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Tragödische und burleske Ehe-Desaster: „A Gentle Spirit“ und „The Bear“ in Gera. Foto: Katja Wisotzki
Tragödische und burleske Ehe-Desaster: „A Gentle Spirit“ und „The Bear“ in Gera. Foto: Katja Wisotzki
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Tragödische und burleske Ehe-Desaster: „A Gentle Spirit“ und „The Bear“ in Gera

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Packendes Theater mit subtiler Musik sind John Taverners faszinierend dichtes Zweipersonen-Drama „A Gentle Sprit“ (1977) wie William Waltons Burleske „The Bear“ (1967). Im Theaterhaus Gera gelangten beide Stücke in packend unterschiedlichen Spielformen an einem Abend zur Premiere. Gesungen wurde auf englisch.

Generalintendant Kay Kuntze beherrscht mindestens zwei Regie-Sprachen. Zum einen interessieren ihn bizarre Beziehungsballaden mit viel Qual und wenig Freude. Zum anderen lässt er gern opulente Komödie spielen. So kam er nach dem Erfolg von Menottis „Das Telefon“ und Poulencs „Die menschliche Stimme“ mit dem noch sehr frischen Generalmusikdirektor Ruben Gazarian auf die Kombination von zwei Operneinaktern britischer Komponisten nach russischen Sujets. Am Ende fragt man sich, warum britische Opern in Deutschland mit Ausnahme von Britten und Purcell noch immer viel zu selten sind. Das sind keine Weihnachtsschnäppchen oder Pandemie-Trostpflaster. Aber Taverners und Waltons Opern bieten etwas, was man in elektronischen Medien oder nicht subventionierten Einrichtungen allenfalls ganz selten erlebt. Solch grausame und sarkastische Stücke kann man schwerlich als harmlos bezeichnen. Sie bestätigen die große Kraft des unmittelbaren physischen Musiktheaters.

Bei Taverner treibt das Ekelpaket an ihrer Seite die Frau aus Dostojewskis fantastischer Erzählung „Die Sanfte“ in den Selbstmord. Dagegen wird die trauerfreudige Witwe in Tschechows Einakter „Der Bär“ zunehmend lustiger, spürt unter ihrem schweren Kleid und Heiligenschein sogar neue Hummeln im Bauch. Was die Bühnen- und Kostümbildnerin Benita Roth und Kuntze in „A Gentle Spirit“ auf der fast leeren, schwarzen Bühne im ersten Teil verkargen, knallen sie in der Extravaganza „Der Bär“ mit perfekt aufgehendem Kalkül drauf.

Bei dieser Neuproduktion gibt es große Erschütterung im ersten und viel Spaß im zweiten Teil, scharfe Kontraste also. Tragödie und Komödie vereinen sich zu einem intensiven Abend. Ruben Gazarian entfesselt am Pult des Ensembles aus dem Philharmonischen Orchester Altenburg Gera in „Der Bär“ ein sattes Gemisch aus Zitaten und hintergründigem Klamauk, in „A Gentle Spirit“ ein sogar aus leisesten Tönen schreiendes Drama. Der neue Generalmusikdirektor kann gut mit dem hier in durchweg außergewöhnlichen Partien gefordertem Sängerensemble und den bemerkenswert agilen Musikern.

John Taverner, häufig spirituellen und metaphysischen Sujets zugeneigt, modellierte in „A Gentle Spirit“ (1977) auf Gerard McLarnons Textbuch nach Fjodor Dostojewski fantastischer Erzählung „Die Sanfte“ eine der großen Geschlechterkampf-Situationen in der Oper des 20. Jahrhunderts. Sopran und Tenor sind diesmal kein Liebespaar. Nachdem die junge Frau sich mit einer Ikone im Arm aus dem Fenster gestürzt hat, sucht der seelisch verkrüppelte Witwer imaginäre Gespräche mit der durch seine Härte in den Tod Getriebenen. Der von einer in der Partitur geforderten Bandzuspielung begleitete Selbstmord wiederholt sich immer wieder. Erstaunlich ist, dass Interpreten die Pole zwischen psychischer Grausamkeit und Leidensfähigkeit weitaus intensiver erleben als das Publikum. Trotzdem gerät „Der sanfte Geist“ durch Miriam Zubieta und Edgar Lee zum packenden Seelendrama. Fesselnd loten beide mit ihren noch leichten Stimmen die Abgründe dieser toxischen Beziehung aus. Dazu kommt Lilli Wiesner als Double der Frau. Im Schwarzen Bühnen-Loch explodieren die Figuren bei Berührungen wie kollidierende Meteore.

„Trauern, Trauern, Trauern...“ will die Witwe Popowa unter ihrem Heiligenschein. Alles in ihrem Umfeld ist auf diesen einzigen Lebenssinn ausgerichtet. Der Diener Luka befriedet ihre Launen wie Butler James jene von Miss Sophie in „Dinner for One“. Kuntze genoss die Regie-Arbeit an der intelligenten Komödie „Der Bär“ spürbar. Und Benita Roth offeriert nach Taverners trostlosem Universum eine süffisante wie opulente Materialschlacht. Der für seine Musik zu vielen britischen Shakespeare-Verfilmungen bekannte William Walton tobte in „Der Bär“ (1967) nach Anton Tschechows Einakter virtuos durch Klischees von russischer Folklore bis zum Song à la Kurt Weill. Saturiert herrscht Popowa auf einer riesigen Troika über einen Tempel der alles Schlechte verdrängenden Erinnerungen. Eigentlich will der hereinschneiende Smirnow nur die Schulden des von Popowa mit großen Gesten betrauerten Gatten zurück. Von ihm lässt sie sich nach erst echtem, dann gespieltem und schließlich brechendem Widerstand zu neuer Lebenslust verführen. Als Smirnov wird Johannes Beck vom Buchhaltertyp zum Filou, Kai Wefer als Diener Luka gehorcht mit schalkhafter Devotion. Über alle siegt Eva-Maria Wurlitzer als Popowa in der Pose erst der imponierenden Heiligen, später der galanten Tigerin. Zwei Stücke, ein Thema: In der Tragödie wie in der Komödie haben die Witwen und Opfer russischer Ehemänner nichts zu lachen.

  • Wieder am 17.12. - 27.03.2022 – 18.06.

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