fremde, der ein Verhältnis mit einer der verheirateten Frauen in der Siedlung hat. „Rumor“ breitet in hundert Minuten einen Stoff aus, den man sich tatsächlich gut als Film vorstellen kann.

Christian Jost hat sich, mit dem Einverständnis des Autors, den Roman zum Libretto eingerichtet. Dabei musste notwendigerweise drastisch gekürzt und die Dramaturgie zugleich etwas anders geflochten werden. Denn die Tonspur sollte und wollte nicht nur „begleitet“ – was sie übrigens ganz konsequent, mit Gespür für verschiedene Facetten der Handlung und offensichtlich mit erheblicher Lust am Deftigen der Geschichte tut – sondern sie erhielt auch Regionen, in denen sie Dominanz und etwas der Handlung entgegen gesetztes Eigenes entwickelt. Jost komponiert noch einmal in ganz klassischer Opern-Manier „große Gefühle“. Auf der Folie einer latenten, mehr oder minder kaschierten Tonalität erheben sich sangbare Partien mit individuellem Zuschnitt.

Martyn Brabbins animiert das mittelgroß besetzte Orchester mit dem dichten Tonsatz zu einer intensiven Leistung, gerade auch bei den Passagen des Ausbruchs aus tradierten Regelsystemen und mit den insistierenden Wiederholungen. Josts Rumor inkliniert zur Kinomusik. Agneta Eichenholz singt und spielt die eigentlich schon zu Beginn tote Adela mit ihrem warm timbrierten lyrischen Sopran und Florian Hoffmann bestreitet mit höhensicherer Klarheit den Liebhaber, der zum Rächer wird und den finalen Messerstich an einem toten Stier übt. Die Dorfgemeinschaft kommt überein, dem Fremden die Schuld zuzuschieben – und Ramón ist der Exekutor des undeutlich artikulierten Volkswillens.

Arriagas Roman und Josts Libretto speisen sich wesentlich aus den Mechanismen des mexikanischen Landlebens. Die Inszenierung von Guy Joosten in der Ausstattung von Bettina Meyer und Eva Krämer abstrahiert von Land und Leutseligkeit vollständig, offeriert eine Simultanschau auf die verschiedenen Handlungsstränge in den fünf leeren Kästen auf der Bühne. Es mag darum gegangen sein, in diesem Setzkasten psychische und soziale Vorgänge zu sezieren und ihnen mit einer Vielzahl von Stiersymbolen einen auratischen Kunstcharakter zuwachsen zu lassen. Da saust nicht nur ein toter Toro am langen Seil vom Bühnenhimmel herunter, sondern bekommen auch die Choristinnen und ein halbes Dutzend Statisten Stierköpfe aufgesetzt – das lässt weit zurück in die mediterrane Kulturgeschichte reflektieren. Doch wäre womöglich weniger traditionsfundierte Kunstabsicht der Sache bekömmlicher gewesen. So wartet „Rumor“ noch auf eine Realisierung, die den Krimi ernst nimmt und die Potenzen der Musik auch szenisch freisetzt.

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