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Xavier Sabata, Sharon Carty. Foto: © Maurice Korbel, korbel.pictures@web.de
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Von der Einstimmigkeit in die Ewigkeit – Fabrice Bollons Familienoper „Oscar und die Dame in Rosa“ am Freiburger Theater uraufgeführt

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Eric-Emmanuel Schmitts kleine Erzählung „Oscar und die Dame in Rosa“ ist nicht sehr dramatisch. Ein zehnjähriger, krebskranker Junge trifft auf eine unkonventionelle, ältere Dame, die ihm das Sterben erleichtert, indem sie ihm Lebensfreude schenkt. Oscar erzählt in Briefen an Gott von seinem Schicksal. Den letzten Brief nach Oscars Tod schreibt Oma Rosa. Und bedankt sich, diesen tapferen Jungen kennengelernt zu haben. Als Oper kann man sich den Stoff kaum vorstellen – es fehlen echte Konflikte, starke Motive und dramatische Zuspitzungen. Fabrice Bollon hat gemeinsam mit seinem Librettisten und Regisseur Clemens Bechtel dennoch daraus eine Familienoper (ab 12 Jahren) für das Freiburger Theater komponiert – und was für eine!

Die manchmal doch etwas betuliche Erzählung gewinnt auf der Opernbühne an Tempo und Witz. Bollons atmosphärisch dichte, klangfarblich raffinierte Musik macht aus den Figuren Persönlichkeiten und haucht ihnen Leben ein. Mit großer Souveränität und spielerischer Leichtigkeit bewegt sich der Komponist in einer modernen Musiksprache, die auf Bestehendem aufbaut und durchaus Anspielungen enthält, aber dennoch einen ganz eigenen Ton entwickelt. Das ist Theatermusik im besten Sinne – packend und berührend, kommentierend und begleitend. Am Ende gibt es stehende Ovationen für einen großartigen Musiktheaterabend und auch für den komponierenden Generalmusikdirektor, der auch kurzfristig die musikalische Leitung der Freiburger Uraufführung übernommen hatte. Dirigent David Parry musste aus persönlichen Gründen absagen.

Librettist Clemens Bechtel behält die Gliederung des Geschehens in Briefen bei, die zu den dünn instrumentierten, leider vom Freiburger Premierenpublikum zerhusteten Orchesterzwischenspielen aus dem Off vorgelesen werden (Josias Grube). Nur der letzte Brief von Oma Rosa ist gestrichen. Ansonsten gibt es einige erfundene Traum- und Spielszenen, in denen der bunt gekleidete, mit Trikotnummern versehen Kinderchor (Leitung: Thomas Schmieger) immer wieder für Belebung sorgt (Ausstattung: Olga Motta). Seine Oper lässt Bollon aus der Einstimmigkeit beginnen. Erst nach und nach fächert sich der Klang im Orchestergraben auf. Oscar belauscht ein Gespräch, das seine Eltern mit dem behandelnden Arzt Dr. Düsseldorf führen. Kinderwelt und Erwachsenenwelt sind klar getrennt – durch (nicht sichtbare) Stelzen sind Mutter (Sigrun Schell), Vater (Wolfgang Newerla) und Dr. Düsseldorf (Neal Schwantes) fast doppelt so groß wie Oscar, der von Sharon Carty mit klarem, leicht geführtem Mezzosopran ganz lebendig gestaltet wird.

Der todkranke Junge, dem wegen der Chemotherapie die Haare ausgefallen sind, ist eine echte Sympathiefigur auf der leeren Bühne, die erst durch die Mitpatienten Farbe gewinnt. Oma Rosa fährt von der Unterbühne auf und macht gleich mit dem Ausruf „Scheiße, Scheiße“ klar, dass sie eine ganz besondere Oma ist. Eine Oma (der Countertenor Xavier Sabata verkörpert sie mit Witz und Temperament – ohne jedes Tuntengehabe), die mit derben Kraftausdrücken von ihrem früheren Beruf als Catcherin erzählt und Oscar auch mal mit einem erfrischenden „Steh auf, Du fauler Sack“ aus dem Bett holt. Dem Jungen gibt sie den Tipp, er solle jeden Tag für zehn Jahre seines Lebens halten. So erlebt Oscar in den folgenden elf Tagen seine Pubertät, die Heirat mit Peggy Blue (mit fantastischer Höhe und kristallinem Sopran: Carina Schmieger), seine Midlife Crisis mit einer kleinen Affäre (Lucia Schreiber als Sandrine), einer rasanten Autofahrt zu Weihnachten mit Oma Rosa und auch Einsamkeit im Krankenbett.

Bei den Gesangslinien achtet Bollon auf hohe Textverständlichkeit. Nie werden die Sänger vom Orchester erdrückt. Im Gegenteil. Es sind oftmals die leisen, nur dezent begleiteten Passagen, die größte dramatische Wirkung entfalten. Die Orchesterbegleitung ist mit ihren Liegetönen und den schnellen, fließenden Pizzicati wie ein Band, das niemals reißt. Und die Oper, ohne ihr Gewalt anzutun, zusammenhält. Auch Humor hat diese Musik, wenn sie bei Popcorns (Christoph Waltle) Sehnsucht nach Salami einen Belcanto-Ton anschlägt, Xavier Sabata für einige Kraftausdrücke in die Bruststimme fallen lässt, in der Liebesszene von Oscar und Peggy Blue Tschaikowskys Schneeflockenwalzer aus dem „Nussknacker“ leicht verfremdend zitiert oder Oma Rosas witzig bebilderte Autofahrt (Video: Thilo Nass) mit einer spektakulären Koloraturarie in Szene setzt.

Nur ein paar Mal entfesselt Fabrice Bollon das Orchester wie bei der Traumsequenz am vierten Tag, als zu virtuosen Streichern und treibenden Beats Peggys Operation und Hochzeit miteinander verschränkt werden. Am Ende löst sich diese Musik auf, wie auch die Briefe immer kürzer werden. Oscar liegt im Krankenbett – und Bollon zaubert dazu einen schwebenden Klang, der  bereits die Ewigkeit andeutet. Die Musik endet in heller Einstimmigkeit, wie sie begonnen hat – ehe zwei Pfleger das Krankenbett von der Bühne schieben und damit leider den berührenden Schluss ein wenig kaputt machen.

Weitere Vorstellungen: 9./11./16./18. Januar 2014, 7.3.2014, jeweils 19.30 Uhr, 9.3.2014, 15 Uhr, 14./21.3. 2014, jeweils 19.30 Uhr. Karten und Infos unter www.theater.freiburg.de

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