In dem Essay „Lob des Schattens“ entwirft Tanizaki Jun’ichiro 1933 eine Art „ästhetisches Testament Japans“. Es geht um den Umgang in fernöstlichen Kunst und Kultur mit Licht und Schatten. „Ohne Schattenwirkung gibt es keine Schönheit“, schreibt der bedeutende Autor der frühen Moderne. Für Jun’ichiro berührt dies auch eine Klanglichkeit, denn: Das Dunkel berge ebenso eine „unheimliche Stille“ in sich.
Für Klaus-Peter Werani ist die Abhandlung Jun’ichiros eine schöpferische Fundgrube. Das offenbart sein Stück „Schattenraum“ für Akkordeon, klangsubstituiertes Akkordeon und Viola, das im Januar in München im Schwere Reiter uraufgeführt wurde: von dem „DUO2KW“. Dahinter verbergen sich Kai Wangler am Akkordeon sowie Werani selbst. Als Bratschist wirkt er überdies im BR-Symphonieorchester.
Dass Weranis neues Stück im Rahmen der ensembleeigenen Konzertreihe „DUO2KW expanding!“ aus der Taufe gehoben wurde, passt perfekt. Mit ihrer Konzertreihe möchte nämlich das Duo nicht nur das Münchner Publikum mit dieser Besetzung vertrauter machen, sondern das Repertoire weiterentwickeln und klangliche Möglichkeiten ergründen. Dazu werden auch Werke eigens in Auftrag gegeben, mit Unterstützung der „Siemens-Musikstiftung“, des „Deutschen Musikrats“ und des Münchner Kulturreferats.
Seit 2010 bilden Wangler und Werani das „DUO2KW“. Mit einem Konzert samt Werken von Nicolaus A. Huber, Uroš Rojko und Rolf Riehm ging es los. Danach hatten die beiden Musiker das Bedürfnis, weitere Programme für diese Besetzung gemeinsam zu schnüren. Der offizielle Startschuss der eigenen Konzertreihe fiel 2017, freilich mit Vorlaufzeit, um bereits im ersten Jahr insgesamt vier Uraufführungen realisieren zu können: darunter von der aufregenden Komponistin Clara Iannotta aus Italien.
Gleichwohl setzen Wangler und Werani ganz bewusst nicht nur auf Uraufführungen, sondern stöbern ebenso nach bereits existierenden Werken. „Für eine nachhaltige Pflege muss eben auch ein Kanon des Repertoires entwickelt werden“, betont Wangler, und dafür sind beide vortreffliche Anwälte: nicht nur Meister ihrer Instrumente, sondern Kammermusiker par excellence.
Nun ist diese spezifische Duo-Besetzung wahrlich keine „Exoten-Kombi“, und es gibt viele gute Werke, aber: Das Gros des Publikums hat diese Verbindung nicht auf dem Schirm, jedenfalls nicht in der „Musikmetropole München“. In der Zwischenzeit hat sich diese kleine Konzertreihe zu einem musikalischen Schmuckkästchen gemausert: ein gewichtiger, unverzichtbarer Akzent im Konzertleben Münchens.
„Diese spezifische Besetzung fördert per se ein kompositorisch besonderes Nachdenken“, sagt Werani. Beide Instrumente ähnelten sich nämlich, könnten also gut verschmelzen, um gleichzeitig extrem zu differieren. „Allein der gewaltige Ambitus des Akkordeons: Die Bratsche hat das nicht, auch nicht das Extreme der Farben. Beide Instrumente kommen aber sehr gut miteinander aus.“
Denn Akkordeon und Bratsche haben eines gemeinsam: Ihre Timbres bilden jeweils eine Zwischenwelt aus, eine Art „klangliches Niemandsland“, ein Schattenreich oder „Schattenraum“ eben. „Es lässt sich auf ausgesprochen unterschiedlichen Arten mit dieser Besetzung umgehen“, was das neue Stück von Werani beispielhaft aufzeigt. Eine Verschmelzung der tiefen Register strebt Werani in „Schattenraum“ an, wozu die beiden unteren Saiten der Viola um eine Terz tiefer gestimmt sind.
Umso sinnstiftender verlebendigt diese dunkle Klanglichkeit die Idee Jun’ichiros einer „unheimlichen Stille“. Zugleich wird der Stimmstock des Akkordeons mit verschiedenen klingenden Gegenständen manipuliert. Mit dieser Suche nach klanglicher Identität drückt Weranis „Schattenraum“ das Sein und Wollen der Konzertreihe exemplarisch aus, und sie haben noch viel vor. Auch mit Streichorchestern können sie sich Projekte vorstellen. Oder mit dem „TrioCoriolis“, das Werani ebenso mitbegründet hat. Es bleibt spannend, weiter so!