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Dmitry Lavrov als Robert, Costa Latsos als Vaudémont, KS Iordanka Derilova als Iolanta. Foto: © Claudia Heysel
Dmitry Lavrov als Robert, Costa Latsos als Vaudémont, KS Iordanka Derilova als Iolanta. Foto: © Claudia Heysel
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Studie über Empathie: Tschaikowskis „Iolanta“ in Dessau

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Der Applaus klingt im Anhaltischen Theater oft so groß wie die dort gespielten Opern – sogar wenn der Zuschauerraum wie derzeit wegen Hygienekonzept nicht ganz voll ist. Tschaikowskis letzte und 1892 in Sankt Petersburg mit seinem Ballett „Der Nussknacker“ uraufgeführte Oper war in Dessau ein Corona-Projekt. Mit nur 90 Minuten eigentlich nicht abendfüllend, ist „Iolanta“ aufgrund des kleinerem Chorparts auch im Ausnahmezustand gut machbar.

Neben dem wie gewohnt auf luxuriösem Niveau singenden Dessauer Ensemble und der unter GMD Markus L. Frank mit sattem Einsatz beeindruckenden Anhaltischen Philharmonie erweist sich Iordanka Derilova als ideale Interpretin der Titelpartie neben Anna Netrebko und Asmik Grigorian. Michael Schachermaier betonte die optimistischen Akzente der fast jugendstiligen Mittelalter-Phantasmagorie über das Sehendwerden einer blinden Königstochter.

In Dessau ist „Iolanta“ keine Studie über inzestuösen Missbrauch wie an der Oper Frankfurt, sondern über Empathie. Diese erfolgt allerdings durch recht ungewöhnliche Behelfe wie einer Todesdrohung des Königs René von Provence an den es nur gut meinenden Eindringling Vaudémont. Zuschaueraugen haben in Jessica Rockstrohs hellem Raum mit den riesigen Rosen und Jalousien keinen Erfolg bei ihrer Suche nach dunklen Ecken und Geheimnissen. Auch an den Figuren lässt sich keine Bosheit oder Arglist erkennen. Alle sind in bestem Sinne lieb zur Prinzessin Iolanta, die auf Wunsch ihres königlichen Vaters im Unklaren darüber gelassen wird, was ihr fehlt. Iolanta ist blind, soll aber bis zu ihrer vorgesehenen Verheiratung sehend werden. Sie erfährt erst von dem sich in sie verliebenden Graf Vaudémont, dass ihre Blindheit ein Handicap ist. Dann entwickelt sie die Energie, ihre Heilung zu wollen und somit zu bewältigen. Nach tollen Arien für jede der fünf Hauptpartien und betörend schwelgenden Szenen beendet Tschaikowski das Fast-Mysterium mit einem rauschhaften Finale und auftrumpfendem Chor (Leitung: Sebastian Kennerknecht). Am bekanntesten wurde die Arie Roberts. In dieser posaunt der Herzog von Burgund mit frenetischem Enthusiasmus heraus, dass er statt Iolanta lieber eine gewisse Matilde heiraten will. Dmitri Latrov erscheint dazu als versilberter Gardesoldat, wie er zu Iolantas Lieblingsspielsachen gehört.

Mit der Anhaltischen Philharmonie schürt GMD Markus L. Frank keine Tschaikowski-Stichflammen, sondern sucht in der melodischen Überfülle der Oper nach Henrik Hertz’ Schauspiel-Bestseller „König Renés Tochter“ die feinen Abstufungen. Frank orientiert sich mit Genauigkeit am Klang der schönen Worte in russischer Originalsprache. Das passt zu der einfachen Figurenführung mit Alexander Djurkov Hotters teils gegenwärtigen, teils symbolischen Kostümen. Die Hauben der Krankenschwestern sind wie weiße Tauben. Wie Robert und der maurische Arzt Ibn-Hakia kommt auch der sein Glück in der Liebe zu Iolanta findende Vaudémont als vergrößerte Spielzeugfigur und Astronaut. In enger Interaktion sind die Edel-Sopranistin des Anhaltischen Theaters und Josephine Nahrstedt als junge Iolanta, die aus unverständlichen Gründen nicht erwachsen werden will. Nicht immer ist die Beziehung zwischen der gereiften Iolanta, die sich erinnert, und der jungen Iolanta eindeutig, Trotz der nüchternen und mit ein bisschen Phantasie-Tand verschönerten Bühne kann man in der eigenen Phantasie eigene Geschichten erfinden.

Michael Schachermaier erzählt mit seiner Regie geradlinig. Er konstruiert keine verwirrenden Symbolismen und hat den Mut zum ungekünstelten, nicht aufgesetzt wirkenden Happyend. Damit bewältigt Schachermaier Tschaikowskis letzte und fürwahr nicht einfache, weil erlesen pseudonaive Oper auf einer angenehmen Ebene zwischen belassener Rätselhaftigkeit und gemächlicher Aktualisierung. In „Iolanta“ wird nicht um Selbstbestimmung oder Vergnügen gekämpft wie in Ibsens „Nora“, dafür aber mit sanfter bis extrovertierter Melancholie zur von schönen Instrumentalsoli durchsetzten Musik tief empfunden. Das Gartenparadies und weiße Helfende, welche Iolanta schon mal eine stimmungsaufhellende Injektion verpassen, liefern das passende Ambiente.

Mit Valentin Anikin kam in der Partie des maurischen Wunderheilers Ibn-Hakia ein zierlicher, dabei großer und stimmlich machtvoller Gast als Einspringer für Ulf Paulsen. Rita Kapfhammer als Iolantas Freundin und Pflegerin erhielt von Tschaikowski sträflicherweise kein längeres Soli. Dan Lee zeigt als König René neben einem schwarzen Tiefenregister auch Eleganz und ist damit auf der richtigen Spur zu den langen seriösen Basspartien. Als Vaudémont hat Costa Latsos seine besten Minuten in der Szene mit Robert und dem hymnischen Schluss des Liebesduetts.

Die gar nicht so lange Partie der blinden Iolanta fordert warme Inbrunst und das Paradox von Naivität auf dem langen Atem einer dramatischen Stimme. Iordanko Derilova bringt dafür sogar noch bemerkenswert oft zarte Farben ein, wirkt aber nie zerbrechlich. In den richtigen Momenten flutet sie mit leidenschaftlicher Energie und unnachahmlich pulsierenden Tönen. Mit Bravi dankte das Publikum auch für einen in den kleineren Partien mit David Ameln, Tomasz Czirnia, Gerit Ada Hammer und Yirin Kimszu hervorragend besetzten Abend. Die Unbedingtheit von Hoffnung und sanften Zweifeln sowie Tschaikowskis überaus schöne Partitur machen „Iolanta“ im Pandemie-Jahr zu einem Trostpflaster aus musikalischem Glanz und szenischer Wehmut.

  • Besuchte Vorstellung: So 7.11.2021, 17 Uhr (Premiere: Sa 30.10., 19.30 Uhr) – wieder am Sa 13.11., 17 Uhr -  So 28.11., 16 Uhr - So 26.12., 16 Uhr

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