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Ambiente von Verbier. Foto: © Nicolas Brodard.
Ambiente von Verbier. Foto: © Nicolas Brodard.
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Klassik-Stars im Ski-Paradies: Das Verbier-Festival 2019

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In engen Haarnadelkurven schraubt sich der Shuttle-Bus von Martigny auf den Berg hinauf. In einer guten halben Stunde geht es 1000 Meter hoch, oben locken die schneebedeckten Gipfel des Montblancs und des Combins-Massivs, die Kurven werden immer enger und steiler, die Blicke zurück ins Tal erzeugen zunehmend Schwindel.

Die Anreise nach Verbier ist langwierig, aber wenn man endlich ankommt im Ski-Paradies in der französischen Schweiz im Kanton Wallis, ist der Eindruck grandios: Die Natur ist allgegenwärtig, die mächtigen Chalets wirken klein wie Spielzeug vor den imposanten Gipfeln. Ein grandioses Ambiente für das anspruchsvolle Musikfestival, das nun bereits in seiner 26. Ausgabe läuft. 1.500 Meter hoch liegt im Val de Bagnes zwischen dem Montblanc und dem St. Bernhard-Pass der kleine Ort, der ein beliebtes Ziel für Wintersportler ist. Seit 1994 aber findet dort jedes Jahr im Sommer das Festival statt, das bereits bei seiner ersten Ausgabe mit großen Namen glänzen konnte, die dem Festival auch treu blieben.

Star-Aufgebot

Stars wie Evgeny Kissin, Marta Argerich oder Mischa Maisky waren von Anfang an dabei, aber jedes Jahr kommen auch wieder aufstrebende Künstler hinzu, die dann später mitunter in eine Weltkarriere starten. Lang Lang oder Anna Netrebko zum Beispiel musizierten in Verbier bereits, bevor sie berühmt wurden, in jüngster Zeit ist etwa Daniil Trifonov zu nennen, der schon früh nach Verbier kam und jetzt bekanntlich in aller Munde ist.

Neben dem Star-Aufgebot im rustikalen Ambiente ist für das Festival vor allem der intensive Akademie-Betrieb mit Meisterklassen und drei aus internationalem Musikernachwuchs rekrutierten Orchestern prägend, die dort proben und die großen Orchesterkonzerte bestreiten. Die musikalische Gesamtleitung obliegt Valery Gergiev, – der parallel in Bayreuth „Tannhäuser“ dirigiert und in Salzburg „Simon Boccanegra“ einstudiert – Gastdirigenten in diesem Jahr sind unter anderem Franz Welser-Möst, Manfred Honeck und Lahav Shani.

Das Festival bietet jeden Tag etwa vier Konzerte mit Eintritt, darüber hinaus aber zahlreiche Veranstaltungen, die kostenlos besucht werden können. Dazu gehören Probenbesuche, Workshops der Akademie, Künstlergespräche, Freiluftkonzerte, Kinderprogramme und vieles mehr. Die Idee zu dem Festival hatte Martin Engström, der bis heute der künstlerische Leiter ist. Engström war verheiratet mit der amerikanischen Sopranistin Barbara Hendricks, jahrelang als Künstleragent tätig, zeitweilig auch Chef des Edel-Labels Deutschen Grammophon. „Ich kam nach Verbier immer zum Skifahren. Und einen Sommer haben wir ein Chalet gemietet. Ich blieb hier mit den Kindern und wir haben diesen tollen Ort im Sommer entdeckt. Die Hotels waren offen, die Restaurants waren offen, aber fast niemand war hier. Es war wirklich leer. Und da hab‘ ich gedacht: Das ist doch ein idealer Platz! Es war natürlich auf den ersten Blick ein großes Wagnis, denn Verbier ist eine Sackgasse!“

Tatsächlich ist oberhalb von Verbier die Welt ganz buchstäblich zu Ende, es führen nur noch Seilbahnen auf die umliegenden Gipfel. Und die ansässigen Einwohner sind nicht unbedingt die Zielgruppe für ein Klassik-Festival. Statistisch betrachtet, kommen die Gäste nach Verbier nicht für ein oder zwei Konzerte, sondern bleiben durchschnittlich 5,5 Tage dort. Die Anreise muss sich schließlich lohnen.

Mischung aus Ferien- und Campus-Atmosphäre

Das Publikum ist sehr international. Auf dem Weg zum Eröffnungskonzert begegnet der Chronistin eine Gruppe, die teils aus den Niederlanden kommt, aber auch aus Pittsburgh und New York. Ansonsten hört man vor allem Französisch, Italienisch, ein bisschen Spanisch und kaum Deutsch in den Pausen. In Verbier herrscht eine Mischung aus Ferien- und Campus-Atmosphäre: Auf den Straßen tummeln sich die Festivalgäste und die Musiker, an fast jedem Hals baumelt ein Festival-Pass, mit dem man überall hereinkommt. Selbst wenn im Salle de Combins – einem temporären Zelt-Saal oberhalb von Verbier – Valery Gergiev beim Eröffnungskonzert Schostakowitschs 5. Symphonie zum Besten gibt, sieht man weder Highheels noch Juwelen. In Verbier geht es leger zu, was durchaus im Sinne des Erfinders ist. „Von Anfang an habe ich meine Sponsoren gebeten, ihren Gästen zu sagen: Bitte keine Krawatten!“

Eine weitere Besonderheit von Verbier ist, dass man hier Stars mit Kammermusikprogrammen hört, die sie noch nirgendwo gespielt haben. Und mit Partnern, mit denen sie noch niemals zuvor aufgetreten sind. Am zweiten Festivaltag etwa spielt Daniil Trifonov in der Kirche – dem zweiten zentralen Spielort – mit dem Cellisten Narek Hakhnazaryan Sonaten von Rachmaninov und Schostakowitsch mit brennender Intensität – das Publikum bricht in Jubelstürme aus. Abends dann wieder im Salle des Combins das Verbier Festival Chamber Orchestra unter der hoch inspirierten Leitung von Gábor Takács-Nagy mit Mozarts „Titus“-Ouvertüre, seinem „Jeunehomme“-Klavierkonzert mit Sergei Babayan und einer fulminant straffen Interpretation von Brahms’ 2. Symphonie. Wieder ist das hoch konzentrierte, selbst in den Satzpausen sich kaum rührende Publikum aus dem Häuschen. Natürlich sind die Gutbetuchten in Verbier in der Mehrheit. Aber Verbier bietet keinen Rummel, keinen Glamour. Vielmehr steht der Akademie-Gedanke im Vordergrund und eine lockere, unprätentiöse Workshop-Atmosphäre. Diesen heiteren Charme hat nur Verbier.

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