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Premiere 14.09.2019 // Bianca Tognocchi (Adina), Jonathan Michie (Belcore), Chor der Oper Leipzig, Komparserie. Foto: © Kirsten Nijhof
Premiere 14.09.2019 // Bianca Tognocchi (Adina), Jonathan Michie (Belcore), Chor der Oper Leipzig, Komparserie. Foto: © Kirsten Nijhof
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Null Chance für Musik in Rolando Villazóns Leipziger „Liebestrank“

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Zum brachial-komödiantischen Appetizer für Wagner wird an der Oper Leipzig Donizettis „L'elisir d'amore“ drei Wochen vor der „Tristan und Isolde“-Premiere. Die in Erl als Nachtigall in Braunfels‘ „Vögel“ sensationelle Bianca Tognocchi fuchtelt bei ihrer Cavatina vom „L'elisir della Regina Isotta“ an einem Album mit historischen Fotografien dieses Liebesmysteriums herum. Auch sonst verlässt sich All-round-Star Rolando Villazón im rundum aufgefrischten Remake der Inszenierung im Festspielhaus Baden-Baden ganz auf seine unverwechselbaren Mittel. Der Applaus an der Oper Leipzig feiert eine plärrige, poesiefreie, protzige Clownerie. Zu diesem Ergebnis kommt unser Kritiker Roland H. Dippel.

Am Ende waren extrovertierter Applaus und der Pegel des schrillen Bühnentreibens in absoluter Übereinstimmung. Ein lauter vordergründiger Erfolg in der Oper Leipzig zu Spielzeitbeginn. Auch ein echter? Daran möchte man zweifeln. Denn den ersten innigen, nicht flachen Beifall gibt es erst nach Nemorinos berühmter Arie von der „verstohlenen Träne“ und danach mit vielleicht noch mehr Berechtigung für Adinas hier landesüblich verkürzte Bravour-Cabaletta. Da war nämlich endlich mal Ruhe auf der Bühne, wenn laut Felice Romanis Libretto Bauer und Frau, laut Rolando Villazóns Regieplot Filmdiva und Statist zusammenfinden. Die Stimmen von Piotr Buszewski in der Paraderolle des Nemorino und von Bianca Tognocchi, die ihre erste Leipziger Premiere in einer großen Rolle hatte, waren übrigens sehr schön und kamen, ungewohnt im Saal der Oper am Augustusplatz, doch nicht ganz zur vollen Wirkung: Das lag offenbar an der nach den Seiten offenen Bühnenbildern, wegen denen die Stimmen einen zu geringen akustischen Fokus erhielten. Aber es lag auch an unerklärlichen Feinabweichungen zwischen Donizettis Vokalornamentik und dem am Premierenabend im szenischem Dauertrubel etwas dialogmüden und wenig inspirierten Gewandhausorchester.

Sandra Maxheimer (sehr passend die Besetzung der Gianetta mit Mezzo), wurde – was nicht sein muss – angesichts ihrer sängerischen Qualitäten zu oft überdeckt. Jonathan Michie als Ford-Kommandant Belcore kräftigt die körnig-helle Höhe und Sejong Chang wäre eigentlich ein glänzender Dulcamara. Aber auch er leidet darunter, dass Orchester und musikalische Leitung erst bei der Rausschmeißer-Barcarole in die zu erwartende Form finden. Giedrė Šlekytė kann diesmal also nicht an ihre bemerkenswerten Dirigate von „Schwanensee“ und Langes „Schneewittchen“ anschließen. Donizettis Bläserkantilenen klingen oft matt und die Klimax der musikalischen Perioden fällt, obwohl mehrere Wiederholungen vorsichtshalber amputiert wurden, noch vor den energetischen Höhepunkten zusammen. So müssen Hörer, die dem „Liebestrank“ zum ersten Mal begegnen, die von Donizetti für das Teatro Cannobiana 1832 in nur vierzehn Tagen fast zu einer halb-ernsten Oper transformierte Brachial-Komödie für ein schwaches Stück halten. Dabei hat Rolando Villazón seine Inszenierung von 2012 aus dem Festspielhaus Baden-Baden eigens für die am Premierenwochenende den 200. Geburtstag von Clara Schumann feiernde Musikstadt Leipzig kräftig aufgepolstert.

Szenische Rekordgymnastik

Bewegung, ob sinnfrei oder sinnfällig, ist nämlich ALLES bei Villazóns szenischer Rekordgymnastik im Filmstudio, wo bei den Dreharbeiten zum Western „The Wild, Wild Girl“ die Ebenen von Story und (Studio-)Realität unentwirrbar verzwirbeln. Es gerät (fast) rührend, wenn Nemorino mit Poncho und Sombrero als Alter Ego des mexikanischen Regisseurs, der die Partie aus seiner tenoralen Glanzzeit durch und durch kennt, mit großen Kulleraugen durch die Western-Kulisse stakst. Dulcamara, Verkäufer des Liebestranks ist bei Villazón ein Direktionskartell aus Indianer-Darsteller, Regisseur und Angel. Belcore und Adina dürfen nur selten zwischen den Ebenen von Darsteller-Image und Western-Rolle differenzieren. Der Tortenmatsch im Statisten-Face krönt also die Enzyklopädie der mit voller Holzhammer-Schlagseite in zu nachgiebiges musikalisches Donizetti-Holz getriebenen Comedy-Nägel: Unter den Saloon-Girls wackelt der haarige Hintern eines Baby-Kingkong und vier Knastis üben sich in Tunnelsprengungen. Schlägereien, das Quietschen eines Kinderwagens und anderes legen oft eine alternative Geräuschpartitur über die Musik und die, szenisch bedingt, recht pauschalen Chor-Leistungen. Western und Making-Of ist diese Bühnen-Phantasmagorie vor allem darin, dass (von Sergio Leone als wichtige Voraussetzung für Erfolg bezeichnet) der Regisseur den meisten Spaß hatte. Johannes Leiacker, Thibault Vancraenenbroeck und die bei der beeindruckenden Textilien-Schlacht helfende Agnès Barruel stellten ihren dramaturgischen Scharfblick in den Pausenmodus. Sie bauen und ummänteln für das behauptete Studio ein Western-Ambiente, das als Höhepunkt von Backstage-Führungen für Kinder beste Chancen hat. Wen wundert es also, dass der den letzten Takten der Partitur folgende Schwarzweißfilm von Maria Gollan zur Krönung des Abends wird... Opern-Operation gelungen – Donizetti unwichtig.

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