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Der "Fall Gergijew" - Wie politisch muss ein Künstler sein? [update, 19.12.]

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Eigentlich wollte die Stadt München den Kritikern von Waleri Gergijew den Wind aus den Segeln nehmen. Eine klare Absage an die Politik Wladimir Putins aber gab der umstrittene russische Dirigent nicht. Die Stadt München hält an ihm fest, doch für sein Konzert am Mittwochabend haben die Aktivisten der schwullesbischen Szene Proteste angekündigt.

 

München - So richtig scheint Waleri Gergijew gar nicht zu wissen, was das alles soll. Vor ihm sitzen Journalisten wie eine Wand - alle wollen von ihm hören, was er denn nun hält von dem Anti-Schwulen-Gesetz seines Freundes Wladimir Putin - und von Homosexualität im Allgemeinen. Gergijew sagt dazu am Dienstagabend viel - und gleichzeitig nichts. Er beantwortet Fragen ausweichend und versucht immer wieder, das Gespräch auf das zu lenken, was ihn interessiert: die Musik.

Richard Wagners «Ring des Nibelungen» beispielsweise sei für ihn viel spannender als die Debatte um Diskriminierung und das russische Anti-Homo-Gesetz. «Ich bin ein vielbeschäftigter Künstler», sagt er, der im Jahr 2015 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker werden soll. «Ich gehöre nicht zur Duma, ich gehöre nicht zur Regierung.» In seinem Hause, dem berühmten Mariinski-Theater in St. Petersburg, dulde er Diskriminierung nicht, betont er. Für alles andere sei er nicht zuständig.

Auch die als kremlnah geltende russische Opern-Diva Anna Netrebko hat ihre Toleranz gegenüber homosexuellen Kollegen schon betont. «Als Künstlerin ist es mir eine große Freude, mit all meinen wunderbaren Kollegen zusammenzuarbeiten - ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft, Volkszugehörigkeit, Religion, Geschlecht oder sexuellen Orientierung», schrieb die Sängerin bei Facebook. Zu dem Anti-Homosexuellen-Gesetz auch von ihr kein Wort.

Nicht nur die Verantwortlichen der Stadt München hätten sich von Gergijew wohl ein flammenderes Plädoyer für Freiheit und Menschenrechte gewünscht. Zwar weist der Dirigent Vorwürfe, er habe Homosexualität und Pädophilie gleichgesetzt, als «lächerlich» zurück. Auf die Frage, ob man vor Kindern positiv über Homosexualität sprechen solle - was in Russland unter Strafe steht -, antwortet er aber nur, mal sollte mit ihnen vor allem über Kultur sprechen – über Puschkin, Mozart und Tschaikowski. Über den sagte Präsident Putin übrigens kürzlich: «Tschaikowski war homosexuell, klar, wir lieben ihn nicht dafür, aber er war ein großer Musiker, und wir lieben seine Werke.»

Am Beispiel Gergijew entbrennt die alte Frage, wie politisch ein Künstler sein muss, wie moralisch. Der Münchner Opernintendant Nikolaus Bachler hat darauf eine ganz klare Antwort: «Ich finde, das Fundament der Kunst ist Wahrhaftigkeit und Humanität», sagte er in einem Interview zum Fall Gergijew. «Es versteht sich daher von selbst, dass man schon aus Eigeninteresse als Künstler nicht schweigen kann zu Inhumanität und Menschenrechtsverletzungen.»

Viele Künstler haben das in jüngster Zeit getan. Rocker Udo Lindenberg wütete gegen das Gesetz: «Putin, es reicht! Schande über dich und deine Marionetten.» Und Rapper Smudo erklärte: «Herr Putin, sagen Sie mir nicht, dass jemand, der sich mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd fotografieren lässt, etwas gegen schwule Propaganda hat.»

Der britische Schauspieler und Autor Stephen Fry rief zum Boykott der Olympischen Winterspiele 2014 im russischen Sotschi auf. Der deutsche Dramaturg und Regisseur Marius von Mayenburg sagte aus Protest einen Besuch in Moskau ab, wo sein Stück «Der Stein» Premiere feiern sollte - und der Schauspieler Wentworth Miller weigerte sich, zu einem Festival nach St. Petersburg zu fahren. «Als schwuler Mann muss ich ablehnen.»

Experten sind der Ansicht, Gewalttaten aus Hass auf Homosexuelle - bis hin zum Mord - hätten in Russland in letzter Zeit zugenommen. Auch das Auswärtige Amt nennt in einem Sicherheitshinweis für Reisen nach Russland «jüngste Vorfälle von Gewalt nicht-staatlicher Seite, bei denen es zu Übergriffen auf Homosexuelle und gleichgeschlechtliche Paare gekommen ist».

Es ist nicht nur der freiwillige Boykott, der einige Künstler derzeit davon abhält, nach Russland zu reisen. US-Popsternchen Selena Gomez bekam kein Visum und musste ihre Konzerte in Moskau und St. Petersburg absagen. Ihr russischer Konzertveranstalter machte neue Visabestimmungen für ausländische Künstler verantwortlich, nachdem die Superstars Madonna und Lady Gaga bei ihren Auftritten offen Schwule und Lesben unterstützt hatten.

Und der britische Schauspieler Ian McKellen - weltweit als Zauberer Gandalf in der «Herr der Ringe»-Trilogie und in den «Hobbit»-Filmen bekannt - reist aus Angst vor Feindlichkeit gegen seine Homosexualität nicht nach Russland. Das britische Außenministerium habe ihm geraten, wegen der russischen Gesetze nicht dorthin zu fahren. «Sie könnten mich vor diesen Gesetzen nicht schützen», sagte der Schauspieler. «Und das zweieinhalb Stunden von London entfernt! Im Land von Tschaikowski, Djagilew und Rudolf Nurejew - schwule Künstler, deren Sexualität Einfluss auf ihre Arbeit genommen hat.»

Britta Schultejans

[update, 19.12.]
Jubel für umstrittenen Dirigenten Gergijew in Münchner Philharmonie
München (dpa) - Der bei Menschenrechtlern und Homosexuellen-Aktivisten in die Kritik geratene russische Dirigent Waleri Gergijew hat am Mittwochabend in der Münchner Philharmonie ein umjubeltes Konzert gegeben. Der Beifallssturm nach einer Aufführung der selten gespielten Originalfassung von Igor Strawinskys Ballettmusik «Der Feuervogel» stand in scharfem Kontrast zu den Protesten vor Beginn des Konzerts.

Mehrere hundert Aktivisten der schwullesbischen Szene hatten vor der Münchner Philharmonie gegen die repressive Homosexuellenpolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin protestiert. Auf Tafeln und Spruchbändern forderten sie unter anderem «Keine falschen Töne für Schwule, Lesben und Transgender». Rita Braaz, die Organisatorin der Kundgebung, appellierte an Gergijew, sich einmal eindeutig gegen «Menschenrechtsverletzungen und Morde an Schwulen in Russland» zu positionieren.
 

 

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