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Funkhaus Weimar. Foto: © Candy Welz
Funkhaus Weimar. Foto: © Candy Welz
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„Mit Nietzsche auf Sendung“ beim Kunstfest Weimar

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Im fünften und letztem von ihm verantworteten Kunstfest Weimar erntet Christian Holtzhauer vor seinem Wechsel als Schauspiel-Intendant an das Nationaltheater Mannheim den stetig gewachsenen Erfolg für seine fundierte Aufbauarbeit. Diese Projektauswahl erzeugt eine raue Reibungsdichte zwischen dem genius loci Weimar und brennenden Zeitfragen. Die Ansprüche sind wirklich hoch: Die Klassikerstadt befindet sich mit den beiden großen Hundertjahrfeiern „Weimarer Verfassung“ und „Bauhaus“ in einem Ballungszeitraum des historischen Gedächtnisses. Und da ist auch noch das Spielzeit-Motto 2018/19 des Deutschen Nationaltheaters Weimar: „Der Neue Mensch“ .

Neben Ausstellungen und gezielt ausgewählten Gastspielen ist die Wiederentdeckung und -erschließung vergessener, verfallender oder ungenutzter Orte eine Säule des Kunstfests Weimar. Auch nach dem Parcours zu Orten des Sozialismus 2018 und der Wiederentdeckung zum Beispiel des Schießhauses ist das Reservoir für abenteuerliche Erkundungen noch lange nicht erschöpft.

Die performative Wanderung „Mit Nietzsche auf Sendung“ durch das ehemalige Funkhaus Weimar, das von Sendeanstalten der DDR und vom MDR bis ins Jahr 2000 genutzt wurden, umfasst gleich mehrere komplizierte, ideologisch heikle und bipolare Stränge der Weimarer Geistesgeschichte. Von Harry Graf Kessler stammte die von Nietzsches Schwester Elisabeth Förster dann doch verschmähte Idee einer riesigen Kultstätte neben dem Nietzsche-Archiv. Der erst im Nationalsozialismus realisierte Bau wurde jedoch statt zu einem völkischen Weiheort zum Lazarett und in der sowjetischen Besatzungszone 1947 zur Sendestation.

Außerordentlich mutig presst Matthias Rebstocks „musiktheatrale Spurensuche nach dem ‚Neuen Menschen‘“ Zeitrelationen, Nietzsche-Kult und -Rezeption mit dem fatalen Elitedenken der Lebensreformbewegung Mazdaznan in ein von Assoziationen übersprudelndes Stationentheater. Irritationen der Zeitzeugen, vergleichbar mit denen durch die Medienwelten heute, werden spürbar durch gefährliche Verkürzungen und vage Unübersichtlichkeit. Die Räume des jetzt im Besitz eines russischen Investors meist leerstehenden oder als Depot vermieteten Funkhauses sind der Protagonist, gegen den sich zwar der Text, dagegen Michael Emanuel Bauers Musik nur schwer behauptet.

Vier Zuschauergruppen begeben sich durch das ehemalige Funkhaus. Das Künstlerkollektiv „Rebstock & Compagnons“ liefert erschlagend viel Material für diese symbolische Läuterung, an deren Ende man sich für einen der Ausgänge „Mensch“ oder „Übermensch“ entscheiden muss: Archaisch anmutende Kassettenrekorder aus der Nachkriegszeit spucken Texte der Bauhaus-Theoretiker aus. Das wichtigste Material Sabine Hilschers für Raum, Kostüme und Maske sind Knäule, Netze und Schlingen von Tonbändern, bis alle als Elite der „Apokalyptiker“ in einem Schlafsaal aufeinandertreffen. Die Stationen bis dahin: Ein Sitzungsraum, in dem die Zuschauer zu Redakteuren in einer Konferenz zum Bauhaus-Jubiläum 40 Jahre, also 1958, werden. Ein Mazdanan-Jünger propagiert mit körperlicher und fragwürdig geistiger Geschmeidigkeit die Selbstoptimierung. Schließlich ein Senderaum, in dem Elisabeth Förster-Nietzsche über ihre Manipulationen an Texten ihres Bruders befragt wird und das Synchronstudio, in dem man Nietzsches Stimme aus dem Jenseits herbeiholt. Der perfektionssüchtige Übermensch mitsamt Body Watch kollabiert. Die Grenzen zwischen Führung, Dokumentation, Theaterdialog und Seminar schwinden: Diese eindringliche und dabei trügerische Erlebniswelt ist gefährlich.

Ein solches Projekt wie „Funkhaus Weimar“ kann nur fragmentarisch bleiben. Wohlig überfordert, aber nicht erschlagen verlässt man diese Spurensuche, die mit überformten „Zarathustra“-Klängen, immer wieder Klavierspiel (Nietzsches eigene Kompositionen bleiben unerwähnt) und vor allem facettenreich aufbereitetem Textmaterial länger dauert als angekündigt. Dabei macht die maßvolle Balance, mit der die vier Schauspieler aus dem Ensemble des Deutschen Nationaltheaters und die vier Musiker aus der Staatskapelle Weimar mit „Rebstock & Compagnons“ die Fäden in der thematischen und assoziativen Überfülle zusammenhalten, enormen Eindruck. Man verzeiht sogar, dass es offenbar nicht ohne Ausschnitte aus Fritz Langs „Metropolis“ abgehen darf. Aber wie die Magie dieses Ortes gesteigert und im gleichen Augenblick demontiert wird, bestätigt die hohe dramaturgische Intelligenz des Kunstfests Weimar. Mit dem Besuch der dreiteiligen Ausstellung „Als das Bauhaus nach Weimar kam“ versteht man die Hintergründe allerdings noch besser. Und ein weiteres Mal bleibt hinter der Hoffnung, dass der „Neue Mensch“ tatsächlich der glücklichere Mensch ist, ein riesiges Fragezeichen. Doch das ist verborgen unter feiner Ironie, mit der Matthias Rebstock seine Türme von Fakten und Fantasien überdeckt.

Michael Emanuel Bauers Kompositionen garnieren den Ablauf und laufen zu mehr versachlichender als lustvoller Frechheit hoch, wenn die vier Bläser mit frei tonalen Sätzen wie aus der Werkstatt von Kurt Weill oder DADA loslegen. Langer Applaus für diese im besten Sinn fragwürdigen Erhellungen und Ergötzungen.

Info:

  • Rebstock & Compagnons (D) - Funkhaus Weimar – Mit Nietzsche auf Sendung. Eine musiktheatrale Spurensuche nach dem »Neuen Menschen« (Uraufführung)
  • Konzept, Text & Regie: Matthias Rebstock – Komposition: Michael Emanuel Bauer – Elektronik: Matthias Meyer - Raum & Kostüm: Sabine Hilscher - Raum & Projektion: Sabine Beyerle, David Reuter – Dramaturgie: Martina Stütz – Tonassistenz: Jens Schmidt – Regieassistenz: Bartholomäus Pakulski, Ioana Petre – Mit Anna Albu, Friederike Bartel, Georg Demel, Tobias Dutschke, Jonas Friesel, Johanna Geißler, Christoph Heckel, Panagiotis Iliopoulos, Sebastian Nakajew, Ursula Renneke, Mariel Jana Supka, Elke Wieditz – Produktion: Kunstfest Weimar – Kooperation: Deutsches Nationaltheater Weimar – Förderung: Gefördert durch den Musikfonds e.V. mit Projektmitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
  • Wieder am Fr 24.08./18:00 und 20:30 – Sa 25.08./18:00 und 20:30 – So 26.08./16:00 und 18:30
  • Führungen durch das ehemalige Funkhaus Weimar mit Christian Handwerck: Sa 01.09./16:00 und So 02.09./16:00

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