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Rückblende 2019/04 (Vor 100 und vor 50 Jahren)

Untertitel
Die Frau als Instrumentalistin | Revolution der Musik oder Musik der Revolution?
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Vor 100 Jahren: Die Frau als Instrumentalistin | Vor 50 Jahren: Revolution der Musik oder Musik der Revolution?

Vor 100 Jahren

Die Frau als Instrumentalistin

[…] Man wirft der Frau Mangel an Rhythmus vor, was auch stimmt. Indessen haben wir ausgezeichnete, vollständig oder zum größten Teil aus Frauen bestehende Chorvereinigungen. Es scheint, daß der Rhythmus eine Sache ist, die der Frau leichter fällt, wenn sie irgendwie in Verbindung mit dem eigenen Körper auftritt […] Steht zwischen der Frau und dem Rhythmus das Instrument, so scheint dies eine Fremdheit zu schaffen. Es ist bezeichnend, daß das oben genannte Fräulein Dessoff ausschließlich Chor- aber nicht Orchesterdirigentin ist und daß es eine solche von Rang niemals gegeben hat.

Wie steht die Frau zu den Orchesterinstrumenten? Wir wissen von gro­ßen Pianistinnen; Clara Schumann, die Menter, die Carreño sind Namen, die mit dem Tod der Inhaberinnen nicht erloschen sind, von denen spätere Generationen noch reden werden. Haben wir aber große Geigerinnen gehabt? Kaum. […]

Denn es ist das eigenartige bei der weiblichen Musikerin, daß wir nur ihre Jugend zu sehen bekommen, ihre Reifejahre nicht. […] Die Jahre über fünfzig, die die Männer zu ganz großen Künstlern reifen lassen, scheinen die Frauen der Öffentlichkeit zu entfremden. Ist es Eitelkeit, die schwindende Jugend und Schönheit nicht den Blicken der Menge preisgeben will? Flüchten sie alle in Ehe und Mutterschaft und lassen diese ihnen nicht mehr Zeit zur Ausübung ihrer Kunst? Oder – sollte es das Publikum sein, dessen Interesse an einer Künstlerin zu schwinden beginnt, wenn sie als Frau nicht mehr zu wirken vermag? Dieser Gedanke drängt sich in der Tat auf. Die Frau als Geigerin, als Cellistin ist ein sehr reizvolles lebendes Bild und es ist fast zu befürchten, daß die Wirkung für die Augen die auf das Ohr zuweilen ersetzt. […]

Stärker als bisher wird der Krieg und seine Folgen die Frau nun wohl zu Ins-
trumenten drängen, die sie bis jetzt ganz vernachlässigt hat, z.B. zu den Bläsern. […]

L. Andro, Neue Musik-Zeitung, 40. Jg., 1919, Heft 8

Vor 50 Jahren

Revolution der Musik oder Musik der Revolution?

Die Tendenz neuer Musik, Idiomatik und Form aufgehen zu lassen im Ideal perfekten Funktionierens ihrer Elemente innerhalb definierter Zusammenhänge, paßt sie ihrer Struktur nach ein in das System, dem ja auch Menschen nichts anderes mehr sind als Funktionen des Arbeitsprozesses. Durch die Eliminierung des Widerspruchs, die reine Setzung von Material und Zusammenhängen hat die serielle Musik sich der Möglichkeit beraubt, durch die spezifischen Konfigurationen ihrer Sprache der Ablehnung, die ihr stets noch von seiten der Gesellschaft widerfährt, kritisch, konkret und polemisch zu antworten. […] Die Anpassung an die kulturellen Institutionen, die sich bruchlos ohnegleichen vollzogen hat, hat der Musik erneut ihr Ghetto-Schicksal bereitet, weil sie weder der Sache nach gerechtfertigt, noch den notwendigen Kommunikationsbedingungen nach zu verantworten war. Die – besonders in der Bundesrepublik vollzogene – Institutionalisierung und Monopolisierung der Musik vor allem durch große Rundfunkanstalten und von ihnen periodisch veranstaltete Festivals für geschlossene Zuhörergruppen hat das Gegenteil der ehedem (heute sicher nicht mehr) vielleicht integeren Intentionen bewerkstelligt: die Absorption der Musik, wie sie sich auf jene Weise vollzogen hat, bewirkt deren Isolation, weil sie ihr die Notwenidgkeit nimmt, sich allerorten und unter schwierigen Bedingungen gegen die überkommenen ritualisierten Formen des bürgerlichen Musikbetriebes durchsetzen zu müssen. […] Über die Drahtverhaue der Fes­tivals hinaus lassen die Kulturfunktionäre neue Musik nicht hinaus, rechnen ihr ständig die mangelnde Resonanz vor, die sie ja schließlich selber organisiert haben. Und in den Schulen wird weiterhin in aller Ruhe auf dem Orff-Instrumentarium, diesem musikalischen Requisit der politisch erwünschten Verblödungsmaschinerie, herumgetrommelt. […]

Konrad Boehmer, Neue Musikzeitung, XVIII. Jg., 1969, Nr. 2 (April/Mai)

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