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Super Oper in der Neuköllner Oper. Foto: Murat Aslan

Super Oper in der Neuköllner Oper. Foto: Murat Aslan

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Im Ringkampf um die Kulturfinanzierung

Untertitel
Was hat eine Open-Air-Wrestling-Show in Neukölln mit der Notsituation der Berliner Kulturfinanzierung zu tun?
Vorspann / Teaser

Wer Mitte September geplant oder durch Zufall an der partizipativen Open-Air-Show „Big in Neukölln“ im Innenhof der Neuköllner Oper vorbeikam und auch als Zuschauender unweigerlich Teil des wilden Spektakels wurde, weiß es. Denn während der Show wurde um nichts geringeres gewrestelt als die finanzielle Freiheit des Opernhauses. Doch die illustre Ringkampfinszenierung war nur einer der vielen Showacts des heiteren Bühnenprogramms.

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Die Show konstituierte sich aus einem bunten Potpourri verschiedener Acts aus der Neuköllner Amateur- und Profimusikszene. Nachwuchssänger:innen der Neuköllner Musikschule waren auf der Bühne vertreten, genau wie das Landesjugendensemble Neue Musik, die Kiez-Punkband „Lovegaze“ und viele weitere. Später wurde gar das Publikum eingeladen, mit mitgebrachten oder improvisierten Instrumenten eine ad hoc Jam-Session auf der Bühne zu formen. Überbunden wurden die einzelnen Performances von humoristischen Zwischenspielen des Opern-Teams, in denen wiederholt mal mehr, mal weniger subtile Seitenhiebe gegen die Berliner Kulturpolitik ausgeteilt wurden. Ein wiederholt auftretendes Motiv der Gesamtinszenierung zeichnet sich dabei bereits im Laufe der ersten Hälfte des Showprogramms ab: Man will spielerisch darauf aufmerksam machen, dass die anstehenden oder bereits eingetretenen Kürzungen der Berliner Kulturförderprogramme, durch die viele kleinere Kultureinrichtungen – wie die Neuköllner Oper – ein erhebliches Maß an finanzieller und damit künstlerischer Unabhängigkeit gewinnen konnten, eine große Gefahr für die Vielfalt und Freiheit der städtischen Musik- und Kunstszene darstellen. So erhielten beispielsweise alle am Programm teilnehmenden Künstler:innen bei Ihrem Abgang von der Bühne sofort eine Nichtverlängerungsmitteilung von der Showmoderation, weil das »nun mal ab jetzt so laufen muss hier«.

Besonders deutlich wurde die Message im Eröffnungsakt der zweiten Programmhälfte: Ihren Wunsch, weiterhin institutionell durch die Berliner Konzeptförderung (mit)finanziert zu werden, arbeitete die Neuköllner Oper in Form einer illustren Inszenierung eines Wrestling-Matches ins Bühnenprogramm ein, in welchem sich eine in Jugendkörper personifizierte staatliche Kulturfinanzierung gleich mehreren stämmigen maskierten Männern, bekleidet mit groß auf T-Shirts prunkenden Markenzeichen bekannter deutscher Automobil- und Bankunternehmen gegenübergestellt sieht. Unter Ansporn und Beifall des Publikums wehrt sich der zwar sportliche, dennoch schmächtigere und auf sich allein gestellte junge Kulturfinanzierungs-Kämpfer gegen die tobendenden, breitgebauten und zahlenmäßig überlegenen Privatsponsoren-Wrestler. Dem Helden der Inszenierung gelingt manch beinahe unmögliche Parade und gelegentlich ein tollkühner Gegenschlag, doch sein Schicksal scheint unausweichlich. Der breiteste Scherge – mit runder, blau-weißer Ikone einer deutschen Traditionsautomobilfirma, aufgedruckt auf vor Stolz geschwellter Brust – bekommt den Publikumsliebling zu greifen und reißt ihn zu Boden. Dort liegend wird er in unsportlicher Manier wieder und wieder von den maskierten Wrestlern verdroschen, man versetzt ihm trotz des Zu-Boden-Gehens Schlag auf Schlag, Tritt auf Tritt, während das Publikum, fest an der Seite der menschgewordenen Kulturfinanzierung stehend, lautstarke Empörung über den unfairen Kampf kundtut. Das Match scheint entschieden, die mit Wrestlingmasken vermummten Vertreter der deutschen Großwirtschaft posieren bereits triumphierend, als – wie durch ein Wunder – sich der Held doch noch ein letztes Mal erhebt. Durch den tosenden Beifall des Publikums zu neuen Kräften gelangt, tritt er der siegessicheren Übermacht entgegen, pariert jeden Schlag und schafft es unter wagemutigen Manövern, alle Angreifer hintereinander weg zu Fall zu bringen. Alle Großfirmen-Wrestler liegen am Boden, eine Organisatorin der Neuköllner Oper präsentiert die Kulturfinanzierung als Sieger des inszenierten Gefechts, der Rest der beteiligten Operncrew heizt das Publikum zu einem finalen, großartigen Jubel an.

Perfekte Ekstase

Die Ekstase ist perfekt, die Botschaft eindeutig: Die überzogene Wrestlingchoreographie ist offenkundig eine Liebeserklärung an die Berliner Kulturfinanzierung als Möglich- und Unabhängigmacher des Kulturprogramms der Neuköllner Oper unter vielen anderen kleineren, vor Persönlichkeit und Charakter nur so triefenden Musik- und Kunsthäusern. Viel lieber – so steht es unmissverständlich im Subtext der Kampfinszenierung – baut die Neuköllner Oper ihr künstlerisches Programm auf eine inhaltlich weitgehend bedingungslose, unvoreingenommene, planbare staatliche Finanzierung, als auf Sponsoren aus der Groß- und Privatwirtschaft vertrauen zu müssen, deren Finanzierungspläne im Zweifel wesentlich stärker an kommerziellen Erfolg, Produktionsdruck, inhaltliche Vorgaben oder Werbeplatzierungen geknüpft sein könnten.

Im ganz realen, nach wie vor brandaktuellen Rangeln um die gekürzten Finanzierungsmittel in Berlin bleibt weiterhin fraglich, wie positiv gestimmt man als Zuschauer des Geschehens sein und bleiben darf. Die Neuköllner Oper selbst ist zwar als Nutznießer der Berliner Konzeptförderung – das heißt staatliche Unterstützung für nicht kommunale Kulturinstitu­tionen – 2025 noch von Kürzungen der vereinbarten Förderung verschont geblieben, 2026 sollen allerdings 3% der eigentlichen Fördersummen wegfallen. Das klingt womöglich erstmal nicht nach viel, bedeutet für Kulturhäuser mit großen Fixkosten und entsprechend wenig Verhandlungsmasse aber, dass man schnell die hauseigenen Rücklagen aufbrauchen muss und – so teilte die Neuköllner Oper mit – 2027 schon mindestens eine Produktion streichen muss. Um die Kürzungen finanziell auffangen zu können, mussten zudem die Ticketpreise erhöht werden. Insgesamt also bereits herbe Schläge für eine Stadt, die sich bis in die Gegenwart gerne nach außen mit einer einzigartig vielfältigen und preislich zugänglichen Kulturlandschaft schmückt und zugleich aus dem hieraus entstehenden Kulturtourismus wieder neue Einnahmequellen schafft.

Anders, in der Konsequenz aber doch ähnlich, sieht es für eine andere unabhängige Kunst- und Kulturbühne im Osten der Stadt aus. Das »Radialsystem« im Bezirk Friedrichshain, direkt an der Spree und nahe des Ostbahnhofs gelegen, ist stadtweit besonders dafür bekannt, der freien und avantgardistischen Musik- und Kunstszene Berlins eine Bühne zu geben. Das Radialsystem wurde seit 2018 vom Land Berlin infrastrukturell teilgefördert, heißt, die Nutzung der Räumlichkeiten des Radialsystems konnte seitdem für Konzerte und Veranstaltungen freier Künstler:innen und Ensembles subventioniert werden. Durch die erhebliche Schrumpfung dieses Förderetats sind die Künstler:innen dadurch wieder mehr auf ihre eigene Wirtschaftlichkeit angewiesen, was natürlich besonders finanziell schwächere Künstler:innen schwer benachteiligt und bereits mittelfristig große Verluste für die Vielseitigkeit und Zugänglichkeit der freien Berliner Kulturszene bedeuten könnte, was im Rückschluss letztlich auch dem Radialsystem – das sich nach wie vor als zentraler Austragungsort und Verantwortungsträger für eben diese Szene versteht – großen Schaden zufügen wird.

Kommunale Haushaltssperre

Noch herber als den städtisch unabhängigen Institutionen ergeht es derweil in Sachen Kürzungen den kommunal betriebenen Häusern der Bezirke – wie etwa der „WABE“ im Herzen des Prenzlauer Bergs. Als Teil der „kommunalen Kultureinrichtungen des Bezirks Pankow“ wurde hier bereits seit April diesen Jahres eine allgemeine Haushaltssperre verhängt; bedeutet, jede Ausgabe des Hauses muss nun genau und im Einzelnen begründet werden. Zudem wurde der verfügbare Etat insgesamt gemindert, was sich sicherlich auch hier in kommender Zeit auf die Vielfalt und Tiefe des angebotenen Kulturprogramms auswirken wird. Die WABE und das direkt angrenzende „Theater unterm Dach“ – ebenfalls kommunale Kultureinrichtung – sind dabei vor Ort bekannt als Häuser, die seit Jahrzehnten jungen, aufstrebende Musik-, Kunst- und ­The­a­­terschaffenden eine Bühne gaben und aus der Kiezszene des Prenzlauer Bergs nicht mehr wegzudenken sind. So wäre es besonders tragisch, wenn ein wesentlich strengerer Haushalt in diesen Fällen spezifisch den künftigen Generationen junger künstlerischer Ideengeber:innen Chancen zur kulturellen Fortentwicklung für sich selbst und die Stadt verbauen würde.

Wir sehen also: Auch – oder besonders – die kleineren Kulturhäuser und Kunstbühnen sind in Berlin akut von den Kulturkürzungen betroffen; zwar unterscheidet sich die Form und (Un)Mittelbarkeit dessen, wie die Kürzungspolitik jeweils die Neuköllner Oper, das Radialsystem und die WABE erreichen, jedoch betrifft sie sie in allen drei Fällen in einer Art und Weise, die sich letztlich direkt negativ auf die kreativen Konzepte und die künstlerische Entwicklung der Häuser auswirkt und für die Besucher:innen spätestens in einem Jahr spürbar sein werden. Dass die Berliner Stadtverwaltung trotz Haushaltsdefizit unbedingt daran interessiert sein sollte, auch die kleineren Kunst- und Kultureinrichtungen verteilt über alle erdenklichen Berliner Kieze weiter am Leben zu erhalten, das zeigen solche bunten, skurrilen Happenings wie „Big in Neukölln“. Wenn mitten an der Karl-Marx-Straße ein älterer „Sir Henry“ mit voluminösen Koteletten unter freiem Himmel im Shakespeare-Kostüm Septakkorde ins Keyboard hämmert, daneben Nachwuchskünstler der städtischen Musikschule feinste Balladen auf der viel zu kleinen Papp-Bühne singen, direkt gefolgt von einer Indie-Punk-Band, die zu düsterem Gitarren-Beat dreißig Mal das selbe Wort ins Mikro rotzt und es zum Finale Falschgeld oben aus den Fenstern des Operngebäudes regnet, dann erinnert man sich wieder, was Berlin und seine Kultur so einzigartig, vielfältig und auf eigene Weise liebenswert macht.

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