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Dwight und Ursula Mamlok-Stiftung
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Nicht für die Schublade – Der Dwight und Ursula Mamlok-Preis in Berlin verliehen

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Zwei Jahre lang war er „taktlos“: Der Dwight und Ursula Mamlok-Preis, alljährlich abwechselnd in Berlin und New York verliehen, konnte pandemiebedingt seinen Rhythmus nicht einhalten – nach vielem Hin und Her musste das Berliner Preisträgerkonzert 2020 in den Oktober 2021 verlegt werden. Herausfordernde Zeiten für die Organisator:innen um Bettina Brand, Geschäftsführerin der auslobenden Mamlok-Stiftung, die die Preisverleihung 2022 im Berliner Konzerthaus wieder „im Takt“ auf die Beine stellen konnten.

So war eine lebendige, aufschlussreiche Würdigung der Komponistin und ihres Schaffens zu erleben. Es gehört zu den Verdiensten dieses ungewöhnlichen Preises, mit dem Zusammenbringen der „richtigen“ Interpreten und der „richtigen“ Stücke zu zeigen, wie faszinierend und bewegend neue Musik sein kann.

Viel hat das mit der Persönlichkeit seiner Stifterin zu tun. Ihre Musik gibt die Richtung einer etwas allgemeinen Definition des Preises als der Auszeichnung von „besonderen Interpretationen zeitgenössischer Musik“ vor: Ihre Merkmale sind Frische und Direktheit, ohne zwanghaft originell sein zu wollen, logisches, systematisches Vorgehen, ohne jemals in blutleeres Theoretisieren zu verfallen. Klangsinnlichkeit stand für Mamlok obenan, und weder wollte sie das Publikum mit ihren Kompositionen langweilen noch sich selbst. Zugeständnisse in Material und Machart bedeutete das keineswegs. Seit 1960 komponierte sie zwölftönig und sah dabei – in bester Gesellschaft mit Arnold Schönberg – ihre Wurzeln bei Brahms. Wie Jurymitglied Habakuk Traber in seiner (von Bettina Brand verlesenen) Laudatio ausführte, wie auch aus Brands eigenen Begrüßungsworten hervorging, verband Mamlok Respekt vor der klassisch-romantischen Tradition mit Experimentierfreude. Der Herausforderung einer Gattung wie der des Streichquartetts stellte sie sich ebenso, wie sie andererseits nicht für „die Schublade“ komponierte – das heißt für bestehende Ensembles und Besetzungen, die diese anboten. So kam es zu teilweise exotischen Klangkombinationen.

Der diesjährige Mamlok-Preis spiegelt – Zufall oder nicht – genau diese Polarität wider. Das Aris Quartett bezeichnet die erste Kategorie. Anna Katharina Wildermuth, Noémi Zipperling, Violinen, Caspar Vinzens, Viola und Lukas Sieber, Violoncello fanden schon als Jungstudenten an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/Main zusammen. Hubert Buchberger, Günther Pichler vom Alban-Berg-Quartett, das Artemis-Quartett und Eberhard Feltz gehören zu ihren Ausbildern und Mentoren. Das Ensemble scheint am Anfang einer großen Karriere zu stehen (2. Preis ARD 2016, ECHO Rising Stars 2020/21), doch nichts an ihm wirkt etabliert oder gar konventionell. Auf seinen Alben finden sich so spannende Kombinationen wie Haydn/Reger/Hindemith oder Zemlinsky/Bartók. Auch beim Preisträgerkonzert nahm es durch eine kluge Konzeption seines Mini-Programms sofort für sich ein, indem es dem 2. Streichquartett von Ursula Mamlok die „Fünf Stücke für Streichquartett“ von Erwin Schulhoff voranstellte. Schulhoff, Jahrgang 1894, gehörte zu den begabtesten Komponisten seiner Generation; seine Provokations- und Experimentierlust mit musikalischen wie politischen Strömungen schien keine Grenzen zu kennen. Als Jude, Kommunist und „Neutöner“ wurde er von den Nazis gleich dreifach verfolgt. Seine Karriere blieb durch ihre Anfeindungen und spätere Aufführungs- und Berufsverbote gewissermaßen stecken, bis zum Verlust sämtlicher Verdienstmöglichkeiten. Er starb 1942 im Internierungslager Wülzburg im bayerischen Weißenburg an Tuberkulose.

Ursula Mamlok, 1923 in Berlin geboren, hatte das „Glück“, noch rechtzeitig aus Nazideutschland zu entkommen – 1939, als 16jährige nach Ecuador. In New York studierte sie und wurde zur anerkannten Komponistin; 66 Jahre später kehrte sie in ihre Geburtsstadt zurück und begann in hohem Alter eine Art zweite Karriere in Deutschland. Bei Schulhoff konnte das Aris Quartett auf Anhieb seine Klasse zeigen. Die „Fünf Stücke“ von 1924, einmal als „freche Musik am Puls der Zeit“ bezeichnet, gehören heute zu den meistgespielten Werken des in den 1990er Jahren „wiederentdeckten“ Komponisten, können also auf das verweisen, was den meisten Werken der Moderne fehlt: eine Aufführungstradition. Die intensive Musizierlust, mit der die jungen Interpret:innen die doppelbödige Ironie dieser „niedlichen Tanzbagatellen“ (so eine Uraufführungskritik) herausarbeiten, ist einfach umwerfend. Die aphoristische Prägnanz kommt auch Ursula Mamloks Streichquartett Nr. 2 zugute, 1998 als Kompositionsauftrag der Fromm Music Foundation der Harvard University abgeschlossen. Aus schnell wechselnden dynamischen und klanglichen Kontrasten, seiner nervös-filigranen Bewegtheit mit plötzlichen Ausbrüchen und Abstürzen entsteht eine hochspannende, dramaturgisch schlüssig aufbereitete Textur. „Diese Musik will etwas erzählen“, meint ein Ensemblemitglied dazu. Es ist Anliegen des Aris Quartetts, sich neben der reichen Standard- und der direkte Zusammenarbeit mit Komponist:innen erlaubenden zeitgenössischen Literatur für selten gespielte und zu Unrecht vergessene Musik zu engagieren und dabei „unglaubliche Schätze“ zu entdecken.

Nicht weniger eindrucksvoll die Präsentation des 2. Preisträgers: Das Trio Tempestoso entschied sich ganz bewusst für die ungewöhnliche Kombination von Klarinette (Andraž Golob), Akkordeon (Sanja Minarič) und Violoncello (Urban Megušar). Hier gehe es nicht nur darum, das seltene Repertoire aufzufinden, sondern selbst welches zu schaffen, erläutert die Akkordeonistin. Folglich richtete das Ensemble Mamloks „Rhapsody“ (2002) für Klarinette, Viola und Klavier für seine Besetzung ein. Entstanden ist eine Klangstudie von seltener Sensibilität, die das Original an feinen Übergängen und Schattierungen noch übertrifft. Die Kunst der Programmkomposition erweist sich auch an den umgebenden Werken: Peter Közeghys in langen Klangbändern meditierendes „...kaum ausgesprochen…“ aus dem Zyklus „Perlmutt“, das wie die Mamlok-Bearbeitung seine Uraufführung erlebte, und Sebastian Fagerlunds „Breathe“ (2005), das die Seufzer und Atemgeräusche der Mamlokschen Rhapsodie aufgreift und steigert, zum Schluss mit kraftvoll sich aufbäumenden, jeweils eigentümlich gefärbten Glissandi unter die Haut geht.

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