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Foto: Robert-Recker.de
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Tickt es? –Emmerich Kálmáns „Marinka“ an der Komischen Oper Berlin

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Die fünf Jahre dauernde Beschäftigung mit selten gespielten Bühnenwerken von Emmerich Kálmán, dargeboten jeweils als mehr oder weniger halbszenische Vorweihnachtsoperette an der Komischen Oper Berlin, fand ihren an Kálmán-Originalität kaum zu überbietenden Höhepunkt mit dem einzigen Beitrag dieses Komponisten für den Broadway, dem 1945 in New York uraufgeführten romantischen Musical „Marinka“, der Meyerling-Tragödie mit Happy-End.

Der gemeinsame Freitod des dreißigjährigen österreichischen Thronfolgers Rudolf und seiner siebzehnjährigen Geliebten Maria Vetsera im Jagdschloss von Mayerling im Jahre 1889, bot als „Tragödie von Mayerling“ Stoff für diverse Legenden, Verschwörungstheorien, eine Reihe von Verfilmungen und für Kenneth MacMillans gleichnamiges Ballett auf Musik von Franz Liszt (1978), ja sogar in Siegfried Wagners 1913/14 entstandener Selbstmörderoper „Der Friedensengel“ haben Marc Gruppe und Sabine Lindner „auffällige Parallelen zu dem aufsehenerregendsten Doppelselbstmord des 19. Jahrhunderts, der Tragödie von Mayerling“ entdeckt.

Da das Genre Operette überwiegend mit Happy Ends aufwartet, verwandelte Kálmán den Stoff – unter Berufung auf den Leibfiaker und Hobby-Musiker im Dienste des österreichischen Kronprinzen, Josef Bratfisch – zu einer Liebesgeschichte mit positivem Ausgang: Kaiser Franz Josef, der das Verhalten seines Sohnes als Hochverrat ansieht, schickt das Paar nach Amerika und gönnt auf diese Weise seinem Sohn Rudolf ein Leben an der Seite der blutjungen Baronesse Maria Vetsera, genannt Marinka.

In den USA, so erzählt die Berliner Textfassung, sollen sie eine Reihe Kinder bekommen haben, auch eines mit Namen Donald …, der es aber bestenfalls in der Operette zu etwas bringen wird.

Den einzig erhaltenen Klavierauszug zu „Marinka“ hat Ferdinand von Seebach geschickt orchestriert und damit die Hörgewohnheiten – á la Kálmáns „Zirkusprinzessin“ oder „Gräfin Mariza“ – bestätigt. Ein schmelzendes Violinsolo in der Ouvertüre, abwechselnde Einsätze von Blech und Streichkörper und vom Schlagwerk akzentuierte tänzerische Elemente zwischen ungarischem Csardas und Wiener Walzer, die Koen Schoots mit dem wohl disponierten Orchester der Komischen Oper routiniert zum Blühen bringt.

Besonders originell ist ein Lied, mit dem Kálmán dem berühmten Song „Old Man River“ in Jerome Kerns Musical „Show Boat“ (1927) eine Reverenz erweist: kurzerhand definiert er für den Broadway auch die blaue Donau als alten Mann, als „Old Man Danube“, und das im Libretto von George Marion jr. sogar unter Bezugnahme auf afroamerikanische Sklaven. Beim Marsch „Das halbe Regiment seufzt“ ist Oscar Straus’ unverwüstliche Überbrettl-Nummer „Die Musik kommt“ als Vorlage auszumachen.

Mit leicht holländischem Akzent baut Peter Bording als behaupteter Enkel des Leipziger Leibfiakers seiner Majestät Witzchen ein, spannt etwa den Bogen zu seinem Landsmann Johannes Heesters, der auch noch mit über 100 Jahren gesungen habe.

Der Conférencier und Haupterzähler der Liebe des ungleichen Paares in Mayerling übernimmt selbst drei Lieder der 17 Gesangsnummern sowie eine Reihe von Ensemble-Einsätzen. Die Sprache der Aufführung ist „denglisch“, denn die Erzählungen von Bratfisch oder auch Maria Vetzera erfolgen in deutscher Sprache, häufig vom Orchester melodramatisch untermalt, während die englischen Gesangstexte im Original ertönen. In den Displays auf den Rückenlehnen der Vordersitze, kann der Besucher eine treffliche deutsche Übersetzung von Saskia Jain mitlesen.

Die als „Wiens Bühnen-Star“ angekündigte Ruth Brauer-Kvam in der Titelrolle vermag den 17-jährigen Backfisch, trotz Nachahmung von Vogelgezwitscher und Kuckucksrufen und Schneewittchen-Figur, in zwei Glitzerkostümen von Katrin Kath doch nur als gealterte quirlige Groteske herüberzubringen. Gelächter ernten ihre bewusst ausgestellten großen Gesten am Ende des ersten Duetts mit dem Kronprinzen Rudolf, von dem man kaum glauben mag, er sei „dahingeschmolzen wie Butter“. Der Witz, dass man in Liebesdingen Übung brauche, da man ja auch nicht einen Klempner-Neuling sein Rohr reparieren lasse, wird in Wort und Gesang breitgetreten. Wenn Johannes Dunz ihn als Kronprinz Rudolf tenoral brillierend zum Besten gibt, mag man dies hinnehmen. Musikalisch dargeboten, ist der Zuhörer sogar bereit, zu glauben, dass in Wien die „Blätter der Kastanienbäume im Dreivierteltakt“ rascheln. Unter den nur vier Solisten ist Talya Lieberman, Mitglied des Opernstudios der Komischen Oper Berlin, der gesangliche und darstellerische Lichtblick des Abends. Lieberman, die in den „Perlen der Cleopatra“ neben ihrer Gesangsleistung auch als Trompeterin überzeugt hatte, macht die Nummern der skandalgierigen Autorin Gräfin Landowska, die sich u. a. auf ein Vorsprechen für den Scheichs-Harem präpariert, zu Höhepunkten.

Nur wenig zum Einsatz kommt der von David Cavelius einstudierte Chor, pointiert beim Vergleich der Donau mit dem Mississippi der Herrenchor, später bei den „Memoiren der Gräfin als Enthüllungsorgie“ der gemischte Chor.

Das szenische Arrangement beschränkt sich auf einen Teetisch, an dem Tee und Schnaps getrunken wird. Hausherr und auch szenisch Verantwortlicher Barrie Kosky hatte die europäische Erstaufführung eingeleitet. In seiner launigen Ansprache bezeichnete er sich als „australischer Weihnachtsmann“ und kündigte an, dass der fünfjährigen Kálmán-Reihe ab der nächsten Spielzeit für fünf Jahre eine Serie mit Operetten von Paul Abraham folgen werde.

Die auch diesmal wieder zur Berliner Kálmán-Premiere anwesende Komponisten-Tochter Yvonne, die „Marinka“ vordem zuletzt im Uraufführungsjahr 1945 gehört hatte, reagierte ebenso beschwingt, wie die beim Hauptsong rhythmisch mitklatschenden Zuschauer: der Ohrwurm „Only One Touch of Vienna“ wurde, wie schon am Ende der Handlung, beim Applaus als Zugabe erneut wiederholt, – wartete doch die pausenlose Aufführung mit nur knapp 80 Minuten Musik auf.

Aber die Frage „Tickt es?“, in der Eingangshalle der Komischen Oper (so als Hinweis für die Gewinner der Aktion „Zwei Tickets“, auf dem Plakat: „Zwei Ticktes“) darf bejaht werden.

  • Weitere Aufführung: 30. Dezember 2016.

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