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Foto: Wolf Silveri
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Plastische Klangbilder – Henzes „Der Prinz von Homburg“ an der Stuttgarter Staatsoper

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Cornelius Meister und Stephan Kimmig bringen Henzes „Der Prinz von Homburg“ zum ersten Mal auf die Bühne der Stuttgarter Staatsoper. Einer sehr guten Ensembleleistung stehen Probleme der Inszenierung gegenüber, die manchmal doch – trotz starker Momente – zu „grob gearbeitet“ sei, meint unser Kritiker Georg Rudiger.

Ein weißer Raum im Neonlicht. Der Blick fällt auf nackte Heizkörper und trübe Fliesen. Kein schöner Ort – kalt, neutral, verbraucht. Katja Haß’ Einheitsbühne an der Stuttgarter Staatsoper entfaltet den Charme eines Schlachthofs.  Hier erzählt der Schauspielregisseur Stephan Kimmig in seinem Debüt am Opernhaus die Geschichte des Prinzen von Homburg als die eines Träumers, der nicht von dieser Welt zu sein scheint. Schon in der ersten, eigentlich im Garten spielenden Szene wirkt Robin Adams mit seiner roten Jogginghose und dem weißen Jackett wie ein harmloser Spinner, wenn er auf der großen Aluleiter steht und mit leerem Blick gestikuliert, während er von den Taschenlampen der Anzugträger angeleuchtet wird. Dieser Mann ist Außenseiter!

Der träumende und verträumte Heerführer, der den Befehl seines Vorgesetzten nicht ausführt, sondern nach seinem Gefühl handelt und die entscheidende Schlacht von Fehrbellin im Jahr 1675 gegen die Schweden gewinnt, war für Hans Werner Henze ein Vorbild. Luchino Visconti hatte den im Jahr 1953 aus dem miefigen Nachkriegsdeutschland nach Italien emigrierten Komponisten auf Heinrich von Kleists Drama aufmerksam gemacht. In Henzes 1960 in Hamburg uraufgeführter Oper „Der Prinz von Homburg“ (Libretto: Ingeborg Bachmann), die nun zum ersten Mal überhaupt an der Stuttgarter Staatsoper zu sehen ist und das Frühjahrsfestival „wirklich wirklich“ (bis 15.4.) eröffnet, geht es laut Komponist „gegen die blinde, phantasielose Anwendung der Gesetze und um die Verherrlichung menschlicher Güte“. Die Spannung zwischen Traum und Realität, zwischen individueller Freiheit und einschränkender Obrigkeit schlägt sich auch musikalisch nieder. Auf der eine Seite die eher von Streichern und Holzbläsern geprägte, mit tonalen Einsprengseln gewärmte, verbindliche Musik der Traumwelten, die Räume öffnet und auch das Innenleben der Figuren entfaltet. Auf der anderen Seite die kühlen, stählernen Klänge des Militärs, die meist Zwölftonreihen zur Grundlage haben und von Blechblasinstrumenten und Schlagzeug dominiert werden. Aber natürlich vermischen sich die Ebenen in vielen Schattierungen.

Der neue Generalmusikdirektor Cornelius Meister entwickelt mit dem präzise spielenden Stuttgarter Staatsorchester ein enorm plastisches Klangbild. Dabei ist alles im Fluss – selbst Klangflächen werden dynamisiert. In einzelnen Fortissimo-Passagen knallt es aber doch zu sehr im Orchestergraben, so dass die Balance mit dem herausragenden Solistenensemble für einige Momente gefährdet ist. Robin Adams singt die extrem fordernde Titelpartie mit nie nachlassender Gestaltungskraft. Jede Phrase wird von dem britischen Bariton modelliert und in den dramatischen Passagen auch gehärtet. Der an der Freiburger Musikhochschule ausgebildete Moritz Kallenberg ist dem zum Tod verurteilten Kriegshelden als Graf Hohenzollern ein guter Freund, der mit seinem hellen, flexiblen, berührenden Tenor zum echten Prinzenversteher wird. Vera-Lotte Böckers kristalliner, enorm tragfähiger Sopran verleiht Prinzessin Natalie von Oranien, die für die Liebe kämpfen muss, die notwendige Strahlkraft. Stefan Margita ist ein hell timbrierter Kurfürst von Brandenburg, der auch in Shorts und rosa Pullover noch Würde ausstrahlt.

Dass Regisseur Stephan Kimmig mit seiner Kostümbildnerin Anja Rabes in einigen Details wie den Brillen oder manchen Kleidern auf die 1950er-Jahre anspielt, lässt sich mit der Entstehungszeit der Oper begründen. Warum der Prinz aber statt Natalies Handschuh nach der ersten Traumszene einen Boxhandschuh mit sich führt, erschließt sich allerdings nicht. Die Soldaten stecken in violetten Trainingseinteilern und machen wie der Prinz und der Kurfürst gerne Dehnübungen an den Ballettstangen. Der Verweis auf den Tanzunterricht in der soldatischen Ausbildung der preußischen Armee im Programmheft mag die skurrile Idee erklären. Rein theatralisch entfaltet die kollektive Gymnastik eher unfreiwillige Komik. Trotz starker Momente ist die Inszenierung leider zu grob gearbeitet, um diese Gesellschaft genauer zu charakterisieren. Zum Happy End versammeln sich alle an der Rampe und strecken Fanschals in die Höhe. „Mitgefühl“, „Vision“, „Neugierde“ und „Fraternite“ ist da zu lesen. Kleists martialischer Schlusssatz „In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ wird von Kimmig beantwortet mit einer Utopie. Aber diese ist in Stuttgart mehr behauptet als gefühlt.

  • Weitere Vorstellungen: 20./22.(kostenloser Livestream)/29. März, 6. April, 4. Mai 2019, Tickets unter www.staatsoper-stuttgart.de oder tel. unter 0711 20 20 90

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