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Theo Geißler. Foto: Charlotte Oswald

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Kurz-Schluss: Wie ich einmal einer Abschiebung entkam, um die nächste irrtümlicherweise zu erleben

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Gewiss entsinnen Sie sich der Schilderung meiner verzweifelten Situation in der vergangenen Ausgabe unserer Kulturzeitschrift: Ich hatte meine Dienste als Quereinsteiger-Hilfslehrer von Herzen sozial engagiert dem Kultusministerium angedient – und war im Kittchen gelandet. Völlig zu Unrecht wegen angeblich verschwiegener Inkompetenz und offensichtlicher Versuche, meine Schülerinnen und Schüler linksradikal zu indoktrinieren. Beides natürlich totaler Quatsch. Ich hatte mit meinem Unterricht noch gar nicht begonnen, als ich von einer Rotte rechtsnational verdorbener Glatzen in den üblichen „sozialen“ Netzen aufs Übelste geshitstormed und dank Fake News via Twitter und Instagram unter jeder Gürtellinie verleumdet wurde. Kurz vor der Abschiebung trotz deutscher Staatsbürgerschaft in ein ungarisches Grenzlager – „innerhalb der EU aus Kostengründen durchaus üblich“, so der Staatsanwalt – erhielt ich noch mal die Chance, meine Kompetenz und Harmlosigkeit als des Deutschen mächtiger Altpädagoge unter Beweis zu stellen.

Ich sollte meine Kenntnisse anhand der Bildung einiger komplexer Vergangenheitsformen gängiger deutscher Verben darlegen. Und entsann mich einer Eselsbrücke, die mir einst mein Deutschabitur gerettet hatte. Weil ich doch ein wenig zornig war über die schäbige Behandlung, zitierte ich unter der Headline: „Alles Falsch“ folgendes uraltes Pennäler-Geknittel:

„Der Wein hat prächtig im Glase geblunken, ich habe acht Viertel davon getrinkt, dann bin ich still nach Hause gehunken und vor Schätzchens Kammer niedergesinkt. Sie hat die Türe aufgeklunken und verzweifelt ihre Hände geringt. Ganz schnöde hat sie abgewunken, ich habe ihr zu sehr gestinkt.“

Die fünfköpfige kultusministerielle Prüfungskommission erhob sich spontan, klatschte minutenlang Beifall. Ihr Sprecher – ein Staatssekretär namens Umberto Pizzaiola oder so ähnlich – entschuldigte sich bei mir wortreich für jedwede durch polizeiliche Unbildung erlittene Unbill. Und er stellte mir unverbindlich ein üppiges sechsstelliges Sümmchen aus dem krisensicheren Lufthansa-Rettungsfonds als Entschädigung in Aussicht – verbunden mit einer gut dotierten, verantwortungsvollen beruflichen Perspektive im Medienbereich.

Angesichts des erkennbaren Verfalls unserer Sprache gerade in den öffentlich-rechtlichen Sendern – ausgelöst durch den teils altersbedingten Ersatz erfahrenen Redakteurs-Potenzials durch eine dank Blitzbleiche in schnellen Brütern bestenfalls trimedial halbgebildete, präpotente Praktikantenschar – fühlte ich mich von diesem Angebot nicht nur geschmeichelt, sondern auch intellektuell angemessen wertgeschätzt. Meine Vorstellungen sollte ich in zwei Monaten dem gemeinsamen Ethikrat von ARD und ZDF in München-Freimann präsentieren.

Sofort begann ich mit der Planung einer dem Land der Dichter, Denker, Bildenden Künstler, Komponisten, Musiker und Filmemacher angemessenen Landes-Medien- und -Programmstruktur. Als vermutlich künftiger Generalintendant und Bundeskulturminister behielt ich mir die Formulierung einiger beispielhafter prinzipieller Leitlinien vor. Im Detail auszuarbeiten und zu ergänzen grundsätzlich durch altphilologisch-humanistisch gebildetes, sorgsam handverlesenes Personal.  Zwecks Optimierung und Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Angebote in Funk, Fernsehen und Internet ist ein 500-Milliarden-Euro-Rettungsschirm aufzuspannen. Dank seiner wird ein alle Sparten umfassendes Ganztages-Kulturprogramm auf höchstem Niveau produziert. Hochwertige Magazinbeiträge aus aller Welt, engagierte Dokus in Sachen Klimaschutz, ein breiter Fächer an Musikdarbietungen aller Stile sowie Lesungen, innovatives und klassisches Theater sowie Spielfilme liefern neben bestens recherchierten Politik- und Wissenschaftsinformationen die Programmschwerpunkte. Beliebte Publikums-Sportarten gibt es live nur noch in ARD und ZDF, wobei sowohl Reporterinnen wie auch Sportlern, die zu Wort kommen, zumindest Philosophie, Neuere Germanistik und Grundkenntnisse in Pädagogik erworben und nachgewiesen haben müssen. Die Zahl privater Anbieter wird mithilfe üppiger Unterhaltungs-Unternehmens-Steuern auch vom Produktionspotenzial her auf maximal zehn Prozent verfügbarer Gesamtsendezeit begrenzt. Eine europäische Zentralredaktion „Social Media“ sorgt auch im Bereich dieses Einfallstores in Sachen Falschnachrichten und nationalistischen Schmutzes für angemessenen Bürgerschutz.

So weit erste Überlegungen, vorbereitet für den Ethikrat, den aufzusuchen ich mich auf den Weg machte. Etwas erstaunt stellte ich fest, dass das Büro dieses Gremiums sich in der alten Holzkantine des München-Freimanner Studiozentrums, mittlerweile eine Art Funkmuseum,  befand. Völlig verwirrte mich die personelle Zusammensetzung dieses Rates: ein längst im Ruhestand befindlicher bayerischer Ministerpräsident, ein soeben aus dem Vatikan entfernter, stark umstrittener Alt-Bischof und als Moderatorin die Schauspielerin (?) Uschi Glas. Meine Frage, ob ich hier richtig sei, löste ein vorsichtiges Schenkelklopfen verbunden mit leicht röchelndem Gelächter aus. „Jedenfalls, hochwillkommen“,  raunzte Uschi Glas. „Kürzlich haben linke oder rechte Extremisten unseren historischen Sendemast abzufackeln versucht. Da sind Sie doch – sowohl vom Preis wie vom Alter her – genau der richtige Nachtwächter.  Die Aufgabe sollte Ihnen persönlich am Herzen liegen – noch vor zehn Jahren haben wir Ihr Seniorenmagazin namens ›taktlos‹ über diesen Mast in die Langwelle – um nicht zu sagen: in die Langeweile, hihi – gefunkt. Bitte ziehen Sie die wärmende Uniform an.“ Gewissermaßen bewusstlos kleidete ich mich um und stolperte – begleitet von einem altbischöflichen „Pfia God“ – in die Nacht.

Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur

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